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NEU - Schweizer Jäger

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Seine ständigen Begleiter aber,<br />

oft auf seinen Schultern sitzend<br />

dargestellt, waren die beiden Raben<br />

mit den Namen «Hugin» und<br />

«Munin», deren Bedeutung etwa<br />

«der Gedanke, das Denken» und<br />

«die Erinnerung, das Gedächtnis»<br />

sein soll. Geschätzt als kluge<br />

und weise Berichterstatter, die<br />

den einäugigen Gottvater erst sehen<br />

und verstehen lassen, was<br />

in seiner näheren und weiteren<br />

Umgebung geschieht, sandte er<br />

sie jeweils bei Anbruch des Tages<br />

aus, um die Welt zu überfliegen<br />

und ihm zur Mittagszeit, zum<br />

«Tag-Mahl», Bericht zu erstatten.<br />

Merkwürdigerweise finden sich<br />

übrigens auch in der persischen<br />

Mythologie zwei Raben als göttliche<br />

Boten.<br />

Hatten also die beiden Raben<br />

Odins als Begleiter des Gottvaters<br />

einen nahe gleichartigen Status<br />

wie die Gottheiten selbst, so<br />

sahen die Menschen damals sogar<br />

noch im massenhaften Auftreten<br />

der – damit als heilige Vögel angesehenen<br />

– Artgenossen Hugins<br />

und Munins nach blutigen Auseinandersetzungen<br />

eine Art von<br />

höherer Sendung und Aufgabe:<br />

Nach ihrer Überzeugung machten<br />

sich die Raben über die Leichen<br />

der gefallenen Krieger her,<br />

um ihrem göttlichen Herrn, der<br />

auch als Toten- und Schlachtengott<br />

galt, das vor dem Kampf versprochene<br />

Opfer von den Körpern<br />

der getöteten Feinde zu<br />

überbringen. «Den Raben Futter<br />

geben» und ähnliche Formulierungen<br />

umschreiben in den vielen<br />

blutgetränkten Schilderungen<br />

der altskandinavischen Heldendichtung<br />

das Meucheln besonders<br />

zahlreicher Feinde.<br />

Im Christentum jedoch, das<br />

etwa bis zur ersten Jahrtausendwende<br />

das gesamte einst heidnische<br />

Europa erfasst hatte, liess<br />

sich eine solche gedankliche Verbindung<br />

zwischen dem Verzehr<br />

von menschlichen Leichen und<br />

einer religiösen Obliegenheit natürlich<br />

nicht mehr aufrecht erhalten.<br />

Vielmehr gerieten die Rabenvögel<br />

aufgrund ihrer schwarzen<br />

Färbung, die mit Tod und Teufel<br />

in Verbindung gebracht wurde<br />

und ihrer abstossend wirken-<br />

Aus einer isländischenBilderhandschrift,<br />

die<br />

um 1760 gefertigt<br />

wurde, stammt<br />

diese Darstellung<br />

des einäugigen<br />

nordischen Gottes<br />

Odin mit seinen<br />

Raben Hugin und<br />

Munin auf den<br />

Schultern.<br />

Quelle: Wikipedia, gemeinfrei, Foto: Ólafur Brynjúlsson<br />

den Ernährungsweise, die sich<br />

auf den damals recht zahlreichen<br />

Galgenbergen, Richtstätten und<br />

Schlachtfeldern eindrucksvoll<br />

beobachten liess, zunehmend in<br />

einen überaus schlechten Ruf und<br />

die einstige Verehrung schlug in<br />

Abscheu, Verachtung und Hass<br />

um.<br />

Doch nicht nur in Verbindung<br />

mit Kriegen und Fehden galten<br />

die Raben als Todesvögel, sondern<br />

auch in den schweren Zeiten,<br />

als der «schwarze Tod» zu<br />

tausenden seine Opfer forderte.<br />

Die Pest wurde nach weit verbreiteter<br />

Überzeugung nicht nur<br />

von Ratten, sondern auch durch<br />

Raben über das Land verbreitet –<br />

und so ganz irrig mag diese Annahme<br />

dann auch nicht gewesen<br />

sein. Abergläubische Menschen<br />

wie die Seefahrer alter Zeiten sahen<br />

den Tod nahen, wenn sich die<br />

schwarzen Gesellen auf den Masten<br />

und Rahen niederliessen – und<br />

dabei deutete dies nur darauf hin,<br />

dass das Schiff sich dem Festland<br />

näherte. Eine Dichtung aus dem<br />

alten England fasst dies in die<br />

düsteren Verse. «Schlingernd lag<br />

das Schiff im Meer / kein Lüftchen<br />

mag uns laben / von oben trifft<br />

uns schwarz und schwer / die Todesverheissung<br />

der Raben.»<br />

Die augenscheinliche Einheit<br />

von Raben und Tod führte dazu,<br />

dass die Vögel sogar – wie in ei-<br />

ner frühen Version des Faust-Stoffes<br />

– als Personifizierung des Satans<br />

angesehen wurden und von<br />

dort war der Weg zur Hexerei<br />

nicht weit. Wehe der ohnehin bereits<br />

verdächtigen Frau, die etwa<br />

mit einem Raben gesehen wurde:<br />

«Eine gewisse Anna Thöny,<br />

gebürtig von Seewis war es, die<br />

im Jahre 1656 der Hexerei angeschuldigt,<br />

vor dem Gericht stand.<br />

Man habe gesehen, dass sich ihr<br />

als sie auf einem Bauhaufen ge-<br />

sessen, ein Rabe, der vorerst um<br />

ihren Kopf geflogen, auf ihre<br />

Schulter gesetzt, sei aber sofort<br />

wieder aufgeflogen und habe ein<br />

wüstes Geschrei vollführt.» Wörtlich<br />

in dieser Form das Geschehen<br />

einer Chronik aus Chur zu<br />

entnehmen und danach wurde die<br />

Frau bis zum Geständnis gefoltert<br />

und dann als Akt der Gnade<br />

nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt,<br />

sondern geköpft.<br />

Dichtung und Literatur<br />

In der weltweit verbreiteten<br />

Literaturgattung des Märchens<br />

werden die Raben und Krähen<br />

häufig als eitel und besserwisserisch,<br />

manchmal auch als dumm<br />

und oft als diebisch dargestellt.<br />

Als Ursprung zahlreicher Rabenmärchen<br />

mag die oft nacherzählte<br />

und in vielfacher Form, vom<br />

mittelalterlichen Wandteppich<br />

von Bayeux bis zur Sesamstrasse<br />

dargestellte Geschichte vom<br />

Fuchs und dem Raben gelten.<br />

Diese Fabel wird dem griechischen<br />

Dichter Äsop zugeschrieben,<br />

der um 550 v. Chr. lebte und<br />

wurde durch den französischen<br />

Schriftsteller Jean de La Fontaine<br />

(1621–1695) weltweit verbreitet.<br />

Hier ist der Rabe, der ein Stück<br />

Käse erbeutet hat, so eitel, dass<br />

er dem schmeichelnden Fuchs,<br />

der ihn als wunderschön und als<br />

König der Vögel bezeichnet, auf<br />

dessen hinterlistige Bitte hin etwas<br />

vorsingen will und dabei den<br />

Käse verliert. «Sei nicht eitel und<br />

hüte Dich vor Schmeichlern!» ist<br />

die «Moral von der Geschicht’».<br />

Darüber hinaus verkörpert der<br />

Rabe mit der schwarzen Farbe<br />

seines Gefieders aber in der Welt<br />

der Märchen auch die Trauer. Verschwundene,<br />

verwandelte Men-<br />

<strong>Schweizer</strong> <strong>Jäger</strong> 4/2012 29<br />

Wildkunde

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