EICHHÖRNCHEN DES WALDES 22 <strong>Schweizer</strong> <strong>Jäger</strong> 4/2012 KOBOLDE Die Annahme ist wohl kaum übertrieben, dass das Eichhörnchen zu den bekanntesten und beliebtesten Wildtieren unseres Landes zählt. Erstaunlich und traurig zugleich, dass es dennoch zu den wenig erforschten Vertretern der einheimischen Fauna gehört.
Von Heini Hofmann Der grosse Bekanntheitsgrad des Eichhörnchens dürfte vier Gründe haben: Zum ersten, weil es recht häufig vorkommt, zum andern, weil es sich auffällig-possierlich benimmt, zum dritten, weil es – wie Schwalbe, Amsel, Spatz und Ratte – vor dem Menschen keinen allzu grossen Respekt hat, und zum letzten schliesslich, weil sein Tagesablauf dem unsrigen ungefähr entspricht, so dass man den Waldkobold tatsächlich auch zu Gesicht bekommt, wesentlich einfacher jedenfalls als extreme Kulturflüchter oder gar nachtaktive Tiere. Sommersiesta ja, Winterschlaf nein Eichhörnchen sind ausgesprochene Tagtiere mit gewöhnlich zwei Aktivitätsphasen: Beim Morgengrauen werden sie munter, über Mittag halten sie Siesta, am Nachmittag sind sie wieder aktiv, und vor Sonnenuntergang gehen sie schlafen. Im Herbst verkürzt sich ihre Mittagsruhe zunehmend und wird schliesslich ganz aufgehoben, das heisst die beiden Aktivitätsphasen verschmelzen zu einer einzigen, die mit fortschreitendem Einwintern zusehends zusammenschrumpft und sich auf den späteren Morgen beschränkt. Entgegen weitverbreiteter Meinung macht das Eichhörnchen – ganz im Gegensatz etwa zu dem ihm verwandten Murmeltier – keinen Winterschlaf. Aller- Foto: Claudio Gotsch Um sieben Ecken: endlich geschützt! Obschon sie in unserem Land kaum je direkt bejagt worden sind, gehörten die Eichhörnchen dennoch zum jagdbaren Wild. Bei der Verabschiedung eines neuen Jagdgesetzes – das vom Bundesrat auf 1. April 1988 in Kraft gesetzt worden ist – haben die Eidgenössischen Räte jedoch anders entschieden. Die lustigen Kobolde sind nun gesamtschweizerisch und ganzjährig total geschützt. Allerdings war das kein Entscheid auf Anhieb, sondern vielmehr ein schweres politisches Gerangel um diese leichten Tierchen, eine Entscheidungsfindung um sieben Ecken, die hier kurz rekapituliert sei. Eichhörnchen waren also gemäss altem Gesetz jagdbares Wild, wobei nur neun Kantone mit Revierjagd eine Schonzeit kannten. Im Entwurf zum neuen Jagdgesetz war eine solche dann grundsätzlich nicht mehr enthalten. Das passte dem Nationalrat nicht; er forderte totalen Schutz. Anders der Ständerat, der eine Freigabe zur Jagd befürwortete. Diese Situation bedingte eine Differenzbereinigung. Denn wegen einem solchen Detail konnte man die Absegnung eines ganzen Gesetzes nicht auf die lange Bank schieben; also musste entschieden werden. Und wie fielen die Würfel? Der Nationalrat blieb hart, der Ständerat gab nach – und somit sind die Eichhörnchen geschützt. Wäre der Ständerat stur geblieben und der Nationalrat weich geworden, dann... Bedanken also mussten sich die kleinen Waldkobolde bei der grossen, eichhörnchenfreundlichen Kammer. Jedenfalls haben sie gemerkt, dass ein politischer Entscheid gelegentlich vom berühmten Zünglein an der Waage abhängt. Besonders spassig, wenn’s um die eigene Haut geht! HH Typische Eichhörnchenpose:aufrechte Körperhaltung, S-förmig aufgekrümmter Schwanz und Gebrauch der Vorderpfoten wie Hände. Auffallend sind die lustigen Ohrbüschel. Die (heute noch im wissenschaftlichen Namen aufscheinende)Bezeichnung der alten Griechen für das Eichhörnchen war «der sich mit dem Schwanz Schattengebende». Dank seinem possierlichen Wesen wurde das Eichhörnchen zu einem der beliebtesten einheimischen Wildtiere. Schade nur, dass es noch so schlecht erforscht ist. Foto: naturpix.ch/m.p.stähli dings schränkt es seine Aktivität in der kalten Jahreszeit stark ein und verlässt das Nest erst spätmorgens und lediglich für kurze Zeit. Dabei verrichtet es nur das Unvermeidliche: Nahrungssuche und Notdurft. Schnee und tiefe Temperaturen allein schrecken es nicht zurück, doch meidet es stürmische und niederschlagsreiche Schlechtwetterperioden. Zum Klettern geboren Noch gehört das Eichhörnchen zu den schlecht erforschten einheimischen Wildtieren. Löbliche Ausnahmen in unserem Land bilden Arbeiten aus dem Zoologischen Institut und der Ethologischen Station der Universität Bern sowie Untersuchungen an der Universität Neuenburg. Studien an Eichhörnchen in der freien Wildbahn sind deshalb nicht einfach, weil sich die Tiere meist unbeobachtbar in Baumkronen aufhalten, und weil Männchen und Weibchen sich bezüglich Aussehen, Färbung, Grösse und Gewicht kaum unterscheiden lassen. Eindrücklich ist die Anpassung der Eichhörnchen ans Leben auf den Bäumen. Die anatomischen Proportionen mit dem geschmeidigen Körper, dem leichten Knochenbau, den sehr muskulösen Hinter- und den äusserst geschickten Vorderbeinen mit den langen, gebogenen Krallen an Zehen und Fingern machen die Eichkatzen zu wahren Kletterkünstlern, die sich nur selten am Boden aufhalten (ausser in Pärken, wo sie als zahme Tiere beim Futterbetteln atypisches Verhalten zeigen). Steuer, Balance und Signal So wie es beim Menschen eine Hamolstellung, so gibt es beim Eichhörnchen eine Kalenderblattpose: auf einem Ast aufrecht sitzend, manierlich eine Haselnuss oder einen Tannzapfen in den Vorderpfoten haltend und den buschigen Schwanz – einem Sonnenschirm gleich – Sförmig über den Rücken geschlagen. Die alten Griechen nannten diese lebende Statuette «Skiouros», zu Deutsch «der sich mit dem Schwanz Schattengebende». Diese poetische Umschreibung blieb dem Eichhörnchen in seinem Gattungsnamen (Sciurus vulgaris) bis heute verhaftet. Allerdings: Das Schattenspenden dürfte wohl die unwichtigste Aufgabe dieses mächtigen Schwanzes sein. In erster Linie dient er als Steuerruder bei weiten Sprüngen oder als Balancierstange beim Klettern, dann auch als optischer Signalgeber bei der Balz (Liebesvorspiel) und schliesslich als Kälteschutz im <strong>Schweizer</strong> <strong>Jäger</strong> 4/2012 23 Wildkunde