Ausgabe 3/2010 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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anvertraut. Diese fungieren nicht selten als Elternersatz oder<br />
Idol. Kinder lieben Spiel, Sport und Bewegung, wollen Lob,<br />
wollen Aufmerksamkeit, wollen ins Team gewählt werden, der<br />
Liebling des Trainers sein - und es dem Trainer in jeder Beziehung<br />
recht machen. Sie sind abhängig - besonders auch, was<br />
ihre Gefühlswelt angeht. Nicht immer läuft alles so harmlos<br />
ab, wie man glaubt. Genau hingeschaut hat auch im Sport<br />
oft niemand. Oder man wollte es nicht sehen. Wie am häufigsten<br />
Tatort, der Familie, wurde das Schweigekartell auch im<br />
Verein oder Verband, die doch auch wie eine Familie sind,<br />
selten durchbrochen.<br />
"Heute ist das anders, heute wird geredet", sagt der Vorsitzende<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Sportjugend (dsj), Ingo Weiss. Ein Indiz<br />
dafür könnte sein, dass in den letzten Jahren vermehrt auch<br />
Trainer und Übungsleiter sich vor Gericht verantworten<br />
mussten. In der Leichtathletik, bei Schwimmern, Judokas, im<br />
Eiskunstlauf, Biathlon, Fußball oder Turnen - der Sport ist<br />
nicht besser als andere gesellschaftliche Bereiche und spiegelt<br />
die Bandbreite menschlichen Verhaltens wider - im<br />
guten wie im schlechten Sinn. Deshalb: Hohe Dunkelziffer ist<br />
das Experten-Fazit, das im Sport alle Alarmlämpchen leuchten<br />
lassen sollte.<br />
Wer Philippe Aries "Geschichte der Kindheit" liest, der wird<br />
damit konfrontiert, dass Kinder im Mittelalter bis zum 16.<br />
Jahrhundert hin nie eine Kindheit hatten, als Erwachsene<br />
behandelt - und misshandelt, auch missbraucht wurden. Erst<br />
im 17. Jahrhundert verwiesen Pädagogen, Moralisten und<br />
Kirchenmänner darauf, dass Kinder des Schutzes und der<br />
Erziehung bedürfen. Bei den Diskussionen und Geständnissen<br />
in den letzten Monaten über die Missbrauchsfälle hat man<br />
den Eindruck, dass manche "brave Kirchenmänner oder Pädagogen"<br />
noch immer im Mittelalter weilten.<br />
Die Gefahren des sexuellen Missbrauchs wurden im Sport vor<br />
allem von der <strong>Deutsche</strong>n Sportjugend und ihren Landesverbänden<br />
, aber auch von den Sportfrauen im damaligen <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbund Ende der 70er Jahre immer mal wieder<br />
thematisiert. 1995 im Rahmen einer Fair-Play-Kampagne für<br />
Mädchen und Frauen im Sport, von der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Olympische</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> unterstützt, wurde das Thema von der<br />
britischen Forscherin Celia H. Brackenridge unter dem Titel<br />
"Das kann doch hier gar nicht passieren" aufgegriffen. In<br />
Großbritannien waren - ausgelöst durch einen BBC-Bericht<br />
mit dem Titel "Geheimnisse eines Trainers" - erschütternde<br />
Geschichten Ende der 80er Jahre veröffentlicht worden. Auf<br />
einer Hotline des Senders, die nach dem Bericht geschaltet<br />
wurde, meldeten sich Zuschauer, die in ihrem Sport schlimme<br />
Erlebnisse als Kinder hatten. "Sexueller Missbrauch wird nicht<br />
von schmuddeligen alten Männern in Regenmänteln begangen,<br />
sondern von Erwachsenen, die jeder kennt und die<br />
wahrscheinlich nie jemand verdächtigen würde", war das<br />
Fazit der Autorin nach dieser Sendung. Und sie zitierte<br />
damals einen Sportfunktionär so: "Aus meiner Erfahrung bei<br />
24<br />
der Arbeit in einem Verband, wo sexuelle Belästigung als<br />
netter Zeitvertreib gesehen wurde, frage ich mich, wie sensibel<br />
einige Leute auf das Thema sexueller Missbrauch reagieren<br />
..." Die Briten sind da schon weiter als die <strong>Deutsche</strong>n:<br />
Dort müssen auch ehrenamtliche Trainer ein Führungszeugnis<br />
vorlegen.<br />
"Wir sind schon seit langem aufgerüttelt und haben reagiert.<br />
Natürlich sind die Ereignisse der letzten Monate ein weiterer<br />
Fingerzeig, dass man noch intensiver das Netz mit allen relevanten<br />
Behörden, wie Polizei oder Jugendamt, gegen Missbrauch<br />
spannen muss", sagt Weiss. Von einem "Aufmerksamkeitssystem"<br />
spricht der Direktor Jugendsport im <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Olympische</strong>n Sportbund (DOSB) , Martin Schönwand. Er, der<br />
sich seit Jahren mit diesem Thema auseinandersetzt, arbeitete<br />
federführend an dem gemeinsamen Positionspapier von DOSB<br />
und Sportjugend zur "Prävention und Bekämpfung von sexualisierter<br />
Gewalt und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen<br />
im Sport", das nun auch an die Landesverbände geht.<br />
Viele dieser Organisationen haben sich aber auch selbst seit<br />
Jahren mit diesem Thema immer wieder beschäftigt, Leitbilder<br />
zum Kinderschutz und Ahndungsregeln erarbeitet, die auf<br />
Grund der aktuellen Vorkommnisse nun noch erweitert werden.<br />
"Spätestens jetzt ist das kein Tabuthema mehr", sagt<br />
Heiner Brandi, Jugendreferent des LSB Berlin. Zusammen mit<br />
den Berliner Spitzenvereinen wie Basketball-Bundesligist Alba,<br />
dem EHC Eisbären Berlin, den Handball-Füchsen und der<br />
Hertha und einer Reihe von Verbänden sowie dem Evangelischen<br />
Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) wurde eine Erklärung<br />
zum Kinderschutz unterschrieben. Und die Berliner sind auf<br />
britischen Spuren. Auch sie wollen neben den gängigen polizeilichen<br />
Führungszeugnissen für hauptamtliche Mitarbeiter in<br />
besonders sensiblen Bereichen des Jugendsports (etwa Freizeit-<br />
und Sportreisen) von ehrenamtlichen Mitarbeitern ein<br />
Führungszeugnis haben. Dass das nicht überall so kooperativ<br />
läuft, berichtete Heike Afflerbach-Hintzen, Kölner Polizei-<br />
Kommissarin in der Abteilung Kriminalprävention in einem<br />
"Spiegel"-Interview: "Wir drängen schon seit langem darauf,<br />
Kontrollmechanismen einzuführen. Vereinssport basiert auf<br />
einem großen ehrenamtlichen Engagement ... Aber es kommt<br />
zum Beispiel immer wieder vor, dass sich bereits verurteilte<br />
Täter gezielt in Vereine einschleichen. Ehrenamtliche Trainer<br />
sollten daher polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen müssen.<br />
Allein das Wissen, dass ein Verein auf solchen Unterlagen<br />
besteht, würde potentielle Täter abschrecken."<br />
Was in Berlin nun angeleiert wurde, scheint in Köln schwer<br />
umzusetzen zu sein. Mit der Sporthochschule Köln und dem<br />
Stadtsportbund Köln hat die Kommissarin ein Zertifikat<br />
entwickelt. Vereine, die dieses Zertifikat bekommen wollen,<br />
müssen sich durch Satzungsänderung verpflichten, Aufklärungsarbeit<br />
bei Eltern und Trainern zu leisten und Übungsleiter<br />
nur dann zu beschäftigen, wenn diese ein Führungszeugnis<br />
vorlegen. "Bisher hat noch kein Verein seine Satzung