HOLLY-JANE RAHLENS
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formlosen Leinenkleid und dem langen Chiffonschal. »Du, meine Liebe, bist<br />
eigentlich in der Dekolleté-Phase.«<br />
nicht?«<br />
»Mutti, bitte!«, sagte meine Mutter. »Ich bin auf Lesereise, verstehst du das<br />
Meine Großmutter und ich warfen uns Blicke zu, aber ich hing bald meinen<br />
eigenen Gedanken nach. Der genervte Ton meiner Mutter kam mir bekannt vor. Und<br />
dann ging es mir schlagartig auf. Natürlich. Sie klang genau wie ich.<br />
»Schau dir ihre Augen an, Edda. Das sind die von Papa. Und seine hohen<br />
Wangenknochen hat sie auch.«<br />
Meine Mutter blickte von ihrem Reiseplan auf. »Hmm, ja«, sagte sie, in<br />
Gedanken ganz woanders. Sie sah auf die Uhr an der Wand. »In zwanzig Minuten<br />
müssen wir los, Mutti.«<br />
»Und diese Haare«, sagte meine Oma und fuhr mir durch meine dunklen<br />
Haare. »Solche tollen Haare. Und die ganze Mundpartie. Die Lippen, feine schmale<br />
Lippen, genau wie er.«<br />
»Schmale Lippen!«, schrie ich beleidigt auf. »Du hast doch einen Knick in der<br />
Optik! Ich hab volle Lippen!«<br />
»Ich glaube, Mutti«, sagte meine Mutter, »da bist du ins Fettnäpfchen<br />
getreten.«<br />
»Hältst du dich da bitte raus?«, sagte ich zu meiner Mutter.<br />
Ihre Augen wurden ganz groß. Die meiner Oma womöglich noch größer. Sie<br />
zog mich an sich. Sie roch gut. Wie unser Weichspüler mit Apfelblüten- und<br />
Vanilleduft.<br />
»Renée, du bist eine große Schönheit«, sagte Oma Ulli. »Selbst wenn du<br />
deinem Opa ähnlich siehst, Gott hab ihn selig.«<br />
Oma Ulli sah meine Mutter an.<br />
Meine Mutter schaute weg.<br />
»Vielleicht sollte ich euch zwei allein lassen, damit ihr in Ruhe über mich reden<br />
könnt«, sagte ich.<br />
»Renée«, begann meine Mutter.<br />
»Edda!«, unterbrach meine Großmutter. »Lass mich mal.« Sie zeigte auf<br />
meinen Teller. »Du hast ja kaum was gegessen, Renée.« Sie sah meine Mutter an.<br />
»Edda, isst sie immer wie ein Spatz?«