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62 <strong>Das</strong> <strong>Stadtgespräch</strong><br />
Redensarten<br />
untersucht<br />
Sich einen Ast lachen<br />
Neulich habe ich wieder einmal<br />
einen Ausdruck gehört, der mir<br />
schon lange nicht mehr unter<br />
gekommen ist. Da sagte nämlich<br />
jemand, er habe sich einen Ast<br />
gelacht. Verstanden habe ich sofort,<br />
dass er sich kaputt gelacht<br />
hat oder vor Lachen gekrümmt<br />
hat. Aber was hat das alles mit einem<br />
Baum zu tun? Gar nichts, wie<br />
die Sprachwissenschaft erläutert.<br />
Während das Wort für den Teil<br />
eines Baumes buchstäblich den<br />
alten Germanen bekannt und damit<br />
über eintausend Jahre alt ist,<br />
ist die Bedeutung, um die es hier<br />
geht, relativ neu. Den Auswuchs<br />
oder Knorren im Holz bezeichnete<br />
man im 19. Jahrhundert ebenfalls<br />
als Ast oder als Buckel. Mit Ast<br />
ist also der Buckel, der krumme<br />
Rücken gemeint. Und sich einen<br />
Ast lachen bedeutet, dass man so<br />
heftig lacht, dass sich der Rücken<br />
krümmt. Genauso verhält es sich<br />
mit asten. Die Bedeutung von asten,<br />
im Sinne von schwer tragen<br />
und dabei einen Buckel machen,<br />
ist noch jünger, denn sie stammt<br />
aus dem vergangenen Jahrhundert,<br />
sagt jedenfalls das schlaue<br />
Herkunftswörterbuch von Duden.<br />
Halt die Ohren steif<br />
Der Ausdruck Ast für Rücken ist<br />
schwer rekonstruierbar, für die<br />
Ohren dagegen erschließt sich der<br />
Sinn schon einfacher. Obwohl der<br />
Sich einen Ast lachen<br />
Ratschlag »halt die Ohren steif«<br />
für Menschen eigentlich keinen<br />
Sinn ergibt. Die allerwenigstens<br />
der Sorte Homo Sapiens kann<br />
auch nur mit den Ohren wackeln,<br />
geschweige denn sie steif oder<br />
schlapp halten. <strong>Das</strong> ist im Tierreich<br />
schon ganz anders, auch bei<br />
Tieren, die seit Jahrtausenden mit<br />
dem Menschen zusammen leben.<br />
Jeder Reiter weiß, dass Pferde sehr<br />
wohl die Ohren spitzen (sinnlos<br />
bei Menschen auch das: Spitz die<br />
Ohren!). Wenn Pferde die Ohren<br />
steif halten, dann sind sie ganz<br />
besonders aufmerksam. <strong>Das</strong> gilt<br />
auch für Hunde, denn selbst bei<br />
schlappohrigen Rassen stellen sich<br />
die Lauscher auf. Erschöpfte Tiere<br />
dagegen lassen die Ohren hängen.<br />
Damit man sich nicht unterkriegen<br />
lässt und munter ist, soll man daher<br />
die Ohren steif halten.<br />
Stein und Bein schwören<br />
Auf eine weitere Eigentümlichkeit,<br />
die mit einem Teil des Körpers zu<br />
tun hat, stößt man andauernd:<br />
»Ich hätte Stein und Bein geschworen«,<br />
sagt derjenige, der sich seiner<br />
Sache ganz sicher war. Mit Bein ist<br />
allerdings nicht das Bein gemeint,<br />
sondern das, was heute nur noch<br />
in »Gebeine« steckt, also der Knochen.<br />
Na gut, in Kombinationen<br />
kommt Bein als Knochen doch<br />
noch vor: Nasenbein, Jochbein,<br />
Schambein. Doch auch mit der Erkenntnis,<br />
dass Bein Knochen heißt,<br />
ergibt Stein und Bein keinen Sinn.<br />
Die Antwort liegt wie so oft in<br />
der Geschichte. Rund anderthalb<br />
Jahrtausende ist es her, dass zum<br />
ersten Mal belegt ist, dass auf Reliquien,<br />
also Gebeine eines Heiligen<br />
geschworen wurde. Davor wurde<br />
in unseren Breiten gerne auf heilige<br />
Steine geschworen. Wir erinnern<br />
uns, dass der große Karl erst<br />
um 800 die letzten Heiden seines<br />
Reichs unterwarf. In der Folgezeit<br />
wollte man offenbar sicher gehen,<br />
dass ein Schwur nicht schief ging<br />
und man versicherte sich doppelt,<br />
indem man sowohl beim heidnischen<br />
Stein als auch beim christlichen<br />
Heiligenknochen seinen<br />
Schwur besiegelte. So jedenfalls<br />
sehen das einige Gelehrte. Andere<br />
sagen, dass einfach die Härte von<br />
Knochen durch den Vergleich mit<br />
Steinen hervorgehoben werden<br />
sollte. Aber ich schwöre Stein und<br />
Bein, dass das eine langweilige<br />
Deutung ist und der Doppelschwur<br />
für unsere Breiten besser passt.