Eeb jahrbuch 08 09 v03:layout 1 - EEB Niedersachsen
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Eine erste, sehr vorsichtige Prognose: Religiöse Sucher landen<br />
z. B. verstärkt in Angeboten der spirituellen Bildung und<br />
bei Bildungswerken. Der Kirche Hochverbundene teilen sich<br />
in die, die sich ihres Glaubens vergewissern wollen und Bestätigung<br />
suchen, also Glaube als Heimat suchen, und solche,<br />
die eher intellektuelle Reflexion und Austausch über<br />
Fragen und Zweifel wollen im Sinne des Optionstyps und<br />
dafür neben der eigenen Gemeinde auch überparochiale<br />
Angebote nutzen. Interessant ist die Frage, wo die Kirchendistanzierten<br />
hingehen. Die Erfolge von missionarischen<br />
Kursen wie Alpha oder Emmaus, die für diese Zielgruppe<br />
entwickelt worden sind, scheinen dafür zu sprechen, dass<br />
hier eher das Vermittlungsmodell angebracht ist. Andererseits<br />
sprechen diese Kurse wohl eher nur begrenzte Milieus<br />
und Altersgruppen an. Auf jeden Fall ist hier Differenzierung<br />
nötig.<br />
4.2. Sprachebenen klären und beachten<br />
Im Blick auf die Distanzierten ist schließlich noch eine wichtige<br />
Unterscheidung zu bedenken, die in den USA als primary<br />
speech oder secondary speech beschrieben wird. Primary<br />
speech redet so vom christlichen Glauben, dass keinerlei<br />
religiöse Vorkenntnisse erforderlich sind, so dass auch<br />
Atheisten verstehen, von was gesprochen wird. Secondary<br />
speech setzt voraus, dass die Menschen wissen, was<br />
die Bibel ist, wer Jesus Christus ist, was ein Kreuz bedeutet<br />
etc. Hier geht es um die genauere Bedeutung der Glaubenstraditionen<br />
oder ihre vielfältigen Deutungsmöglichkeiten.<br />
Im Blick auf Kirchendistanzierte ist daher zu fragen: wie<br />
viel Wissen setzen wir eigentlich implizit voraus? Die meisten<br />
Glaubenskurse in Deutschland benutzen secondary<br />
speech und sind für Menschen ohne Vorkenntnisse unverständlich.<br />
Sie sind daher sowohl für jüngere Aussiedler als<br />
auch für viele Menschen in Ostdeutschland unbrauchbar.<br />
Die theologische Herausforderung hier ist die Elementarisierung<br />
von Glaubensfragen ohne Banalisierung, und das<br />
halte ich für eine hohe Kunst. Es gibt dafür erste Ansätze,<br />
z. B. „Glauben (12)“, wobei auch dieser Kurs weitgehend<br />
im secondary speech bleibt. 21<br />
4.3. Zur Rolle der sozialen Dimension<br />
Noch ein Aspekt ist zu bedenken: Neben der Frage nach<br />
dem Verhältnis von Wissen und Spiritualität und dem Vorwissen<br />
muss uns auch das Verhältnis von Glaubenswissen<br />
und Beziehung neu beschäftigen. Interessant in diesem Zusammenhang<br />
sind Erkenntnisse aus englischen Studien zu<br />
der Frage, wie Menschen zum Glauben finden. Darin wurde<br />
in den 90er Jahren angesichts der rasanten Säkularisierung<br />
der britischen Gesellschaft untersucht, wie Menschen<br />
zum Glauben finden. Das Ergebnis kurz gefasst: Glaubenlernen<br />
ist ein Prozess und selten ein plötzliches Ereignis.<br />
Darüber freut sich <strong>EEB</strong>, denn an der Stelle haben wir<br />
immer schon eher an Prozesse als an Spontanbekehrungen<br />
geglaubt. Doch wer meint, es komme vor allem darauf<br />
an, den Menschen Auseinandersetzungen mit Überzeugungen<br />
zu bieten, der irrt etwas.<br />
Denn in diesem Prozess spielen Beziehungen eine große<br />
Rolle: Erst kommt das Belonging, dann das Believing<br />
und Behaving. Menschen übernehmen eine religiöse Weltanschauung,<br />
eine Glaubenshaltung dann, wenn sie tragfähige<br />
Beziehungen zu Menschen erleben, die nach dieser<br />
Glaubenshaltung leben. Das bedeutet, dass das alte Be-<br />
kehrungsmodell, nach dem noch viele Kurse arbeiten (erst<br />
wissen, dann glauben, dann Glaubensgemeinschaft suchen)<br />
schlicht nicht mehr stimmt.<br />
Damit bestätigen sich die Beobachtungen aus Religionssoziologie,<br />
Pädagogik und Religionspsychologie, die die<br />
Bedeutung von Gruppe und Beziehungen betonen. Menschen<br />
übernehmen die Glaubensüberzeugung der Gruppe,<br />
in der sie sich zuhause fühlen. 22<br />
Diese Erkenntnis stellt eine gerade für evangelische Bildung<br />
häufig geäußerte Konsequenz in Frage: Wir gehen davon<br />
aus, dass mit dem Glaubenswissen die Glaubensgewissheit<br />
geschwunden ist und daher das Wissen auf Gewissheit<br />
zielt, der Weg also vom Wissen zum Glauben geht.<br />
Und genau dieser Weg wird hier durch die englischen Forschungsergebnisse<br />
in Frage gestellt. Nicht das Wissen, sondern<br />
die Beziehung ist das Entscheidende, das Wissen ist<br />
nachrangig. Diese Position hat m. E. auch gute biblische<br />
Gewährsleute, denn da, wo Jesus Menschen heilt, ist nicht<br />
die notitia, sondern die fiducia, das Vertrauen und die Beziehung<br />
zu ihm entscheidend. Die Menschen treten in Beziehung<br />
(vgl. Zachäus in Lk 19,1–10) und gehen erst hinterher<br />
in die Jüngerschule.<br />
Dabei gibt es interessante geschlechtsspezifische Differenzen:<br />
23 Die meisten Menschen kommen durch Freunde<br />
oder Familienangehörige in Kontakt mit Glauben. Bei der<br />
Frage nach den wichtigsten Faktoren auf dem Weg des<br />
Glaubens wurden beziehungsorientierte Einflüsse mit Abstand<br />
am häufigsten genannt. Dabei traten signifikante Unterschiede<br />
zwischen Männern und Frauen zu Tage. Für Frauen<br />
sind die wichtigste Gruppen christliche Freundinnen mit<br />
24%, danach Pastor/innen mit ca. 17% und schließlich –<br />
typischer Weg über den Gemeindekontakt der Kinder – die<br />
eigenen Kinder mit 13% (dagegen nur bei 3% der Männer).<br />
22% der Männer (dagegen nur 5% der Frauen) gaben als<br />
primären Faktor auf dem Weg des Glaubens ihre Partnerinnen<br />
an, gefolgt von je ca. 15%, die Pastor/innen und<br />
christliche Freunde nannten.<br />
Die angelsächsischen Glaubenskurse, vor allem „Emmaus“,<br />
haben sich die Beziehungsevangelisation angeeignet und<br />
betonen die Rolle der nurture groups. Sie nehmen damit<br />
die Kleingruppe als das zentrale Paradigma postmoderner<br />
Spiritualität auf. Die Gruppe als Gemeinschaftsangebot ist<br />
besonders für Neuzugezogene oder Menschen in Krisen<br />
wichtig.<br />
Gruppenorientierung ist nichts Neues für die Erwachsenenbildung.<br />
Doch diese Erkenntnisse stellen die <strong>EEB</strong> vor<br />
die Frage nach Beziehungen in vielfältiger Form und vor die<br />
Frage nach dem eigenen Gemeindeverständnis.<br />
� Welche Bindungsformen, Netzwerke und Anknüpfungspunkte<br />
bieten wir?<br />
� Wie wichtig sind uns diese Beziehungsmöglichkeiten, wie<br />
viel Engagement geht da hinein?<br />
� Wo ergeben sich hier sinnvolle Synergien und Vernetzungen,<br />
z. B. mit Ortsgemeinden als den Orten, wo die<br />
Tradition gelebt wird?<br />
� Wohin gehen Menschen, deren spiritueller Hunger er-<br />
wacht ist?<br />
Die didaktische Konsequenz daraus ist für mich, viel Raum<br />
für Gespräche zur Anknüpfung an Lebenserfahrungen zu<br />
bieten. Ein interessantes Modell hat meine amerikanische<br />
Kollegin NORMA COOK EVERIST mit dem Glaubenskurs