Ausgabe 3/2010 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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Missbrauch: Keine Chance für Täter -<br />
Schutz für Opfer! Von Bianka Schreiber-Rietig<br />
Es ist ein Gespräch, dem man entfliehen möchte. Wut,<br />
Angst, Mitleid und wieder unbändige Wut steigen<br />
hoch, während die junge Frau ihre schrecklichen Erlebnisse<br />
erzählt. Vor dem Gespräch gab es ein Hin und Her,<br />
dreimal wurde es abgesagt. Warum, das ist nun zu verstehen.<br />
Leise erzählt Frau P., wie alles anfing: Mit zwölf machte der<br />
Trainer ihr Komplimente, dann folgten Betatschen und<br />
Bedrängen, und schließlich "nahm er sich alle Freiheiten<br />
heraus und mir damit die meine".<br />
Jahrzehnte später ist sie immer noch Gefangene ihrer Missbrauchserfahrungen:<br />
Jemandem Vertrauen schenken, offen<br />
auf ihn zugehen - das kann sie immer noch nicht. Plötzlich<br />
verspürt man Dankbarkeit: dass einem in seiner eigenen<br />
Kindheit so etwas erspart blieb. Und der alte Sportlehrer<br />
Hegenbart, der einem wieder in den Sinn kommt, weil er<br />
Sprungseil-Hiebe als "Hilfestellung" über Kasten, Bock oder<br />
beim Felgaufschwung am Barren allen im Sportunterricht<br />
angedeihen ließ, wirkt harmlos in der Relation zu dem, was<br />
Frau P. erleben musste.<br />
Frau P. ist nun, ausgelöst durch die Missbrauchsfälle in der<br />
katholischen Kirche und einer Reihe staatlicher und privater<br />
Schulen, wieder intensiv mit ihrer eigenen Geschichte<br />
konfrontiert. Warum wurde ihr nicht geholfen? Erst sei es<br />
Scham gewesen, darüber zu sprechen: Der Trainer wurde<br />
von allen bewundert und als guter Mensch gefeiert, sie<br />
wollte weiter im Team bleiben, und der Trainer vermittelte<br />
ihr das Gefühl, dass sie etwas Besonderes sei. Als ihr alles zu<br />
viel wurde, ihre Ängste wuchsen, sie Fressattacken hatte<br />
und gleichzeitig wie besessen trainierte, vertraute sie sich<br />
jemandem an, der ihr nicht glaubte. Mit 16 hörte sie mit<br />
dem Sport auf, und ihr vier Jahre dauernder Alptraum hatte<br />
zumindest ein physisches Ende. Die gefürchteten Trainingsund<br />
Spieltage - Dienstage, Donnerstage und Samstage -<br />
wurden irgendwann wieder normale Tage, ohne Zittern,<br />
Angstgefühle und Übelkeit. Aber die "Leichtigkeit des Seins"<br />
ist dahin - für immer.<br />
"Kindesmissbrauch ist der Mord an der kindlichen Seele. Jeder<br />
einzelne Fall ist die Schuld des Täters, nicht des missbrauchten<br />
Kindes", sagte der Passauer Richter bei der Begründung<br />
des Urteils gegen den Judo-Trainer Wolfgang D., der im<br />
Januar zu sechs Jahren und neun Monaten sowie unbefristeter<br />
Unterbringung in der Psychiatrie wegen mehrfachen<br />
Missbrauchs verurteilt wurde - Missbrauchs von Schutzbe-<br />
fohlenen in 211 Fällen und in 30 Fällen in Tateinheit mit<br />
schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Wegen der<br />
Kernpädophilie des Angeklagten war das Gericht von verminderter<br />
Schuldfähigkeit ausgegangen. Strafverschärfend<br />
wertete die Kammer aber, dass der Angeklagte durch sein<br />
Verhalten dem Ehrenamt vehement geschadet habe. Mit<br />
Fällen wie diesen musste sich der Sport in den letzten Jahren<br />
immer wieder auseinandersetzen - nicht zuletzt deshalb, weil<br />
es ein Tabuthema war und manchmal noch ist. "So was gibt<br />
es bei uns nicht", war nicht selten die Reaktion auf die Frage,<br />
ob Übergriffe vorgekommen sein könnten. Basta - Thema<br />
erledigt. Es passierte doch - nicht zuletzt, weil die Gelegenheiten<br />
für Täter in so einem Bereich wie Sport ja günstig<br />
sind: Die Kinder werden arglos Trainern und Trainerinnen<br />
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