Glückauf - Windhoff Bahn
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Der grenzüberschreitende Güterverkehr<br />
stellt hohe Anforderungen<br />
– logistisch, aber auch<br />
ökologisch. Im Mittelpunkt: die<br />
Reduzierung der Schallemission<br />
von Rad und Schiene. Hier stellt<br />
die TSI Noise, die neue internationale<br />
Spezifikation für die Festlegung<br />
der Schallemission an Eisenbahnfahrzeugen,<br />
bereits hohe<br />
Ansprüche – Ansprüche, denen<br />
sich auch die Radsatzfabrik Ilsenburg<br />
GmbH stellen muss. Auf<br />
dem 15. Internationalen Radsatzkongress<br />
in Prag referierte<br />
RAFIL-Geschäftsführer Jörg Villmann<br />
über ein entsprechendes<br />
RAFIL-BVV-Gemeinschaftsprojekt.<br />
glück auf wollte hierüber<br />
Genaueres von dem Projektverantwortlichen<br />
und Leiter Entwicklung<br />
und Konstruktion der<br />
RAFIL, Matthias Schwartze, wissen:<br />
glück auf: Welche Erfolge in der<br />
Lärmreduzierung sind denn bereits zu<br />
verbuchen?<br />
Matthias Schwartze: Die Umstellung<br />
von Grauguss- auf Kunststoff-<br />
Bremssohlen hat den Schallpegel<br />
der Güterzüge bereits deutlich<br />
reduziert. Voraussetzung dafür waren<br />
allerdings moderne eigenspannungsarme<br />
Radkonstruktionen,<br />
wie zum Beispiel das RAFIL-Glockenrad.<br />
Reicht dies in der Zukunft aus?<br />
Schwartze: Keineswegs. Deshalb<br />
haben wir zusammen mit dem<br />
Bochumer Verein ein Forschungsprojekt<br />
auf den Weg gebracht. Ziel<br />
ist es zu untersuchen, ob und wie<br />
wir das RAFIL-Glockenrad mit der<br />
unter anderem im Hochgeschwindigkeitsverkehr<br />
bewährten BVV-<br />
Absorbertechnologie kombinieren<br />
können.<br />
Über dieses Forschungsvorhaben hat<br />
RAFIL auch auf dem 15. Internationalen<br />
Radsatzkongress in Prag berichtet.<br />
Schwartze: Genau. Das Thema<br />
lärmarmer Eisenbahnbetrieb ist<br />
zukünftig ein bedeutendes Wettbewerbskriterium.<br />
Das konnte man<br />
allein schon an der Vielzahl der<br />
Fachvorträge zu dieser Thematik<br />
und am hohen Interesse der Kongressteilnehmer<br />
ablesen, die etliche<br />
Fragen zum Vortrag an Jörg<br />
Villmann richteten.<br />
Was wollen RAFIL und BVV erreichen?<br />
SCHMIEDE<br />
Leiser Grenzverkehr<br />
RAFIL · „Mundschutz“ für thermisch hoch beanspruchbare Güterwagenräder<br />
INTERVIEW<br />
Schwartze: Die gemeinsame Zielstellung<br />
zur Erreichung der Anforderungen<br />
an die Technische<br />
Spezifikation besagt: Die Kombination<br />
von RAFIL-Glockenrad und<br />
BVV-Absorbertechnologie soll den<br />
Schallpegel nochmals um etwa<br />
5 dB(A) im Güterzugverkehr reduzieren,<br />
und zwar bei den üblichen<br />
Geschwindigkeiten zwischen 80<br />
und 120 km/h.<br />
Und wie soll das technisch funktionieren?<br />
Schwartze: Die durch den Roll-<br />
Treibradsatz-Upgrade<br />
BVV · Auch Radsätze älterer Fahrzeuge können EN-Normen-tauglich werden.<br />
INTERVIEW<br />
Radsätze sind für die Sicherheit<br />
von Schienenfahrzeugen und deren<br />
Wirtschaftlichkeit von hoher<br />
Bedeutung. Deshalb waren sie<br />
auch Thema beim 15. Internationalen<br />
Radsatzkongress in Prag.<br />
Franz Murawa, Leiter Entwicklung<br />
und Konstruktion der Bochumer<br />
Verein Verkehrstechnik<br />
GmbH, referierte dort über die<br />
Beanspruchbarkeit von Radsatzwellen.<br />
glück auf befragte ihn dazu<br />
nach seiner Rückkehr:<br />
glück auf: Wie stark werden Radsatzwellen<br />
beansprucht?<br />
Franz Murawa: Der Betreiber erwartet<br />
eine Lebensdauer entsprechend<br />
Fahrzeuglebensdauer – also in der<br />
Regel 30 Jahre. Ein moderner Zug<br />
im Hochgeschwindigkeitsverkehr<br />
kann in dieser Zeit etwa 15 Mio. km<br />
zurücklegen. Kritisch dabei kann<br />
werden: Die Welle wird bei jeder<br />
Radumdrehung wechselnd auf<br />
Biegung beansprucht, bei einem<br />
Raddurchmesser von zum Beispiel<br />
920 mm etwa 350-mal pro km und<br />
etwa 4.500.000.000-mal während<br />
der gesamten Einsatzzeit. Dabei<br />
darf sie natürlich nicht durch Ermüdungsschäden<br />
ausfallen.<br />
Und was verursacht dieses fortgesetzte<br />
Biegen im Extremfall?<br />
Murawa: Bereits vor etwa 150 Jahren<br />
stellte August Wöhler an Radsatzwellen<br />
fest, dass Bauteile, die<br />
wechselnd auf Biegung beansprucht<br />
werden, brechen können – selbst<br />
bei deutlich niedrigeren Beanspru-<br />
Kongressfoto<br />
Foto: ?????<br />
Franz Murawa, Leiter Entwicklung und<br />
Konstruktion des Bochumer Vereins<br />
Verkehrstechnik<br />
chungen als zum Beispiel die Zugfestigkeit.<br />
Er stellte aber auch fest,<br />
dass es eine Beanspruchungsgrenze<br />
gibt. Wird diese Grenze nicht überschritten,<br />
brechen die Stahlteile<br />
auch nicht – unabhängig von der<br />
Anzahl der Wechselbelastungen.<br />
Diese Grenze wird als Dauerfestigkeitsgrenze<br />
bezeichnet.<br />
Was ergab sich daraus für den Bau<br />
von Radsatzwellen?<br />
Murawa: … erste Regelwerke zur<br />
Dimensionierung von Radsatzwellen,<br />
die immer weiter entwickelt<br />
wurden. Seit 2002 erfolgt die Gestaltung<br />
und Berechnung von Radsatzwellen<br />
nach Europa-Normen.<br />
Und womit befasste sich Ihr Vortrag?<br />
Murawa: Mit Forschungsergebnissen,<br />
die zeigen, dass auch bei Radsatzwellen<br />
mit ungünstigen Geo-<br />
Kongressfoto<br />
RAFIL-Geschäftsführer Jörg Villmann<br />
im Kongressforum<br />
me trien die zulässigen, in den Euro<br />
pa-Normen definierten Beanspruchungen<br />
bei Press- und Lagersitzen<br />
unterschritten werden können.<br />
Was heißt „ungünstig“?<br />
Murawa: Dass beispielsweise Press-<br />
und Lagersitze eng benachbart und<br />
nur schmale und flache Mulden zur<br />
Trennung der Sitze möglich sind.<br />
Mit welchen Nachteilen?<br />
Murawa: Wenn beispielsweise auch<br />
die Räder mit hohem Übermaß auf<br />
die Wellen aufgepresst sind, können<br />
an den Sitzenden zwischen<br />
Welle und Nabe bei jeder Umdrehung<br />
– begünstigt durch geringe<br />
Durchmesserverhältnisse zwischen<br />
Sitz und benachbarter Mulde –<br />
kleinste Gleitbewegungen auftreten.<br />
Diese Bewegungen können<br />
den sogenannten Passungsrost hervorrufen,<br />
der die Ermüdungsfestigkeit<br />
der Welle im Bereich der Sitze<br />
erheblich beeinflussen kann.<br />
Mit Folgen für Normen-Einhaltung?<br />
Murawa: Bei Neukonstruktionen<br />
von Radsatzwellen lassen sich im<br />
Regelfall die Konstruktionsanforderungen<br />
der europäischen Normen<br />
erfüllen. Bei Treibradsatzwellen<br />
können geometrisch diffizile<br />
Ausführungen erforderlich werden.<br />
Gerade der Getriebebereich<br />
kann aus Platzgründen durch sehr<br />
eng benachbarte Press- und Lagersitze<br />
gekennzeichnet sein. In<br />
diesem Fall lassen sich einige der<br />
Gestaltungsregeln der EN nicht immer<br />
einhalten und man kann auch<br />
nicht davon ausgehen, dass die in<br />
den Normen festgelegten Ermü-<br />
glück auf · 4/2007 ......... 24<br />
vorgang des Rades angeregten typischen<br />
Eigenschwingungen des<br />
Rades sollen durch eine entsprechend<br />
ausgelegte Bedämpfung<br />
nicht mehr angeregt werden.<br />
Hört sich für den Laien einfach an,<br />
erfordert aber für den Fachmann eine<br />
komplexe Lösungsstrategie. Welche?<br />
Schwartze: Jetzt wird es leider sehr<br />
fachspezifisch: Im ersten Schritt<br />
haben wir die thermischen Auswirkungen<br />
auf die Schallabsorber<br />
ermittelt und notwendige Anpassungen<br />
der Dämpfungsmaterialien<br />
und ergänzenden Isolierungskonzepte<br />
untersucht. Parallel dazu liefen<br />
rechnerische Untersuchungen<br />
an den Vollrädern unter Berücksichtigung<br />
des nicht-linearen Materialverhaltens<br />
mit verschiedenen<br />
Befestigungskonzepten wie umlaufenden<br />
Nuten und Axialverschraubungen.<br />
Grundlagen dieser Untersuchungen<br />
waren die Anforderungen<br />
des UIC-Merkblattes 510-5<br />
und der EN 13979-1.<br />
Dann haben wir geometrische<br />
Konstruktionsvarianten des Rades<br />
einschließlich des Befestigungssystems<br />
für den Schallabsorber<br />
betrachtet. Dort muss ein sinnvoller<br />
Konsens gefunden werden<br />
zwischen dem Eigenschwingungsverhalten<br />
und der mechanischen<br />
Festigkeit bzw. dem Eigenspannungsverhalten<br />
aufgrund der über<br />
den Radkranz eingeleiteten Bremswärme.<br />
Diese Betrachtungen müssen<br />
wir für alle Radkranzzustände<br />
durchführen – das heißt vom<br />
Neuzustand bis zum Verschleißzustand.<br />
Machen wir es wieder etwas einfacher:<br />
Wird es funktionieren?<br />
Schwartze: Sagen wir so: Es zeichnet<br />
sich deutlich ab, dass die vorliegenden<br />
bewährten Konzeptionen<br />
zur Radschalldämpfung auch<br />
auf das leise und thermisch hoch<br />
beanspruchbare Güterwagenrad<br />
übertragbar sind.<br />
Wann können wir mit ersten Ergebnissen<br />
rechnen?<br />
Schwartze: Voraussichtlich im<br />
nächsten Jahr können wir die ersten<br />
Prototypen des neuen, leisen<br />
Güterwagenrades fertigen. Sie<br />
durchlaufen dann intensiv verschiedene<br />
Prüfungen wie Bremsprüfstand,Dauerfestigkeitsprüfstand<br />
und akustische Messungen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
In der goldenen Stadt<br />
Bereits zum 15. Mal fand der Internationale Radsatzkongress statt, diesmal<br />
vom 24. bis 27. September in Prag. Alle drei Jahre bietet er Fachleuten<br />
von <strong>Bahn</strong>betreibern, Schienenfahrzeugindustrie, Forschungseinrichtungen<br />
und Radsatzindustrie die Gelegenheit, sich mit den neuesten weltweiten<br />
Entwicklungen zum Thema Radsätze zu beschäftigen und über neue<br />
Trends zu diskutieren. Dazu trafen sich etwa 300 Kongressteilnehmer aus<br />
32 Ländern und allen fünf Kontinenten. In über 70 Vorträgen wurde dabei<br />
über den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik berichtet. Schwerpunkte<br />
waren Rad/Schiene-Kontakt, Festigkeitsverhalten, Produktionstechnologien<br />
und Oberflächenbehandlungen, zerstörungsfreie Prüfungen,<br />
Geräuschdämpfung sowie Lebenszykluskosten und Instandhaltung. Auch<br />
die <strong>Bahn</strong>gruppe der GMH-Gruppe war auf diesem Kongress vertreten.<br />
dungsfestigkeiten der Press- und<br />
Lagersitze eingehalten werden.<br />
Wie wir Sie und den BVV kennen,<br />
konnten Sie eine Lösung präsentieren.<br />
Murawa: Es gibt in der Tat eine<br />
Möglichkeit, den Abfall der Ermüdungsfestigkeit<br />
bei ungünstigen<br />
Durchmesserverhältnissen zu vermeiden<br />
– und zwar durch die Beschichtung<br />
der Sitze mit einer<br />
dünnen Schicht Molybdän. Dies<br />
verlagert die zwangsläufig unter<br />
Biegebeanspruchung auftretenden<br />
Relativbewegungen im Bereich der<br />
Nabenenden von der eigentlichen<br />
Wellenoberfläche weg zur Molybdänschicht.<br />
Das hält schädigende<br />
Einflüsse dieser Gleitwege von der<br />
Welle fern. So erreicht man auch<br />
bei ungünstigen Geometrien die<br />
Festigkeitswerte der EN-Normen.<br />
Eine weitere und neue Möglichkeit<br />
ist das BVV-Randschichtverfahren,<br />
eine Kombination aus höherfestem<br />
Wellenwerkstoff. Sie besteht aus<br />
einer Randschichtbehandlung der<br />
gesamten Wellenoberfläche – vorzugsweise<br />
durch Gasnitrieren –<br />
und einer weiteren Beschichtung<br />
der Press- und Lagersitze – vorzugsweise<br />
mit Molybdän.<br />
Welche Vorteile hat diese Methode?<br />
Murawa: Im Vergleich zu vergleichbarennicht-randschichtbehandelten<br />
Wellen erhöht diese Kombination<br />
die zulässigen Spannungen<br />
der Press- und Lagersitze selbst bei<br />
ungünstigen Durchmesserverhältnissen<br />
um über 50 Prozent. Gegenüber<br />
den Werkstoffen nach den<br />
EN-Normen beträgt die Steige rung<br />
sogar über 100 Prozent. Zudem<br />
sind derartige Radsatzwellen unter<br />
anderem sehr korrosionsbeständig.<br />
Und wie steht es um die Festigkeitssteigerung?<br />
Murawa: Wir haben ein Produkt<br />
ge schaffen, mit dem man auch bei<br />
Treibradsatzwellen älterer Fahrzeu ge<br />
die EN-Normen nachweisen kann.<br />
Also solche, die noch nach älteren Berechnungsverfahren<br />
ausgelegt wurden.<br />
Murawa: Genau. Dies ist vielfach<br />
wegen erhöhter Sicherheitsmargen<br />
in EN-Normen nicht möglich. Notwendig<br />
werden solche neuen Festigkeitsnachweise,<br />
wenn Fahrzeuge<br />
modernisiert werden und zum<br />
Beispiel Klimaanlagen eingebaut<br />
werden sollen. Dann werden sie<br />
schwerer und ein neuer Festigkeitsnachweise<br />
muss her – orientiert am<br />
aktuellen Stand der Normen. Mit<br />
den randschichtbehandelten Wellen<br />
kann dieser Nachweis erbracht<br />
werden – ohne sonst erforderliche<br />
Geometrieänderungen.<br />
Ist eine Umrüstung aufwendig?<br />
Murawa: Getriebe, Lager und Drehgestell<br />
bleiben unverändert. Es<br />
braucht nur eine neue Welle. Vorhandene<br />
Aufbauteile können montiert<br />
werden und einer Neuzulassung<br />
steht nichts mehr im Weg.<br />
Wie war die Resonanz der Fachleute?<br />
Murawa: Der Markt zeigt sehr<br />
großes Interesse. Dies beweisen<br />
auch erste Serienlieferungen für<br />
Treibradsatzwellen für Straßenbahnfahrzeuge.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.