Glückauf - Windhoff Bahn
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Aufstieg und Fall des<br />
Johann Cäsar Godeffroy<br />
Für den Bau eines Hütten- bzw.<br />
Stahlwerkes ist vor allem eins<br />
notwendig: Geld. Der prominenteste<br />
und wichtigste Geldgeber<br />
für das Eisenhüttenwerk in der Nähe<br />
Osnabrücks war natürlich König<br />
Georg. Bis zu seiner schmachvollen<br />
Vertreibung durch die Preußen<br />
1866 hat er einen erheblichen<br />
Betrag in „das vaterländische Unternehmen“<br />
im Dütetal investiert<br />
– und damit weitere Geldgeber animiert,<br />
seinem Beispiel zu folgen.<br />
Unter den Investoren ist auch<br />
der Hamburger Geschäftsmann Johann<br />
Cäsar Godeffroy. Während<br />
Georg nur aus dem Exil verfolgen<br />
kann, wie die Hütte die Anfangsschwierigkeiten<br />
überwindet und<br />
erste Gewinne abwirft, wird Johann<br />
Cäsar Godeffroy 1868 für seinen finanziellen<br />
Einsatz mit einer Dividende<br />
von 33 Prozent belohnt.<br />
Godeffroy stammt aus einer der<br />
reichsten Familien Deutschlands.<br />
Sein Großvater hatte von einem<br />
Onkel in Niederländisch-Guyana<br />
eine Plantage mit 374 Sklaven<br />
geerbt, verkauft und das Geld erfolgreich<br />
in Überseegeschäfte investiert.<br />
Sein Vater verschiffte als<br />
Kaufmannsreeder von Kuba und<br />
Haiti Kaffee und Zucker in das<br />
nach exotischen Genüssen gierende<br />
Deutschland.<br />
Nach dessen Tod 1845 baut Sohn<br />
Johann Cäsar die Reederei zu einer<br />
der größten des Landes aus. Seine<br />
Leute treibt er zur schnellen und<br />
effektiven Arbeit mit dem Spruch<br />
„Time is money“ an.<br />
Es ist die Zeit der Auswanderer,<br />
der „Kolonialwaren“, des<br />
Goldrausches. Besonders gewinnbringend<br />
ist die Fracht der „Kopraschiffe“.<br />
Von mehr als fünfzig<br />
Südseeinseln lässt er getrocknete<br />
und zerkleinerte Kokosnusskerne<br />
holen, aus denen in Europa Seife<br />
gemacht wird.<br />
Time is money<br />
Godeffroy gehört bald zu den<br />
reichsten und angesehensten Kaufleuten,<br />
dem auch der Staat blind<br />
vertraut. Der Duft der großen weiten<br />
Welt umgibt ihn – was ihm einen<br />
tadellosen Ruf als Geschäftsmann<br />
verschafft.<br />
Übermütig und kühn, im geradezu<br />
sorglosen Vertrauen auf seine<br />
glückliche Hand, beteiligt er sich<br />
an den verschiedensten Unternehmungen.<br />
So eben auch 1856 an der<br />
Aktiengesellschaft Georgs-Marien-<br />
Bergwerks- und Hüttenverein – was<br />
gewiss kein Fehler ist. König Georg<br />
steht ja selbst mit Geld aus seiner<br />
Privatschatulle Pate.<br />
Als in den 1860er Jahren das Eisenhüttenwerk<br />
endlich schwarze<br />
Zahlen schreibt, wird rasch überlegt,<br />
wie man den Gewinn noch<br />
steigern, die Ausschüttung noch<br />
größer machen könne.<br />
Das Werk stellt auf der Grundlage<br />
des schwefelarmen Hüggelerzes<br />
erstklassiges Roheisen her, das in<br />
ganz Deutschland Abnehmer findet.<br />
Vor allem Krupp in Essen ist<br />
an dem Roheisen interessiert, denn<br />
es lässt sich im Bessemer-Verfahren<br />
zu hochwertigem Stahl verarbeiten.<br />
Warum aber das gute Roheisen<br />
verkaufen? Warum nicht ein Stahl-<br />
STAHL<br />
Ein Hamburger Geschäftsmann investiert in das modernste Stahlwerk<br />
Deutschlands – und bringt sich dabei um sein ganzes Vermögen.<br />
werk bauen und es<br />
selbst verarbeiten?<br />
Die Direktoren<br />
Dr. Hermann<br />
Müller und Carl<br />
Wintzer halten<br />
dies für sinnvoll –<br />
der Verwaltungsrat<br />
lehnt ab. Noch sind die<br />
schlechten Erinnerungen<br />
an den Bau des Eisenhüttenwerkes<br />
zu frisch, um erneut ein Risiko zu<br />
wagen. Diesmal steht ja kein König<br />
mit offener Privatschatulle parat.<br />
Aber immerhin werden die Direktoren<br />
beauftragt, nach Geldgebern<br />
für eine weitere Aktiengesellschaft<br />
zu suchen.<br />
Johann Cäsar Godeffroy, der<br />
schon vom Eisenhüttenwerk im<br />
Dütetal finanziell profitierte, interessiert<br />
sich und unterschreibt am<br />
10. Juni 1867 in Bad Ems einen<br />
Vertrag. Darin verpflichtet er sich,<br />
das zur Anlage eines Stahlwerks<br />
geeignete Grundstück in der Osnabrücker<br />
Feldmark für 28.000 Taler<br />
zu erwerben und weitere Geldgeber<br />
zu suchen.<br />
Weshalb Osnabrück – und nicht<br />
Georgsmarienhütte? In der Chronik<br />
„150 Jahre Stahl aus GMHütte“<br />
heißt es, „… dass trotz der guten<br />
Ertragslage den Aktionären des<br />
GMBHV die Risikobereitschaft fehlte,<br />
ein Stahlwerk in Georgsmarienhütte<br />
zu bauen, und ein Teil von<br />
ihnen daraufhin die Eisen- und<br />
Stahlwerk Osnabrück AG gründete“.<br />
Godeffroy hat gute Geschäftskontakte.<br />
Bald kann die Aktiengesellschaft<br />
„Eisen- und Stahlwerk zu<br />
Osnabrück“ gegründet werden. Auf<br />
Gewagte Begegnung<br />
GMHütte · Versöhnung statt Ressentiments stand im Vordergrund.<br />
Zwei niederländische Überlebende<br />
des Arbeitserziehungslagers<br />
Ohrbeck und der Sohn eines<br />
im Lager getöteten Niederländers<br />
wagten die Begegnung mit<br />
der Vergangenheit. Das Lager ist<br />
inzwischen Teil der „Gedenkstätte<br />
Augustaschacht“, die von der<br />
Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte<br />
finanziell gefördert wurde.<br />
Der Osnabrücker NS-Forscher<br />
Dr. Volker Issmer hatte den Besuch<br />
angeregt und die Gäste mit<br />
begleitet und betreut. Hier beschreibt<br />
er eindrucksvoll den Besuch<br />
der Gedenkstätte:<br />
Der Raum im zweiten Obergeschoss<br />
ist ganz kahl, aber sehr<br />
hell. Ein Fenster öffnet sich zum<br />
früheren Appellplatz und zur Hüggelbahn.<br />
„Das war die Krankenstube.<br />
Da habe ich gelegen, und<br />
nichts wurde an meinen Verwundungen<br />
gemacht. Mein Bruder<br />
hat mir zugerufen, ich sollte mich<br />
gesund melden, und dass ich wieder<br />
an die Arbeit gehen könnte.<br />
Sonst kam man nicht lebendig<br />
aus dieser Stube heraus.“ Pieter<br />
Hofstra hat es geschafft. Hendrik<br />
Willem Gaertman schweigt, als er<br />
diese Geschichte hört. Sein Vater,<br />
dessen Vornamen auch der Sohn<br />
trägt, hat es nicht geschafft. Er ist<br />
damals, Anfang 1945, wie Pieter<br />
Hofstra an der Haltestelle Augusta-<br />
Foto: Kerstin Fischer<br />
Bittere Vergangenheit, versöhnliche Gegenwart. Die Gäste aus den Niederlanden waren<br />
sehr froh darüber, dass der Besuch in der Gedenkstätte möglich war und dass die<br />
GMHütte die Einladung mit initiiert hatte (hintere Reihe, von links nach rechts): Rien<br />
Hofstra, Reyer van Kralingen, Dr. Klaus Lang und Dr. Volker Issmer. Vordere Reihe, von<br />
links nach rechts: Michael Gander, Hendrik Willem Gaertman, Pieter Hofstra, Wilfried<br />
Hülsmann, Jules Schenck de Jong, Lea Schenck de Jong und Nelly Rölker.<br />
schacht unter die Räder des anrollenden<br />
Zugs gekommen. Hat sich<br />
die Häftlingskolonne von selbst in<br />
Bewegung gesetzt, weil jeder möglichst<br />
schnell in den Güterwaggon<br />
steigen wollte, der wenigstens et-<br />
glück auf · 4/2007 .......... 15<br />
1 Mio. Taler wird das Grundkapital<br />
festgesetzt, von denen 600.000<br />
Taler sofort durch Aktienzeichnung<br />
akquiriert werden sollen. Godeffroy<br />
wird Aufsichtsratsvorsitzender.<br />
Das Werk wird großzügig geplant:<br />
Es sollte das „erste große nach<br />
einem einheitlichen Plane entworfene<br />
Besse mer-Stahlwerk in<br />
Deutschland“ sein (H. Müller,<br />
Der Ge orgs-Marien-<br />
Bergwerks- und<br />
Hüt tenverein,<br />
Bd. 1, S. 69). Auch<br />
die Aussichten<br />
schienen glänzend<br />
zu sein, wie<br />
der Werkschronist<br />
schreibt: Das<br />
Roheisen wird nur<br />
acht Kilometer weiter<br />
südlich erzeugt,<br />
die Lage des Werkes ist<br />
verkehrstechnisch günstig und der<br />
Stahlhunger des Marktes ungebrochen.<br />
Doch wie beim 1856 gebauten<br />
Eisenhüttenwerk im Dütetal ergibt<br />
sich ein Problem nach dem anderen.<br />
Die Bauten gehen langsamer<br />
voran als geplant, Arbeitskräfte<br />
sind rar und vieles ist (mal wieder)<br />
nicht einkalkuliert worden.<br />
Aber man ist euphorisch, plant<br />
großzügig noch ein Schienenwalzwerk<br />
dazu. Die dafür nötige Geldsumme<br />
kommt diesmal als Darlehen<br />
vom Hamburger Geschäftsmann<br />
Mutzenbecher, der bis 1872<br />
250.000 Taler bereitstellt. Alle sind<br />
zuversichtlich, der Bau des Schienenwalzwerks<br />
beginnt.<br />
Doch dann kommt der Deutsch-<br />
Französische Krieg, der Verkehrswege<br />
blockiert und Arbeitskräfte<br />
als Soldaten abzieht. Alles ist auf<br />
den Betriebsbeginn 1870 kalkuliert,<br />
aber 1871 sind wichtige Betriebsteile<br />
immer noch nicht fertig.<br />
Arbeiten müssen fremd vergeben<br />
und teuer bezahlt werden.<br />
Von der Öffentlichkeit unbemerkt,<br />
muss Godeffroys Imperium<br />
in dieser Zeit die ersten Risse bekommen<br />
haben. Er besitzt 80 Pro zent<br />
der Aktien und beginnt, Löcher mit<br />
was Schutz vor der Kälte bot? Oder<br />
wurden sie von den Bewachern<br />
vorangetrieben? Es wird sich wohl<br />
nie mehr klären lassen.<br />
Fest steht allerdings, dass<br />
Hendrik Willem Gaertman die Verletzungen<br />
und die „Behandlung“,<br />
die er in der „Krankenstube“ erlitt,<br />
nicht überlebt hat. Seine Frau starb<br />
zwei Jahre nach Kriegsende an „gebrochenem<br />
Herzen“, wie der Sohn<br />
erklärte. Die vier Kinder wurden auf<br />
die Verwandtschaft aufgeteilt – Zerstörung<br />
einer ganzen Familie!<br />
Pieter Hofstra und Hendrik<br />
Willem Gaertman waren auf Einladung<br />
der Gedenkstätte Augustaschacht<br />
und in Absprache mit der<br />
Georgsmarienhütte GmbH nach<br />
Ohrbeck zum Standort des ehemaligen<br />
Arbeitserziehungslagers gekommen.<br />
Die Idee entstand bereits<br />
im vorigen Jahr in Zusammenhang<br />
mit den Feiern zum 150. Jubiläum<br />
des Hüttenwerks. Die Georgsmarienhütte<br />
GmbH erklärte sich<br />
bereit, den Besuch mit zu ermöglichen<br />
und den Gästen das Werk<br />
zu zeigen. Michael Gander, der Geschäftsführer<br />
der Gedenkstätte Augustaschacht,<br />
traf die notwendigen<br />
organisatorischen Vorbereitungen.<br />
Leider gab es eine Reihe von Absagen<br />
„Ehemaliger“, die aus Gesundheits-<br />
und/oder Altersgründen<br />
die Fahrt ins Osnabrücker Land<br />
scheuten. Zu der kleinen Niederländer-Gruppe,<br />
die schließlich zum<br />
Augustaschacht kam, gehörte ein<br />
Krediten zu stopfen. Die Norddeutsche<br />
Bank, zu deren Gründungsmitgliedern<br />
er glücklicherweise<br />
zählte, hilft ihm dabei.<br />
No money, no future<br />
Aber auch in den Jahren darauf<br />
bleibt die erwartete Dividende von<br />
22 Prozent aus, die Stahlproduktion<br />
ist noch im Versuchsstadium.<br />
Probleme über Probleme, die sich<br />
nur mit Zeit und Geduld beheben<br />
lassen. „Time is money“ – der Leitgedanke<br />
seines eigenen Unternehmens<br />
wird ihm zum Verhängnis.<br />
Noch geben ihm die Banken<br />
aufgrund seiner florierenden Südseegeschäfte<br />
und seines „märchenhaften<br />
Landbesitzes“ in Übersee<br />
Geld. Doch nicht mehr lange.<br />
Ein Wirtschaftsspion der Reederei<br />
Norddeutscher Lloyd meldet<br />
nach Deutschland, dass Godeffroys<br />
Schiffe monatelang im Hafen liegen<br />
und auf Ladung warten und<br />
sein Landbesitz nicht größer ist als<br />
ein mittelgroßes Gut in Holstein.<br />
Der Mythos bricht zusammen.<br />
Die Londoner Bank Baring lehnt<br />
einen Wechsel ab. Godeffroy ist<br />
pleite. Bismarck startet einen staatlichen<br />
Rettungsversuch, der aber<br />
grandios scheitert. Zu lange schon<br />
hatte der Geschäftsmann von seinem<br />
guten Ruf gelebt, dem jegliche<br />
finanzielle Grundlage fehlte.<br />
1879 tritt Godeffroy von seinem<br />
Posten als Aufsichtsratsvorsitzender<br />
zurück, ein Jahr später scheidet<br />
er komplett aus. Nach dieser<br />
krisenhaften Zeit entwickelt sich<br />
das Stahlwerk prächtig. August<br />
Haarmann bringt mit seinen neuen<br />
Ideen über Eisenbahngleise das<br />
Werk in die Gewinnzone. Wie König<br />
Georg kann Johann Cäsar Godeffroy<br />
die Ernte nicht mehr einbringen.<br />
Er stirbt 1885 in seinem<br />
Hamburger Wohnhaus, das ihm<br />
nicht einmal mehr gehört.<br />
Inge Becher<br />
Informationen über Johann Cäsar Godeffroy:<br />
Gabriele Hoffmann, Schönwetter-Kapitalist,<br />
erschienen in der „Zeit“ vom 31.7.2003.<br />
zweiter Überlebender des Lagers.<br />
Jules Schenck de Jong war als Student<br />
zur Arbeit in Deutschland<br />
zwangsverpflichtet worden und<br />
hatte versucht, in die Heimat zu<br />
fliehen. Wegen „Arbeitsvertragsbruchs“<br />
wurde er für acht Wochen<br />
in den Augustaschacht eingewiesen.<br />
Das Lager verließ er mit einem<br />
bei einem Arbeitsunfall zerquetschten<br />
Daumen und einer<br />
Lungenentzündung.<br />
Die drei niederländischen Gäste,<br />
die jeweils in Begleitung kamen,<br />
blieben drei Tage lang. In dieser<br />
Zeit besuchten sie außer dem Hüttenwerk<br />
und dem Augustaschacht<br />
auch den früheren Gestapokeller<br />
im Osnabrücker Schloss, das Niederländische<br />
Ehrenfeld auf dem<br />
Heger Friedhof und den sogenannten<br />
„Ausländerfriedhof“ Meyerhöfen<br />
bei Bohmte. Auf beiden Friedhöfen<br />
sind zahlreiche Tote des Augustaschachts<br />
bestattet worden.<br />
Begleitet und betreut wurden<br />
sie während des Besuchs unter anderem<br />
von Michael Gander, Nelly<br />
Rölker, die als gebürtige Niederländerin<br />
seit Langem in Osnabrück<br />
lebt, sowie zeitweise von Dr. Klaus<br />
Lang und Wilfried Hülsmann, beide<br />
Geschäftsführer der GMHütte.<br />
„Es war eine gute Zeit, die wir<br />
hier verbracht haben“, sagte Herr<br />
Schenk de Jong beim letzten Beisammensein.<br />
„Wir haben neue<br />
Freunde gewonnen.“