Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
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Christoph Richter<br />
23<br />
Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie die Entwicklung und Veränderung gesellschaftlicher<br />
<strong>Leben</strong>sweisen an der Entwicklung des Komponierens und Musizierens zu beobachten<br />
sind. Ohne den Hintergrund dieser Entwicklungsstufen, die hier nicht<br />
ausgemalt werden können, ist nur <strong>ein</strong>e sehr oberflächliche Beschäftigung <strong>mit</strong> dieser<br />
<strong>Musik</strong> möglich. Als Modell lebens<strong><strong>la</strong>ng</strong>en Lernens bietet sich dieses Beispiel an,<br />
wenn <strong>ein</strong>erseits das streitbare oder fröhliche Spiel aller Beteiligten <strong>mit</strong> den kl<strong>ein</strong>en<br />
Tonfiguren in ihrer vierfachen Qualität als das ‘zugrunde liegende Einfache’ und andererseits<br />
der historisch-gesellschaftliche Kontext-Weg entdeckt und in der Anwendung<br />
realisiert werden – im Hören, Musizieren, experimentellen Bewegen, Beschreiben.<br />
Zum zweiten Streichquartett von Sofia Gubaidulina<br />
Der Tradition folgend und sie weiter entwickelnd, geht es in dieser Komposition<br />
noch immer um Spiel und Streit der vier Protagonisten und der Stimmen. Das Stück<br />
beginnt in besonders <strong>ein</strong>drücklicher Weise ‘elementar’: Die zweite Geige exponiert<br />
das ‘kl<strong>ein</strong>e G’ und zeigt <strong>ein</strong>e Fülle von Möglichkeiten auf, diesen <strong>ein</strong>en Ton auf der<br />
Geige hervorzubringen, spieltechnisch, ausdrucksmäßig, k<strong><strong>la</strong>ng</strong>lich. Der musikalische<br />
Inhalt des Stückes besteht darin, dass die anderen Spieler die Entfaltung und das<br />
Singen des Tones G <strong>mit</strong> vorwiegend aggressiven Spieltechniken zu stören sich bemühen.<br />
Musizieren als das Spiel von Krieg und Frieden, von Bösartigkeit und ruhige<br />
Gestaltung prägen den Ausdruck. Gleichzeitig aber, sozusagen als Spiel von <strong>ein</strong>em<br />
doppelten Boden aus, reichern die erste Geige und das Cello den Gesang des <strong>ein</strong>en<br />
Tons im Ver<strong>la</strong>uf des Spiels <strong>mit</strong> ganz eng in der Nähe liegenden Tönen an, nach<br />
oben <strong>mit</strong> As, unten <strong>mit</strong> Fis. Diese ausweichenden bereichernden Töne weiten sie zu<br />
immer längeren Bögen und Melodien aus, im Spiel des Nachahmens, Veränderns,<br />
Umkehrens ... bis der Anfangsgesang der zweiten Geige zu <strong>ein</strong>er Fundament- oder<br />
Bassstimme geworden ist. Auf diese Weise entwickelt sich die an den K<strong><strong>la</strong>ng</strong>möglichkeiten<br />
und an den Spieltechniken orientierte elementare Benutzung der Instrumente<br />
zu <strong>ein</strong>em traditionellen Streichquartettspiel, zu <strong>ein</strong>em vierstimmigen Satz und<br />
zu <strong>ein</strong>er Durchführungsarbeit, das an die Tradition der Streichquartettmusik von<br />
Beethoven, Brahms, Bártok und der zweiten Wiener Schule erinnert. Auch bei diesem<br />
Beispiel bedeutet lebens<strong><strong>la</strong>ng</strong>es Lernen die Beschäftigung <strong>mit</strong> Streichquartettgeschichte,<br />
Instrumentenbenutzung, Durchführungsarbeit, Rückgriff zu elementaren<br />
Klängen, die an Schnebel, Kagel, Globokar und viele andere erinnern.