Volle Kraft vorausANLEITUNG ZUM ANDERS MACHENOtto Herz, Reform-Pädagoge und Diplom-PsychologeDie folgenden Maßstäbe wurden bereits Mitte der 80erJahre konzipiert. Auch 30 Jahre später sind sie nichtunaktuell geworden – ganz im Gegenteil: Sie wartennoch immer an vielen Orten auf ihre Einlösung!1. Eigentätigkeit fördernKinder müssen eigenen Fragen nachspüren, eigeneInteressen entwickeln, eigene Handlungsmöglichkeitenerproben können – gerade in und durch Schule. Werdaran gehindert wird, dem verkrüppelt das Selbst. DieEntwicklung der Eigentätigkeit fördert das notwendige,das Lebenslange Lernen.Als Aufgabe stellt sich: Was sind bewährte, was zu entwickelndeFormen der Förderung der Eigentätigkeit inder Schule und durch die Schule?2. Schlüsselprobleme aufgreifenLernen kann sich nie auf „alles“ beziehen und es darfnie beliebig sein. Im Mittelpunkt des Lernens müssendie Fragen stehen, die den einzelnen Menschen unddie Menschheit als Ganzes bewegen. FeststehendeCurriculumvorgaben und andere Bevormundungen er -füllen diese Bedingungen häufig nicht. Um die Schlüssel -probleme zu orten, ist vielmehr der Diskurs aller Betei -ligten gefordert.Als Aufgabe stellt sich: Wo sind Orte, was sind die Ver -fahren, was sind die Prüfkriterien zur Ermittlung derSchlüs selprobleme und welche Handlungsformen sindnötig, um sie verantwortungsvoll aufzugreifen?3. Die Umwelt als Mitwelt gestaltenWer in der Lernwelt Mitgestaltungsmöglichkeitenerfährt, wird sich gewiss werden, dass er nicht nurObjekt ist, sondern selbst Subjekt der Geschichte werdenkann. Das gilt auch für die Umwelt, die kein fremdesGegenüber ist, sondern deren Teil wir selbst sind.Die Umwelt ist unsere Mitwelt. Wer versucht, dieUmwelt als Mitwelt zu gestalten, wird häufig auf Wider -stände stoßen. Ihre Ursachen zu erkennen, schafftBewusstsein. Ihre Überwindung fordert die ganze Per -son und viele Personengruppen.Als Aufgabe stellt sich: Wodurch kann auch die Schulezur Verwurzelung der Erfahrung verhelfen, dass dieLern- und Lebenswelt als integrierende Mitwelt zugestalten ist?84. Die Vielfalt fremder Kulturen verstehenFriede im Kleinen wie im Großen ist nur zu erreichen undzu sichern, wenn wir die Vielfalt der Kulturen erkennen,sie verstehen und achten. Dafür müssen wir ihnen offenbegegnen. Die Vielfalt der Kulturen ist eine Bereicherungund nicht primär eine Belastung und Bedrohung, dennlernen können alle von allen. Wirklicher Fortschritt bedarfder achtungsvollen, der sicher anstrengenden Aufar bei -tung unterschiedlicher Traditionen.Als Aufgabe stellt sich: Wie kann die Schule Inter-Kul tu -relles Lernen fördern und Inter-Kulturelles Leben pflegen?5. Die Vielfalt der eigenen Kultur belebenDie Vielfalt innerhalb einer Kultur ist ein Maß für derenLebendigkeit. Deshalb gilt es, auch die Vielfalt in der ei -genen Kultur zu entdecken, zu achten und ihre Ur -sachen zu verstehen. Wer dieser Vielfalt nachgeht, wirddifferenzierter denken und sich vor vereinfachendenKlischees schützen. Wer dazu beiträgt, die Vielfalt dereigenen Kultur zu beleben, wird sich von beschränktenund beschränkenden Rollen befreien.Als Aufgabe stellt sich: Wie kann in der Schule und imaußerschulischen Umfeld die Vielfalt der Kulturen erlebtund – im Interesse der Emanzipation – belebt werden?6. Maßstäbe für Qualität entwickelnOhne Qualität sind die Herausforderungen der Mo der -ne nicht zu bewältigen. Leistung ist gefragt und wirdnicht diskreditiert. Als Leistung zählt, was dem Ge -mein wesen als Solidargemeinschaft in seiner Ge samt -heit dient. Was in diesem Sinne Leistungen sind undwie sie erworben werden, dafür sind Maß stäbe zu entwickelnund umzusetzen. Die Schule ist daran zu messen,was sie dazu beiträgt. Selektionen sind Miss stän -de, keine Maßstäbe.Als Aufgabe stellt sich: Welche Mittel helfen Schüler -innen und Schülern, aber auch allen anderen Lern -bereiten, in diesem Sinne Gutes zu leisten?7. Verantwortung übernehmenDer „Ohne-mich-Michel“ bringt auf die Dauer weder sich,noch anderen Glück. Kinder und Jugendliche haben inder Regel eine hohe Bereitschaft, Verant wortung zu übernehmen,wenn es um Dinge geht, die ihnen selbst undauch objektiv wichtig ist. Weniger Bevormundung und
Volle Kraft vorausmehr Chancen zur Übernahme von Verantwortung sindgefragt. Das Andienen lästiger Aufgaben ist ein Miss -brauch kindlicher Verantwor tungs bereitschaft.Als Aufgabe stellt sich: Was sind geeignete und gefragteAufgaben, wo finden sie sich und wie lassen sie sichvon Lerngruppen ernsthaft übernehmen?8. Muße erfahren„Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast größerwird.“ (F. Nietzsche) Hast und Hektik verhindern dasLernen. Wer immer mehr in immer weniger Zeit durchnehmenwill, der schadet dem Lernauftrag der Schule.Er verzieht statt zu erziehen. Muße ist keine Leere, sondernein Moment der Kraft.Als Aufgabe stellt sich: Wie kann mehr kraftspendendeRuhe, Stille, Sammlung, Entspannung und Meditationin die Schule einziehen?9. Solidarität praktizierenJede Person und auch jede Institution ist immerzu aufAnregung und Unterstützung durch andere angewiesen.Solidarität meint, die entwickelten Eigenfähig kei -ten in gemeinsame Problemlösungsprozesse einzubringen.Auf diese Weise wird Leistung gefördert undnicht verhindert. Integratives Lernen heißt die Richtungfür praktizierte Solidarität in der Schule.Als Aufgabe stellt sich: Wie kann in einer IntegriertenSchule Solidarität gelebt werden, wie kann die Schuleein solidarischer Partner in ihrem Umfeld und für diesessein und werden?10. Humor und Heiterkeit pflegenHumor ist eine Quelle auch für ernsthafte Einsichten.Heiterkeit gibt Kraft in einer Welt der Bedrückungenund Bedrohungen. Fröhliches Lachen und intensivesLernen ergänzen sich gut. Humor und Heiterkeit sindQualitäten des Herzens.Als Aufgabe stellt sich: Wie wächst in der Schule eineAura, die zu freudvollem Lernen einlädt?11. Den Geist der Aufklärungernst nehmenDer Ausgang aus der selbst verschuldeten Un mün -dig keit bleibt das Kerncurriculum aller Lern prozesse.Dazu gehört Kritikfähigkeit und weil sie sich auchgegen sich selbst richtet, ist sie keine Besser wisserei.Dazu gehört auch Konfliktfähigkeit, wenn man nichtzum schuldigen Mitläufer und Mittäter werden will.Konfliktfähigkeit wiederum braucht die Bereitschaftzur Verständigung und zur Versöhnung. Konflikte lohnen,wenn sie wertvoll sind.Als Aufgabe stellt sich: Wie lehren und lernen wir, damitmöglichst viele Scheu-Klappen von uns abfallen?12. Dem Geist der Utopie Räume eröffnenDer Stoff, aus dem die Träume sind, ist ein Roh-Stoff,den Kinder und Jugendliche immer wieder neuschöpfen und formen wollen. Wer diesen Rohstoffgering schätzt, schadet dem Lernen. „Think Tanks“gibt es viele. „Dream-Fields“ brauchen wir auch, dennnur mit Phantasie und Kreativität lassen sich notwendigeTraum-Landschaften entwerfen, entdecken,entfalten.Als Aufgabe stellt sich: Wie sehen Kreativ-Räumeaus, woraus und wie können sie gestaltet werden,damit nicht immer mehr um uns herum und in unsversteinert?13. ???Das 13. Gütekriterium ist nicht das der bösen Fee. Esist unbenannt, weil – dem Vorausgehenden folgend –Platz sein muss für das, was jedem Einzelnen als dasfür ihn Wichtige fehlen möge. Offenheit muss sein imProzess der Öffnung.Als Aufgabe stellt sich: Was ist Dein Maßstab für eineGute Schule, der hier noch nicht genannt ist?