Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
You also want an ePaper? Increase the reach of your titles
YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.
Wilfried Gruhn<br />
33<br />
Vokalisation (infant directed speech and song) gleich wirksam ersetzen. Über die<br />
Grundausstattung zum richtigen Singen verfügt jedes Kind; Fehlentwicklungen sind<br />
meist sozial ver<strong>mit</strong>telt – oder wie es Donata Elschenbroich ausdrückt: «‘Nicht musikalisch’<br />
zu s<strong>ein</strong> ist erlernt». 24<br />
3. Von der biologischen Kommunikation zur künstlerischen Expression<br />
Es ist <strong>ein</strong> evolutionsgeschichtlich weiter Weg, der von den elementaren Formen der<br />
artspezifischen Tier<strong>la</strong>ute zum audio-vokalen Lernen des Vogelgesangs bis hin zum<br />
Erwerb von Sprache und <strong>Musik</strong> beim Menschen geführt hat. Denn das, was wir heute<br />
im k<strong>la</strong>ssischen Kunstbetrieb als Kunstgesang (Belcanto) pflegen, steht der biologischen<br />
Kommunikation <strong>mit</strong> ihrer kreatürlichen expressiven Ver<strong>mit</strong>tlung po<strong>la</strong>r gegenüber.<br />
Auf <strong>ein</strong>er lernpsychologisch frühen Stufe der vokalen Lautproduktion und<br />
Bewegungskoordination geht es dabei um folgende Prinzipien, die ebenso für die<br />
präverbale Lautentwicklung als auch bei der Sprachentwicklung wichtig sind:<br />
• das Treffen von Tonhöhen (Singen) und Vokalformaten (Sprache) = ‘pitch/sound<br />
matching’;<br />
• das Einhalten <strong>ein</strong>es linear durch<strong>la</strong>ufenden Puls (‘horizontal time keeping’);<br />
• das zeitliche Alternieren in der sprachlichen Kommunikation (Sprecherwechsel)<br />
und<br />
• die melodische, harmonische und rhythmische Integration der Einzelstimme in <strong>ein</strong>en<br />
Gesamtk<strong><strong>la</strong>ng</strong> (‘vertical integration’).<br />
Allerdings kommt diesen Fähigkeiten unterschiedliches Gewicht für das Singen und<br />
Sprechen zu. Während musikalische Fähigkeiten das ‘pitch matching’, ‘time keeping’<br />
und die ‘vertical integration’ erfordern, nehmen für den Spracherwerb diese<br />
Merkmale in dem Maße ab, wie die symbolische Bedeutungszuordnung zwischen<br />
K<strong><strong>la</strong>ng</strong> und Zeichen zum Aufbau <strong>ein</strong>es symbolischen Zeichensystems wichtig wird.<br />
Für das Verstehen der Mitteilung in gesprochener Sprache ist das kommunikative<br />
Alternieren, also der Wechsel von Rede und Gegenrede wichtig, während beim Musizieren<br />
es gerade darauf ankommt, nicht wie beim Geheul <strong>ein</strong>es Wolfrudels parallel<br />
bzw. heterophon neben<strong>ein</strong>ander zu vokalisieren, sondern die eigene Produktion<br />
melodisch und rhythmisch in <strong>ein</strong>en mehrstimmiges Gefüge harmonisch zu integrieren.<br />
24 Donata Elschenbroich, Weltwissen der Siebenjährigen, Goldmann, München 2001, S. 212.