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Beschäftigung mit Musik – ein Leben lang / Fare musica – tutta la vita

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Die ‘Musica humana’-Idee aus musikanthropologisch-pädagogischer Perspektive<br />

Die Übernahme der bis in die Antike rückführbaren ‘Musica humana’-Idee erfolgt<br />

hier daher nicht in historischer und auch nicht in pythagoräisch-harmonikaler Absicht,<br />

viel mehr knüpft sie an Wolfgang Suppans musikanthropologischen Ansatz<br />

der 1980er-Jahre an und entwickelt diesen in <strong>ein</strong>er musikanthropologisch-pädagogischen<br />

Fragestellung weiter. 2 Analog zur ‘Musica humana’-Idee wird das musikfähige<br />

Potential des Menschen selbst in den Fokus genommen. <strong>Musik</strong> aus anthropologischer<br />

Perspektive «fängt im Menschen an» und läßt sich an dessen psychophysische<br />

und mentale Konstitution binden: an Körper, Musku<strong>la</strong>tur, Sinnestätigkeit, an<br />

Periodizitäten und Körperrhythmen (die potentiell musikfähig sind), sowie an allgem<strong>ein</strong>e<br />

Wahrnehmungs- und Denkschemata, die <strong>Musik</strong> rational faßlich und strukturiert<br />

in ihrer zeitlich-räumlichen Realisierung ersch<strong>ein</strong>en <strong>la</strong>ssen. 3 Ein derart anthropologisch<br />

ausgeweitetes <strong>Musik</strong>verständnis bezieht sich daher nicht all<strong>ein</strong> auf<br />

Kunstmusik, sondern auf die Vielfalt des <strong>Musik</strong>machens und möglicher <strong>Musik</strong>en in<br />

nicht hierarchischer Perspektive. Untersucht wird zudem die Bildungsfähigkeit, und<br />

Bildungsmöglichkeit dieser musikalischen Potentiale, die es aus musikpädagogischer<br />

Sicht zu fördern und zu entwickeln gilt; in diesem Zusammenhang ersch<strong>ein</strong>t<br />

das Modell <strong>ein</strong>er ästhetischen, autopoetischen Selbstbildung als angemessen.<br />

Dies soll versuchsweise in den folgenden Abschnitten näher aufgeschlüsselt werden:<br />

1) Der ‘Musica humana’-Begriff im Wandel; 2) Die musikanthropologische Dimension<br />

des ‘Musica humana’-Begriffs; 3) ‘Aisthesis’-Potentiale und musikalische<br />

(Selbst-)Bildung; 4) Beschäftigung <strong>mit</strong> <strong>Musik</strong> als «Ästhetische Erfahrung» und «Existentielle<br />

Erfahrung».<br />

1. Der ‘Musica humana’-Begriff im Wandel<br />

Die musikanthropologische Umdeutung des ‘Musica humana’-Begriffs sowie des gesamten<br />

da<strong>mit</strong> verbundenen Systems <strong>ein</strong>er ‘Musica mundana’ und ‘Musica instrumentalis’<br />

führt zur folgenden musikanthropologisch gefärbten Paraphrasierung und<br />

Aktualisierung des antik-<strong>mit</strong>te<strong>la</strong>lterlichen Bildes: Die realiter unhörbare ‘Musica humana’<br />

entspricht den in der menschlichen Konstitution verankerten psychophysischen<br />

Bedingungen und Grund<strong>la</strong>gen des <strong>Musik</strong>alischen und führt zur real erklingenden<br />

<strong>Musik</strong> (‘Musica instrumentalis’), also zu den verschiedenen <strong>Musik</strong>en und<br />

vielfältigen, kulturell unterschiedlichen Ausformung von <strong>Musik</strong> in den unterschiedlichen<br />

Sozietäten. Ein umdeutender Bezug läßt sich auch zur ‘Musica mundana’ herstellen:<br />

Weniger im Hinblick auf die Verbindung zur kosmischen Harmonie, wie sie<br />

das harmonikale Denken annimmt, sondern hinsichtlich der Entdeckung <strong>ein</strong>er neuen,<br />

von F. Nietzsche angesprochenen innerweltlichen Unendlichkeit, <strong>ein</strong>er in und<br />

durch <strong>Musik</strong> noch <strong>ein</strong>mal unendlich gewordenen Welt. 4 Denn die Begegnung <strong>mit</strong><br />

2 Wolfgang Suppan, Musica humana. Die anthropologische und kulturethologische Dimension der <strong>Musik</strong>wissenschaft,<br />

Böh<strong>la</strong>u, Wien 1986.<br />

3 Christoph Khittl, „Die <strong>Musik</strong> fängt im Menschen an“. Anthropologische <strong>Musik</strong>didaktik: theoretisch – praktisch,<br />

Peter Lang, Bern 2007, (=Interuniversitäre Schriften zur <strong>Musik</strong>pädagogik und <strong>Musik</strong>wissenschaft hrsg. von P. M.<br />

Krakauer und C. Khittl, 1), S. 139f.<br />

4 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in Friedrich Nietzsche: Werke, hrsg. von Karl Schlechta, Hanser,<br />

München 1955, Bd. 2, S. 250.

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