Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
leben<br />
» Alle Künstler, die frei arbeiten und ganz bewusst<br />
nicht den Mainstream bedienen, sind extrem<br />
gefährdet. Und damit die künstlerische Vielfalt. «<br />
ERICH SIDLER, Intendant Deutsches Theater Göttingen<br />
LESEZEIT: 9 MINUTEN<br />
Waren es früher große Gefühle,<br />
die den Stoff für Dra men<br />
lieferten, ist es heute ein<br />
winziges Virus. Mehrere<br />
Akte sind gespielt, aber der<br />
Ausgang ist noch immer<br />
ungewiss. Das Publikum<br />
verfolgt das Trauerspiel von<br />
außen, während drinnen ein großes Minus die Bühne<br />
betreten hat.<br />
„Ganze 24 Prozent Umsatzrückgang im vergangenen<br />
Corona-Jahr 2020 werden es in Bezug auf 400 Millionen<br />
Euro zwei Jahre zuvor in der Kultur- und Kreativwirtschaft<br />
in Südniedersachsen wohl sein“, erklärt Anne<br />
Bleimeister vom Niedersächsischen Wirtschaftsministerium.<br />
Wobei Kultur- und Kreativwirtschaft, kurz KKW,<br />
ein wirklich weiter Begriff ist: Er umfasst alles von sämtlichen<br />
Bereichen des Presse-, Architektur-, Werbe-, Kunstund<br />
Buchmarkts über die Software-/Games-Industrie bis<br />
zur Design-, Rundfunk-, Musik- und Filmwirtschaft und<br />
hin zum Markt für darstellende Kunst. Für Letzteren allein<br />
schätzt das Kompetenzzentraum Kultur- und Kreativwirtschaft<br />
des Bundes deutschlandweit ein Minus von<br />
85 Prozent. Und selbst dieses Minus trifft die Akteure<br />
unterschiedlich hart.<br />
EINRICHTUNGEN ÜBERLEBEN ZWAR dank Sonderprogrammen,<br />
Zuschüssen, Spenden und Kurzarbeit. Doch<br />
auch wenn wieder geöffnet ist, bleibt das Minus vorerst<br />
bestehen, weil Publikumskapazitäten aufgrund der Abstandsregeln<br />
nicht ausgeschöpft werden können. Veranstalter,<br />
deren Räume ungenutzt bleiben, mussten bereits<br />
einen Großteil ihrer Crew entlassen. „Unsere Kulturveranstalter<br />
und eigenen Betriebe haben wir ungeschmälert<br />
die ganze Zeit durchgefördert. Aber die freischaffenden<br />
Künstler sind in ihrer Existenz bedroht“, sagt Petra<br />
Broistedt, Kultur- und Sozialdezernentin der Stadt Göttingen.<br />
„Mit tragischen Folgen“, so Erich Sidler, Intendant<br />
am Deutschen Theater Göttingen. „Alle Künstler,<br />
die frei arbeiten und ganz bewusst nicht den Main stream<br />
bedienen, sind extrem gefährdet. Und damit die künstlerische<br />
Vielfalt.“<br />
DIE HETEROGENE BETROFFENHEIT ZEIGTE SICH auch<br />
Ende Januar auf der Südniedersachsenkonferenz, die<br />
zum Thema Kultur- und Kreativwirtschaft tagte. Jens<br />
Wortmann, Inhaber des Kulturbüros Göttingen, resümiert:<br />
„Diese Konferenz kann nur ein Anfang sein. Es<br />
fehlt so grundsätzlich an Strukturen, Zielen und Methoden,<br />
dass alle Beiträge nur als Einzelbeiträge im Raum<br />
stehen blieben.“ Für größere Schritte forderten die Referenten<br />
eine zentrale Koordinierungsstelle für Kulturschaffende.<br />
Abseits einer solchen haben sich inzwischen<br />
schon einzelne Netzwerke etabliert. Der Verein Kreuzberg<br />
on KulTour beispielsweise, der seine Konzerte erfolgreich<br />
auf einem eigenen Portal online stellt, hat ein<br />
Musiker selbsthilfe portal (www.musikerfuermusiker.de)<br />
ge gründet und dafür den Niedersachsenpreis für Bürgerengagement<br />
2020 erhalten.<br />
Ein weiteres gelungenes Beispiel ist kulturis.online, eine<br />
Weiterführung von KiSN (Kultur in Südniedersachsen),<br />
das bereits im März 2020 startete, initiiert vom Landkreis<br />
Göttingen, Akteuren der Kulturbranche und dem Göttinger<br />
Tageblatt. Kultur und Landkreis blieben bis heute im<br />
Boot, das Fachwerk5Eck stieg mit ein, doch Regie führt<br />
jetzt der Landschaftsverband Südniedersachsen. Projektleiter<br />
Moritz Steinhauer hat es sich zum Ziel gesetzt, die<br />
virtuelle Plattform für Kunst- und Kulturschaffende,<br />
Museen und Veranstalter mit neuen Features zu der Anlaufstelle<br />
für Kultur in der Region weiterzuentwickeln.<br />
Der Startschuss dafür fiel wiederum im März dieses Jahres<br />
mit einem Sofa-Festival (www.kulturis.online).<br />
1 |<strong>2021</strong> 93