faktor_GOE_2024_01_KOMPLETT_BLÄTTERAUSGABE
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nachhaltigkeit<br />
ZTEXT CHRISTIAN VOGELBEIN<br />
FOTOGRAFIE ALCIRO THEODORO DA SILVA<br />
um Anfang des neuen Jahres war Jürgen Trittin ein sehr<br />
gefragter Mann. Mitte Dezember hatte der Grünen-Politiker<br />
angekündigt, sein Bundestagsmandat niederzulegen.<br />
Damit endet eine beispiellose politische Karriere – auf<br />
Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Zwischen Pressetalk<br />
und einem reservierten Tisch beim Lieblingsitaliener<br />
möchte <strong>faktor</strong> wissen, was nach all diesen Jahren Gesprächen<br />
und Krisen vom politischen Werk des Jürgen Trittin<br />
übrig bleibt. Was ihn angetrieben und enttäuscht hat, begeistert<br />
und hoffnungsfroh stimmt. Und warum er sich<br />
dazu entschied, überhaupt politisch aktiv zu werden.<br />
Denn lange Tage und kurze Nächte prägen den Kalender<br />
eines Spitzenpolitikers. Für Jürgen Trittin endet dieses Kapitel<br />
nun, Erleichterung macht sich aber nicht breit.<br />
ZU GERN HABE ER DEN JOB GEMACHT. Zu gern sei er<br />
Menschen begegnet, habe um Themen gestritten und um<br />
Entscheidungen gerungen. Nicht des Geldes wegen, wie<br />
manch einer Politikern gern vorwirft. „Wer es nur des<br />
Geldes wegen macht, ist ganz schnell aufgeschmissen in<br />
diesem Job“, sagt der am 25. Juli 1954 in Bremen-<br />
Vegesack geborene Trittin. Es muss also etwas anderes<br />
sein, das ihn jeden Morgen aufstehen ließ. „Ich habe das<br />
gern gemacht, ich habe das genossen“, sagt er heute.<br />
„Ich empfand es als angenehm, die Gesellschaft mitzugestalten.“<br />
Das sei ihm gelungen, weil er sich „kluge Bündnispartner“<br />
gesucht habe, sagt er. Politik sei eben ein<br />
Geschäft der Gespräche und Kompromisse.<br />
PLÖTZLICH LANDESMINISTER<br />
Dass mittlerweile fast alle Atomkraftwerke abgeschaltet<br />
sind und mehr als die Hälfte des Stroms in Deutschland<br />
aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, schreibt sich<br />
Trittin neben vielen Themen auf die Haben-Seite. Damit<br />
das gelang, kämpfte Trittin seine gesamte politische<br />
Karriere über um Mehrheiten. Jürgen Trittin ist mehr als<br />
40 Jahre politisch aktiv, rund 25 Jahre davon allein im<br />
Bundestag. Er hat Themen und Menschen kommen und<br />
gehen sehen. Vor allem aber, wie sich die Welt und<br />
Deutschland in dieser Zeit gewandelt haben. Rückblickend<br />
hält es Trittin mit dem italienischen Philosophen<br />
Antonio Gramsci, der gesagt haben soll, es „brauche den<br />
Pessimismus des Geistes und den Optimismus des Herzens“.<br />
Trittin wolle die „schlechte Realität sehen, aber<br />
sich dadurch nicht nehmen lassen, sie zu verändern“. Dabei<br />
hatte der Grünenpolitiker niemals geplant, überhaupt<br />
eine politische Größe zu werden.<br />
Als er 1982 in die Partei eintritt, wird er schnell zu<br />
einem prominenten Vertreter klassischer Umwelt themen.<br />
Von 1985 bis 1989 engagierte er sich im Niedersächsischen<br />
Landtag, von 1990 bis 1994 war er Umweltminister<br />
unter SPD-Ministerpräsident Gerhard Schröder.<br />
Dass seine Partei nach der Wende in Niedersachsen gegen<br />
den Bundestrend riesige Erfolge feierte, half ihm sicherlich<br />
dabei. „Ich wurde plötzlich Landesminister.<br />
Das hatte ich mir nicht ausgesucht, habe es aber gern<br />
gemacht.“ Gemeinsam mit Parteichef Joschka Fischer<br />
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