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Eva Straub - Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch ...

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Übrigens, dem Betroffenen geht es genauso, auch er versteht die Welt nicht<br />

mehr, kann die Verhaltenweisen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nicht mehr einordnen. Er muss<br />

erfahren, dass die an<strong>der</strong>en die Dinge an<strong>der</strong>s wahrnehmen, als er sie erlebt und<br />

dass sie seine Erlebnisse und Erkenntnisse in Zweifel ziehen. Sein Vertrauen<br />

in alles – auch in sich selbst – geht verloren. Das, was man „Leben“ nennt,<br />

hat eine an<strong>der</strong>e Bedeutung für ihn angenommen, die ihm mal Angst macht<br />

o<strong>der</strong> ihn über sich hinauswachsen lässt. Und manchmal, nur für ihn selber<br />

spürbar, werden ihm übersinnliche Kräfte verliehen. Niemand versteht ihn,<br />

niemand nimmt seine Ängste ernst, alles ist bedrohlich, und jede Entscheidung<br />

fällt ihm schwer. Er merkt, dass etwas nicht stimmt. Aber was?<br />

Die Suche nach seinem Weg<br />

Ohne es sich so richtig bewusst zu machen, suchen die betroffenen Familien<br />

nach Wegen, mit dem ihnen fremd gewordenen Familienmitglied umzugehen,<br />

sie suchen nach Wegen, demjenigen zu helfen und danach, sich selber zu<br />

schützen und bei alledem ein einigermaßen gewohntes Leben führen zu kön-<br />

Bevor die Krankheit ausbricht<br />

Die <strong>Angehörigen</strong> fühlen sich fassungslos einer Situation ausgeliefert, die sie<br />

nicht beeinflussen können, die sie nicht steuern und nicht umkehren können.<br />

Sie sind Zuschauer einer ängstigenden Entwicklung und sind Mitbetroffene.<br />

Sie wehren sich dagegen, die Verhaltensverän<strong>der</strong>ungen mit einem krankhaften<br />

Zustand in Verbindung zu bringen. Durchschnittlich dauert die Phase vor<br />

<strong>der</strong> Diagnosestellung, die „prodromale“ Phase, bei einer Erkrankung aus dem<br />

schizophrenen Formenkreis fünf bis sieben Jahre – Jahre voller Missverständnisse,<br />

kontinuierlich zunehmen<strong>der</strong> Verunsicherung, immer bedrücken<strong>der</strong> werden<strong>der</strong><br />

Angst vor <strong>der</strong> Zukunft. Erklärungsmodelle für die unerklärlichen Reaktionen<br />

des Betroffenen, für seine o<strong>der</strong> ihre verän<strong>der</strong>te Lebensweise, beruhigen<br />

die Nahestehenden immer nur kurze Zeit.<br />

Die <strong>Angehörigen</strong> sind lange Zeit ratlos und fühlen mit Entsetzen, wie sie<br />

selbst mit hineingezogen werden in den Verän<strong>der</strong>ungsprozess – hilflos ihm<br />

ausgeliefert. Immer schlechter kommen die <strong>Angehörigen</strong> mit dieser Situation<br />

zurecht, je weniger die gewohnten Reaktionen greifen. Verzweiflung macht<br />

sich breit. Das Grübeln führt zu nichts, die Gedanken kreisen nur noch um<br />

das eine: Wohin soll das noch führen?<br />

Bei Rückenschmerzen fragt man Freunde, Nachbarn, Verwandte. Bei <strong>der</strong> Beschreibung<br />

einer beginnenden <strong>psychisch</strong>en Erkrankung ernten die Ratsuchenden<br />

Unverständnis bis Vorwürfe und bestenfalls eine ganze Skala gut gemeinter,<br />

aber in dieser Situation unpraktikabler Vorschläge. Sie ernten schiefe<br />

Blicke statt Erfahrungswissen, Abwehrhaltung statt Mitgefühl. Es ist normal,<br />

dass sich die so betroffene Familie verschließt und die weiteren Entwicklungen<br />

weitestgehend versteckt.<br />

2. Regionaltreffen<br />

Angehörige<br />

Die Familienmitglie<strong>der</strong> sind irritiert – nein, sie sind völlig durcheinan<strong>der</strong>:<br />

Was gestern galt, gilt heute nicht mehr! Freundlichkeit, Vertrautheit und Liebe<br />

lösen Abwehr und Rückzug aus. Unverständliche Handlungsriten und Gefühlsausbrüche<br />

<strong>der</strong> Betroffenen verstören, auf Kontaktversuche kommt keine<br />

Antwort. Der ganze Familienalltag steht Kopf.<br />

Alles verän<strong>der</strong>t sich<br />

Angehörige werden eigentlich immer von <strong>der</strong> <strong>psychisch</strong>en Erkrankung eines<br />

Familienmitglieds unvorbereitet erwischt, die einen plötzlich durch einen<br />

abrupten Ausbruch, die meisten aber erleben einen langen schleichenden Verän<strong>der</strong>ungsprozess<br />

des geliebten Partners, Kindes o<strong>der</strong> Elternteils. Anfangs<br />

meinen alle, das geht vorüber. Dann aber – irgendwann – fühlen die <strong>Angehörigen</strong>,<br />

das sprengt das Übliche, übersteigt das, was man schlechte Laune,<br />

schlechte Stimmung, Pubertät, Revoltieren nennt, das muss etwas tiefer sitzen.<br />

genden möchte ich zeigen, dass so gut wie alle <strong>Angehörigen</strong> <strong>psychisch</strong> kranker<br />

Menschen durch diese Phasen gehen, bewusst o<strong>der</strong> unbewusst, mehr o<strong>der</strong><br />

min<strong>der</strong> intensiv.<br />

tagungsband02.qxd 07.02.2007 9:44 Uhr Seite 90

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