HOLLY-JANE RAHLENS
HOLLY-JANE RAHLENS
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aufgetaucht! »Scheiße!«, rief ich und griff ein Handtuch. Mit einem Wischer war das<br />
Herz weg. Zurück blieb nur das zweite P von Philipp.<br />
Endlich kam unser Zug in Hannover an. Auf dem Bahnsteig winkte uns Oma Ulli mit<br />
zwei Rosen zu.<br />
»Sie weiß, dass wir nur unterwegs sind, aber sie bringt Blumen«, sagte meine<br />
Mutter und seufzte.<br />
Oma Ulli umarmte mich. Oder besser gesagt: zerquetschte mich. Sie war nicht<br />
groß, aber breit, und ihre Brust war eine echte Waffe.<br />
»Du siehst ja halb verhungert aus«, sagte sie zu mir, öffnete die Arme und<br />
ersparte mir damit einen schrecklichen Erstickungstod. Zu meiner Mutter sagte sie:<br />
»Kriegt das Kind denn nichts zu essen?«<br />
»Mutti, bitte!«, sagte meine Mutter und hob unser Gepäck auf einen Kofferkuli.<br />
Ich zwinkerte meiner Großmutter zu. Weiter so, Oma, dachte ich. Mach ihr die<br />
Hölle heiß!<br />
Oma Ulli zwinkerte zurück. Für eine Siebzigjährige war sie ziemlich stark<br />
geschminkt: Lidschatten, Wimperntusche, Rouge, knallroter Lippenstift. Dazu trug sie<br />
noch jede Menge Modeschmuck: eine ebenso knallrote Kette mit walnussgroßen<br />
Glasperlen und ungefähr zwanzig Armreifen an jedem Handgelenk. Sie klingelten,<br />
als sie mir meine Rose entgegenstreckte.<br />
Ich roch daran. »Mmmm, die duften gut.«<br />
»Von Opas Rosenstrauch aus der Laubenkolonie.«<br />
»Mutti«, sagte meine Mutter angespannt. »Das ist eine nette Geste, aber<br />
zufälligerweise habe ich keine Vase im Koffer.«<br />
»Hast du doch!«, sagte ich und dachte an die Vase mit den Tulpen, die sie auf<br />
der Bühne benutzte.<br />
Meine Mutter schaute ungeduldig zum Himmel. »Das ist eine Bühnenrequisite.<br />
Und außerdem nicht wasserfest.«<br />
Oma Ulli beachtete sie nicht. »Dein Großvater hat den Rosenstrauch am Tag<br />
deiner Geburt gepflanzt«, sagte sie zu mir und hielt meine Hand fest. »Wenn diese<br />
Rose verwelkt ist, dann schneide die Blüte ab und leg sie in ein Buch zum Pressen.<br />
Wenn du dann irgendwann später zufällig auf sie stößt, versuch dich daran zu<br />
erinnern, wie du heute warst und wie sehr du seither gewachsen bist, wie du dich<br />
verändert hast.«