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Geldwäscherei mit Derivaten von Wolfgang Hafner und Gian Trepp

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die Ebene des individuellen Versagens. Nach Meuser/Nagels Ausführungen führen folgende<br />

Umstände zu einem Scheitern <strong>von</strong> Experteninterviews:<br />

- Der vermeintliche Experte blockt das Interview ab, weil er zum Thema gar kein Experte ist<br />

- Der Experte spricht über Internas<br />

- Er wechselt häufig die Rolle zwischen Privatmensch <strong>und</strong> Experte<br />

- Er referiert, ohne auf die Fragen einzugehen. 36<br />

Dieser weitgehend die theoretischen Rahmenbedingungen einer Umfrage nicht<br />

berücksichtigende Ansatz erwies sich für uns - im Rückblick beurteilt - als unbrauchbar.<br />

2.1.3 Alternative Ansätze<br />

Einer anderen Wissenschaftstradition, die das Expertenwissen relativiert, ist der<br />

Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend verpflichtet. Er stellt dem spezifischen<br />

Expertenwissen den „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“ gegenüber. Feyerabend schreibt: „Das<br />

Denken des Durchschnittswissenschaftlers ist nicht klarer als das Denken des Laien, sondern<br />

nur einförmiger.“ Feyerabend verweist ferner auf mögliche starke Interessenbindungen bei<br />

wissenschaftlichen Untersuchungen: „Wissenschaftler (sind) in wichtigen Dingen nur selten<br />

einer Meinung, <strong>und</strong> finanzielle Überlegungen spielen bei ihren Entschlüssen gelegentlich eine<br />

grosse Rolle (ein populäres Schlagwort in Amerika ist ‘you can buy any evidence you want’.“<br />

37<br />

2.1.4 Strukturelle Hintergründe der Expertenbefragungen<br />

Überlegungen zu der Interessenlage der Experten <strong>und</strong> Expertinnen reflektieren weniger<br />

strukturell bedingte Interessen, sondern vor allem den sozial- oder individualpsychologischen<br />

Hintergr<strong>und</strong> bestimmter Aussagen. Der Soziologe Hartmut Esser etwa beurteilt das<br />

Befragtenverhalten in dem Aufsatz „Können Befragte lügen?“ als „Spezialfall einer<br />

allgemeinen Theorie des situations-orentierten Handelns.“ 38 Nach Esser wählen die Befragten<br />

die Reaktionen auf Fragen aus, „die ihre Ziele (vermutlich) am ehesten bedient <strong>und</strong> ihre<br />

Identität möglichst bestärkt oder wenigstens unbeschädigt erhält.“<br />

Wie aber ist die Identität der im Finanzsektor oder - präziser - im Derivatgeschäft tätigen<br />

„Experten“ beschaffen? Unseres Wissens gibt es über diesen Bereich keine soziologischen<br />

oder auch wirtschaftssoziologischen Studien. Einzig ein Aufsatz des Ökonomen <strong>und</strong><br />

Professors für Buchprüfung Prem Sikka beschreibt - zugespitzt - die Londoner City als<br />

losgelöstes, sich verselbständigendes Gebilde: „The City operates like a medieval<br />

principality.“ 39 Wenn sich die Londoner City - als ein Beispiel eines Finanzbezirkes -<br />

tatsächlich eigene Regeln gibt, so kann eine Expertenbefragung auch nicht die erhofften<br />

klaren Antworten auf die <strong>von</strong> uns gestellten Fragen liefern, da das oben beschriebene<br />

positivistische Vorgehen die Logik des anderen Systems nicht berücksichtigt. Zugänge zu<br />

diesem mehr oder weniger abgeschlossenen System würden sich in diesem Falle nur bei<br />

allfälligen Insider-Reports oder aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Aussagen <strong>von</strong> Ausgestiegenen finden.<br />

36 Meuser/Nagel, a. a. O., S. 450<br />

37 Paul Feyerabend unter dem Stichwort „anarchische Erkenntnistheorie“ in: Handlexikon der Wissenschaftstheorie,<br />

herausgegeben <strong>von</strong> Helmut Seiffert <strong>und</strong> Gerard Radnitzky, München, 1989. Unsere Erfahrungen bestätigen im<br />

Wesentlichen diese Aussage. Einer der befragten, auf <strong>Geldwäscherei</strong>fragen spezialisierten Anwälte beispielsweise<br />

erk<strong>und</strong>igte sich relativ rasch nach der Anfrage zu einem Gespräch, ob wir bereit seien, ihn für seinen Zeitaufwand<br />

nach den für diese Fälle normalen St<strong>und</strong>enansätzen zu entschädigen. Da wir aufgr<strong>und</strong> der finanziellen Dotierung<br />

unseres Projektes dazu nicht in der Lage waren, einigten wir uns auf den Austausch <strong>von</strong> Papieren<br />

38 Hans Esser: „Können Befragte lügen?“, in Kölner Zeitschrift für Soziologie <strong>und</strong> Sozialpsychologie, Jg. 38., 1986, S.<br />

314 - 336<br />

39 Prem Sikka: „Calling the City to Account“, aus: The Tribune, 4. April 1997, p 1

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