Prophylaxe für jedes Lebensalter
Ausgabe 10/2021
Ausgabe 10/2021
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Leitartikel 7<br />
Mehr Prävention <strong>für</strong> vulnerable Zielgruppen<br />
Keine Frage: Die langjährige hervorragende Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> Zahngesundheit Baden-Württemberg e.V. (LAGZ) ist von Erfolg gekrönt. Durch die<br />
flächendeckenden Maßnahmen der Gruppenprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen<br />
in Baden-Württemberg sind wir bei der Kariesprävention der 12-Jährigen europaweit<br />
Spitze. Allerdings gilt es, den zahnärztlich-präventiven Blick auch auf bisher zu wenig<br />
berücksichtigte Patientengruppen zu richten. Wo besteht weiterer Handlungsbedarf<br />
und welche Intensionen verfolgt die Kammer?<br />
Inklusion in der Zahnmedizin. Das diesjährige LAGZ-<br />
Forum in Stuttgart stand Mitte Juli mit der Thematik<br />
„Inklusion in der Zahngesundheitsförderung“ ganz im<br />
Zeichen vulnerabler Zielgruppen. Dabei kristallisierte<br />
sich heraus, dass <strong>für</strong> Menschen mit körperlichen, geistigen,<br />
seelischen oder Sinnesbeeinträchtigungen in allen<br />
Altersgruppen Präventionskonzepte entwickelt werden<br />
müssen, weil diese bisher im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt<br />
nach wie vor eine schlechtere Mundgesundheit<br />
aufweisen. Die Tatsache, dass in Baden-<br />
Württemberg derzeit rund eine Million Menschen mit<br />
Unterstützungsbedarf leben (Stand 2019) sowie auch<br />
die Zahl der rund 400.000 Pflegebedürftigen im Land,<br />
die mit zunehmendem Alter ansteigen wird, verdeutlicht<br />
den dringenden Handlungsbedarf.<br />
Berufsethische Verpflichtung. Eine stärkere Berücksichtigung<br />
dieser Hochrisikogruppen muss <strong>für</strong> die<br />
Zahnärzteschaft im Land berufsethische und berufspolitische<br />
Verpflichtung zugleich sein. Dabei bedeutet<br />
„Inklusion“ von Menschen mit Unterstützungsbedarf in<br />
einer inklusiven Gesellschaft, dass deren Bedürfnisse<br />
nicht an die Gegebenheiten angepasst werden, sondern<br />
die Gegebenheiten auf ihre besonderen Bedürfnisse<br />
zugeschnitten werden. Dieser Anspruch sollte auch im<br />
beruflichen Praxisalltag „gelebt“ werden.<br />
Zwar hat der Gesetzgeber seit Juli 2018 mit dem Versorgungsstärkungsgesetz<br />
zur Verhütung von Zahnerkrankungen<br />
hauptsächlich <strong>für</strong> Menschen mit einem<br />
Pflegegrad endlich eine erweiterte Bandbreite an Präventions-<br />
und Therapieleistungen ermöglicht. Deren<br />
Zahl liegt aber nur bei rund 800.000, während bundesweit<br />
jedoch etwa 7,1 Millionen Menschen mit einer Behinderung<br />
nicht berücksichtigt werden. Deshalb muss<br />
auch ihr Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung flächendeckend<br />
– und unabhängig von ihrer finanziellen<br />
Situation – verbessert werden.<br />
Langjährige Kammerexpertise. Die Kammer ist<br />
im Bereich der Alters- und Behindertenzahnheilkunde<br />
dank ehrenamtlich hochengagierter Kammerreferentinnen<br />
und -referenten sehr gut aufgestellt. So wurde<br />
zum Beispiel im betreffenden Arbeitskreis zur Wissensvermittlung<br />
an Pflegekräfte ein Aus- und Fortbildungskonzept<br />
zur Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege<br />
entwickelt, das stetig zielgerichtet verbessert wird. Die<br />
langjährige Kooperation mit den privaten Altenpflegeschulen<br />
des Landes zur Vermittlung von Informationen<br />
der Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege im Rahmen der<br />
Altenpflegeaus- und Fortbildung oder die Vermittlung<br />
praxisnaher Schulungen <strong>für</strong> Pflegepersonal durch rund<br />
40 bestellte Senioren- und Behindertenbeauftragte in<br />
den Kreisvereinigungen belegen die Expertise. Zudem<br />
stellt die Kammer auf ihrer Homepage umfangreiches<br />
Informationsmaterial in Form von Flyern, Formularen<br />
und Schulungsmaterialien zu allen Fragen rund um die<br />
Alters- und Behindertenzahnheilkunde bereit – und das<br />
als erste Kammer bundesweit auch mit eigenem Webbereich<br />
in leichter Sprache.<br />
Kooperation mit dem Sozialministerium. Mit Vertreterinnen<br />
und Vertretern der entsprechenden Fachabteilung<br />
des Ministeriums <strong>für</strong> Soziales, Gesundheit<br />
und Integration des Landes wurden bereits Gespräche<br />
geführt, um im Pflegebereich bei vom Ministerium geplanten<br />
Maßnahmen die bisher fehlende zahnärztliche<br />
Expertise mit einzubringen, interdisziplinäre Synergiepotentiale<br />
auszuloten und die Praktikabilität und den<br />
Nutzen tele(zahn)medizinischer Möglichkeiten projektorientiert<br />
zu prüfen. Zudem soll auf Wunsch des Ministeriums<br />
die Kammer auch beim Landespflegekongress<br />
verantwortungsvoll eingebunden werden.<br />
Netzwerkaktivitäten. Weitere Aktivitäten sind in<br />
konzeptioneller Planung, um ein Netzwerk <strong>für</strong> pflegebedürftige<br />
Menschen mit Unterstützungsbedarf zu<br />
etablieren, bei dem alle pflegerisch relevanten Gesundheitsinstitutionen<br />
im Land mitwirken sollen. Dabei<br />
kann der vom LZK-Referenten <strong>für</strong> Alterszahnheilkunde<br />
mitentwickelte neue Expertenstandard zur Förderung<br />
der Mundgesundheit in der Pflege <strong>für</strong> ein wissenschaftlich<br />
interprofessionell abgestimmtes Leistungsniveau<br />
als sehr geeignete Grundlage dienen.<br />
Dr. Torsten Tomppert<br />
Präsident der Landeszahnärztekammer<br />
Baden-Württemberg<br />
www.zahnaerzteblatt.de<br />
ZBW 10/2021