Prophylaxe für jedes Lebensalter
Ausgabe 10/2021
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Fortbildung 33<br />
Reduktion von Narkosen <strong>für</strong> Zahnbehandlungen bei Kindern (Teil 2)<br />
Modernes Kariesmanagement<br />
Karies im Milchgebiss, aber auch schwere Formen der MIH mit hypersensiblen Zähnen, stellen eine<br />
enorme Herausforderung <strong>für</strong> (Kinder)Zahnärzte dar, insbesondere bei gering kooperativen oder sehr<br />
ängstlichen Kindern. Nicht selten wird daher eine Behandlung in Narkose angedacht. Der zweite Teil<br />
dieses Beitrags beleuchtet weitere Vermeidungsstrategien, die über die Patientenführung hinausgehen<br />
(vgl. Teil 1, ZBW-Ausgabe 8-9/2021) und primär den Bereich des Kariesmanagements umfassen. Der<br />
Schwerpunkt liegt auf den Aspekten der Kariesinaktivierung (z. B. mit Silberdiaminfluorid), Kariesbehandlung<br />
ohne vollständige Kariesentfernung (u. a. Hall-Technik) sowie der ECC-Prävention von Anfang an.<br />
Wer möchte schon bei sich in der Praxis einen Zwischenfall<br />
bei einer Zahnbehandlung eines Patienten in Narkose<br />
erleben? Wohl niemand! Und dennoch kann es passieren<br />
und ist folglich in den Medien immer mal wieder ein<br />
Thema: „Schwere Komplikationen bei einer Narkose <strong>für</strong><br />
Zahnbehandlung“ oder „Patient verstirbt bei einer Narkose<br />
<strong>für</strong> Zahnbehandlung“. Eine Entscheidung zur Behandlung<br />
in Narkose sollte daher niemals leichtfertig getroffen<br />
werden. Alle Beteiligten sollten sich über die potentiellen<br />
Risiken und Nutzen im Klaren sein und Alternativen abwägen.<br />
Denn eine Behandlung in Narkose ist oftmals vermeidbar.<br />
Falls ein Zwischenfall bei einer Narkose auftritt,<br />
wird zunächst die zahnärztliche Indikation und die Aufklärung<br />
über die Narkose sowie vorhandene Alternativen<br />
hinterfragt; der Zahnarzt trägt also primär die Verantwortung<br />
(Indikationsstellung, Aufklärung inkl. Alternativen)<br />
und nicht der Anästhesist. Alternativen zu kennen, darüber<br />
aufzuklären und indikationsgerecht anzuwenden sind<br />
daher essentielle Voraussetzungen Narkosen zu vermeiden,<br />
aber auch um Narkosen durchzuführen. Viele Kinderzahnärzte<br />
haben folgende Faustregel zur Narkosestellung<br />
im Kopf: „Anzahl behandlungsbedürftiger Zähne<br />
> Alter des Kindes“. Jedoch ist selbst die Einschätzung<br />
der Behandlungsbedürftigkeit zwischen Behandlern sehr<br />
verschieden. Es gibt verständlicherweise keinen festen<br />
„Cut-off-point“, bei dem eine Indikation besteht, d. h. es<br />
existieren wie fast überall in der Medizin Ermessensspielräume.<br />
Kariesinaktivierung. Traditionell wurde in der Zahnmedizin<br />
die vollständige Entfernung kariöser Zahnhartsubstanz<br />
mit anschließender restaurativer Versorgung<br />
als Standardtherapie <strong>für</strong> kariöse Zähne als „chirurgischtechnische“<br />
Maßnahme durchgeführt. Im aktuellen, biologischen<br />
Verständnis von Kariesentstehung und -entwicklung<br />
kann Karies (der kariöse Prozess) durch die<br />
Störung des Biofilms sowie durch Beeinflussung der Deund<br />
Remineralisationsprozesse gestoppt werden (Kidd<br />
and Fejerskov, 2013). Die Erkrankung „Karies“ wird als<br />
chronischer Prozess begriffen und neben der etablierten<br />
Füllungstherapie können in diesem Verständnis alternative<br />
evidenzbasierte Kariesmanagementmethoden wie<br />
z. B. die „Kariesinaktivierung“ oder die „Hall-Technik“<br />
als Therapieoptionen ohne Kariesexkavation angewandt<br />
werden (Santamaría et al., 2018). Im deutschen Sprachgebrauch<br />
wird der Begriff Karies zugleich auch <strong>für</strong> das<br />
Symptom der Erkrankung, also „das Loch im Zahn“ genutzt,<br />
was irreführend sein kein.<br />
Das Karies- und auch das Pulpamanagement haben<br />
sich in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere im<br />
Abb. 1a<br />
Abb. 1b<br />
Frühkindliche Karies. Schwere Form der frühkindlichen Karies mit großen aktiven kariösen Läsionen bei einem zweijährigen Kind<br />
beim Erstbesuch (a) und einige Monate später nach Kariesinaktivierung der flächigen kariösen Defekte durch tägliche Plaqueentfernung<br />
und Fluoridierung (b). Bei diesem klinischem Erscheinungsbild einer schweren Form der frühkindlichen Karies mit aktiven<br />
kariösen Läsionen (a) ist von weiterer schnell progredienter Kariesentwicklung selbst nach Narkosebehandlung auszugehen – während<br />
nach erfolgreicher Umsetzung des Kariesmanagementkonzept hier deutliche Zeichen der Kariesinaktivierung der flächigen<br />
kariösen Defekte (b) aufgrund effektiver täglicher Plaqueentfernung und Fluoridierung zu diagnostizieren sind, was <strong>für</strong> die Prognose<br />
der Mundgesundheit entscheidend ist. Eine Pulpasymptomatik (Pulpitis, Fistel, Abszess) erfordert eine weitergehende Therapie.<br />
Fotos: Dr. R. Santamaría<br />
www.zahnaerzteblatt.de<br />
ZBW 10/2021