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Beschäftigung mit Musik – ein Leben lang / Fare musica – tutta la vita

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Vom Vogelgezwitscher zum Kunstgesang<br />

tiert worden. Charles Darwin 1 ging davon aus, dass der Gesang <strong>ein</strong>e wichtige Rolle<br />

bei der Partnerwahl spiele und daher <strong>ein</strong> Ziel der natürlichen Selektion sei. Die These,<br />

dass <strong>Musik</strong> <strong>ein</strong>e evolutionäre Adaptation darstelle und in dieser Funktion der<br />

Entwicklung der Sprache ähnlich sei, wird von vielen Evolutionsbiologen, Anthropologen,<br />

Ethnomusikologen und Biomusikologen vertreten. 2 Demgegenüber sehen<br />

andere Forscher die <strong>Musik</strong> lediglich als angenehmes Nebenprodukt der kognitiven<br />

Entwicklung an, die nichts anderes als <strong>ein</strong>e funktional nutzlose Verzierung darstelle,<br />

also gewissermaßen <strong>ein</strong> ‘auditory cheesecake’ sei. 3<br />

Daraus ergeben sich verschiedene Hypothesen, wonach entweder die Sprache der<br />

<strong>Musik</strong> vorangegangen sei und erst die prosodischen Elemente emotionalen Sprechens<br />

zur musikalischen Melodik und da<strong>mit</strong> zum Gesang geführt haben, 4 oder umgekehrt<br />

der Gesang <strong>ein</strong>e Grund<strong>la</strong>ge der natürlichen Selektion bei der Partnerwahl<br />

darstelle 5 und daher <strong>ein</strong>en Vorläufer der Sprache bilde. Demgegenüber verweisen<br />

andere Forscher heute auf die gem<strong>ein</strong>samen phonologischen und neurobiologischen<br />

Wurzeln der Lautproduktion und gehen von <strong>ein</strong>er prototypischen ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’<br />

aus, 6 aus der sich dann <strong>Musik</strong> und Sprache gem<strong>ein</strong>sam entfaltet und neben<strong>ein</strong>ander<br />

in verschiedener Weise entwickelt haben. Diese phylogenetische Entwicklung<br />

lässt sich auch anhand der Ontogenese der vokalen Entwicklung des Säuglings<br />

nachvollziehen, bei der in den ersten <strong>Leben</strong>smonaten noch nicht deutlich zwischen<br />

präverbaler und prämusikalischer Vokalisation im Rahmen der Mutter-Kind-Interaktion<br />

unterschieden werden kann. 7<br />

Dabei ist es notwendig, zwei Arten i<strong>mit</strong>atorischen Verhaltens zu unterscheiden,<br />

nämlich <strong>ein</strong> instrumentelles und <strong>ein</strong> rituelles Verhaltensmuster. 8 Instrumentelle I<strong>mit</strong>ation<br />

zielt auf <strong>ein</strong> funktionales Ergebnis, wobei es unerheblich ist, auf welche Weise<br />

dieses Ergebnis zustande kommt. Demgegenüber ist rituelles Verhalten auf die<br />

genaue I<strong>mit</strong>ation oder Reproduktion der Form <strong>ein</strong>es beobachteten Verhaltens ge-<br />

1 Charles Darwin, The Descent of Man, and Selection in Re<strong>la</strong>tion to Sex, Princeton University Press, Princeton 1871-1981.<br />

2 Steven Brown, The ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’ model of music evolution, in The Origins of Music, ed. by Nils L. Wallin, Björn<br />

Merker, Steven Brown, MIT Press, Cambridge MA 2000, 271-300; Ian Cross-Iain Morley, The Evolution of Music:<br />

Theories, Definitions and the Nature of the Evidence, in Communicative Musicality, ed. by Stephen Malloch and<br />

Colwyn Trevarthen, Oxford University Press, Oxford 2008; W. Tecumseh Fitch, The biology and evolution of music:<br />

A comparative perspective, «Cognition» C(2006), S. 173-215; Steven Mithen, The Singing Neanderthals: The Origins<br />

of Music, Language, Mind, and Body, Weidenfels&Nicolson, London 2005; The Origins of Music, ed. by Nils<br />

L. Wallin, Björn Merker, Steven Brown, MIT Press, Cambridge (MA) 2000.<br />

3 Steven Pinker, How the Mind Works, Norton, New York-London 1997, S. 534.<br />

4 Herbert Spencer, The Origin and Function of Music, «Fraser’s Magazine» LVI (1857), S. 396-40.<br />

5 Vgl. Ch. Darwin, The Descent a. a. O.<br />

6 S. Brown, The ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’ model of music evolution, in The Origins a. a. O., S. 271-300.<br />

7 Kerstin Leimbrink, Die Entwicklung der präverbalen Interaktion. Eine Verhaltensbeobachtungsstudie an vier<br />

Säuglingen, PhD-Diss., Technische Universität Dortmund 2008 (i.Dr.). Hinzuweisen ist hier aber auf <strong>ein</strong>e Studie von<br />

António Rocha an der New University of Lisbon, der unterschiedliche vokale Reaktionen auf Sprache und <strong>Musik</strong> bei<br />

9- bis 11-monatigen Säuglingen untersucht. Vgl. António Rocha, Joao P. Reigado & Helena Rodrigues, Vocalisations<br />

in regard to, music and <strong><strong>la</strong>ng</strong>uage stimuli by 9-11 months old infants, in Proceedings of the 22. International<br />

ISME Research Seminar, Porto 2008, S. 32-38.<br />

8 Björn Merker, The conformal motive in birdsong, music, and <strong><strong>la</strong>ng</strong>uage: an introduction, in The Neurosciences<br />

and Music II, ed. by Giuliano Avanzini-Luisa Lopez-Maria Majno, New York 2005 (Annals of the New York Academy<br />

of Sciences, MLX), S. 17-28.

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