Krankenhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz1
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Behandlungsanspruch <strong>nach</strong> AsylbLG nur bei akuter Krankheit?<br />
Die in der Praxis dokumentierten Fälle von Einschränkungen des Behandlungsanspruchs durch Sozialämter<br />
und Amtsärzte (Verweigerung von Krankenscheinen, Verweigerung von Rollstühlen für spastisch<br />
behinderte Kinder, Verweigerung lebensnotwendiger Lebertransplantationen etc.) sind fast immer gesetzes-,<br />
zumeist auch verfassungswidrig. Nach unserer Erfahrung mit der Begutachtung durch Amtsärzte<br />
muss festgestellt werden, dass diese in aller Regel die Rechtsgrundlagen des AsylbLG und SGB XII<br />
nicht kennen, was häufig zu rechtswidrigen Ablehnungen führt.<br />
Unzutreffend ist insbesondere die weit verbreitete Annahme, dass Leistungsberechtigte <strong>nach</strong> AsylbLG<br />
nur bei akuten Krankheiten und Schmerzzuständen behandelt werden dürften.<br />
Richtig ist, dass regelmäßig dann ein uneingeschränkter Behandlungsanspruch besteht, einschl. der<br />
Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, wenn eine Krankheit entweder "akut" oder "schmerzhaft" ist (§<br />
4 AsylbLG). Ein uneingeschränkter Anspruch auf Krankenbehandlung besteht daher z.B. auch bei<br />
schmerzhaften chronischen Erkrankungen.<br />
Der aus § 4 AsylbLG häufig gezogene Umkehrschluss, dass wegen des dort geregelten Behandlungsanspruch<br />
bei "akuter" Erkrankung ein Anspruch (jedenfalls <strong>nach</strong> § 4) bei "chronischer" Krankheit nicht<br />
bestehe, ist auch deshalb fragwürdig, weil in vielen Fällen eine medizinisch sinnvolle Unterscheidung<br />
zwischen akuter und chronischer Krankheit gar nicht möglich ist, bzw. zumindest bei Nichtbehandlung<br />
ein akuter Krankheitszustand droht. Angesichts dessen, dass kein Arzt einem über Krankheit oder<br />
Schmerzen klagenden Patienten Diagnose und Behandlung verweigern darf, kann das Kriterium "akute<br />
Krankheit" allein im Sinne von "akuter Behandlungsbedarf" zur Heilung, Linderung oder Verhinderung<br />
von Krankheit interpretiert werden (Meyer/Röseler, § 4 Rn 7).<br />
Unaufschiebbarkeit, Unabweisbarkeit oder Unerlässlichkeit oder sonstwie gesteigerte Formen der Notwendigkeit<br />
einer Krankenbehandlung sind daher <strong>nach</strong> § 4 nicht erforderlich, solange die Krankheit entweder<br />
Schmerzen verursacht oder aber ein akuter Krankheitszustand bzw. ein akuter Behandlungsbedarf<br />
vorliegt. Es reicht die "Notwendigkeit" der Behandlung analog der Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung.<br />
Dabei hat die Behandlung <strong>nach</strong> den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst zu erfolgen.<br />
Nach § 4 sind z.B. auch orthopädische Einlagen bei schmerzhaften Plattfüßen (VG Osnabrück 6 B 61/99<br />
v. 22.11.1999, IBIS e.V. C 1515) oder orthopädische Schuhe (VGH Baden-Württemberg, Urteil 7 S<br />
920/98 v. 4.5.98, IBIS e.V.: C1348, FEVS 1999, 33) zu leisten. In solchen Fällen statt dessen z.B.<br />
Schmerzmittel zu verabreichen, wäre medizinisch falsch und daher unzulässig.<br />
Einschränkungen gibt es <strong>nach</strong> § 4 beim Zahnersatz. Unaufschiebbar im Sinne von § 4 ist Zahnersatz,<br />
wenn Folgeschäden bei Nichtbehandlung drohen oder bereits eingetreten sind (Verlust von weiteren<br />
Zähnen; Magenerkrankung durch fehlende Kaufähigkeit etc.). Die Einschränkungen des § 4 beziehen<br />
sich nicht auf Zahnbehandlungen, bei denen kein Zahnersatz geleistet wird. Hier reicht es, dass die<br />
Zahnerkrankung akut behandlungsbedürftig oder schmerzhaft ist. Kariesbehandlungen, Wurzelbehandlungen<br />
etc. sind daher ohne Einschränkung zu leisten.<br />
Anspruch Schwangerer <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> AsylbLG<br />
Schwangere haben <strong>nach</strong> § 4 Abs. 2 AsylbLG wie gesetzlich Versicherte einen uneingeschränkten Anspruch<br />
auf Vorsorgeuntersuchungen, Leistungen zur Entbindung, Pflege etc.<br />
Anspruch auf Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> AsylbLG<br />
Nach § 4 Abs. 3 AsylbLG besteht - auch ohne Vorliegen einer akuten oder sonstigen Erkrankung - Anspruch<br />
auf Krankenscheine für "medizinisch gebotene" Vorsorgeuntersuchungen. Was geboten ist, richtet<br />
sich <strong>nach</strong> den Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. dazu im Einzelnen §§ 20 bis 26 und<br />
30 SGB V). Zahnkrankenscheine können zum Zweck der Vorsorge unter 18 Jahren alle 6 Monate, da<strong>nach</strong><br />
jährlich beansprucht werden. Krankenscheine für ärztliche Vorsorgeuntersuchungen können<br />
Schwangere, kleine Kinder (U1 bis U10), Frauen (gynäkologische Untersuchung), alle Menschen ab 35<br />
(für eine Gesundheitsuntersuchung alle 2 Jahre), Frauen ab 20 und Männer ab 45 (Krebsvorsorge einmal<br />
jährlich), sowie neu eingereiste Flüchtlinge ohne Asylantrag (eine freiwillige Untersuchung dürfte<br />
analog § 62 AsylVfG regelmäßig geboten sein) beanspruchen.<br />
Nach § 4 Abs. 3 besteht - ebenfalls auch ohne Vorliegen einer akuten oder sonstigen Erkrankung - zu<strong>dem</strong><br />
Anspruch auf "amtlich empfohlene Schutzimpfungen". Neben den üblichen Kinderimpfungen haben<br />
auch Erwachsene Anspruch auf Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Polio sowie <strong>nach</strong> individuellem<br />
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