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HOLLY-JANE RAHLENS

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Lederklamotten noch Strubbelhaar noch Gürtel mit Nieten oder Spikes, die mehr wie<br />

Folterinstrumente aus der Spanischen Inquisition aussahen als ein Modeaccessoire.<br />

Klick!<br />

Ich guckte meine Mutter an. Sie hatte gerade einen Schnappschuss von mir<br />

gemacht. Die Komposition aus Rosa und Erdbeereis.<br />

Als meine Mutter und ich zehn Jahre nach meinem Vater und meiner Großmutter<br />

nach Halberstadt kamen, freuten wir uns, dass die paar historischen Gebäude, die<br />

den Krieg und die Vernachlässigung in der DDR überstanden hatten, inzwischen<br />

restauriert worden waren.<br />

»Es sieht gar nicht mehr nach Osten aus«, sagte meine Mutter. Sie hatte Recht.<br />

Wir waren durch kleinere ostdeutsche Städte mit dem Zug gefahren, viele waren<br />

grau und farblos, ganze Stadtteile voll zerfallener Häuser, dunkel, mit ungepflasterten<br />

Straßen, in den Fabriken kein Glas in den Fenstern, stattdessen gähnende Löcher,<br />

wie Augenhöhlen in einem Totenschädel. Genauso sah das Haus von Alma und<br />

Benjamin in der Plantage Nr. 6 aus – das Skelett einer ehemals prächtigen Villa. Kein<br />

richtiger Garten, kein Fliederbusch, keine Spitzenvorhänge. Aber die Kastanie war<br />

noch da. Das zumindest war tröstlich.<br />

Die Altstadt von Halberstadt hingegen glich einem schönen alten Bild: bunt<br />

gestrichene Häuser mit roten Dächern und Fachwerk. Es sah schön aus, wirkte aber<br />

eigenartig verlassen, wie eine Geisterstadt.<br />

»Das passt«, sagte meine Mutter. »Hier gibt’s so viele Geister.«<br />

Wir schlenderten durch die engen Gassen und grüßten die stummen Geister.<br />

Juden wie die Nussbaums, die hier einmal glücklich gelebt und dann glücklich ein<br />

neues Leben in einer neuen Welt begonnen hatten. Juden, die mit ein paar hastig<br />

gepackten Habseligkeiten in Todesangst geflohen waren. Und Juden, die es nicht<br />

mehr geschafft haben, sich zu retten, die man wie Vieh zusammengetrieben und<br />

ermordet hatte. So viele Geister.<br />

Meine Geister. Meine Familie.<br />

Wir haben die Mikwe gefunden! Als im jüdischen Viertel vor ein paar Jahren<br />

Ausgrabungen gemacht wurden, hatte man sie freigelegt und das alte Badehaus zu<br />

einem Museum gemacht. Die Mikwe war eine gigantische Badewanne, fast ein<br />

Schwimmbecken. Als ich so dastand und hineinschaute, ich versuchte mir meine

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