Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
Beschäftigung mit Musik â ein Leben lang / Fare musica â tutta la vita
You also want an ePaper? Increase the reach of your titles
YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.
26<br />
Vom Vogelgezwitscher zum Kunstgesang<br />
tiert worden. Charles Darwin 1 ging davon aus, dass der Gesang <strong>ein</strong>e wichtige Rolle<br />
bei der Partnerwahl spiele und daher <strong>ein</strong> Ziel der natürlichen Selektion sei. Die These,<br />
dass <strong>Musik</strong> <strong>ein</strong>e evolutionäre Adaptation darstelle und in dieser Funktion der<br />
Entwicklung der Sprache ähnlich sei, wird von vielen Evolutionsbiologen, Anthropologen,<br />
Ethnomusikologen und Biomusikologen vertreten. 2 Demgegenüber sehen<br />
andere Forscher die <strong>Musik</strong> lediglich als angenehmes Nebenprodukt der kognitiven<br />
Entwicklung an, die nichts anderes als <strong>ein</strong>e funktional nutzlose Verzierung darstelle,<br />
also gewissermaßen <strong>ein</strong> ‘auditory cheesecake’ sei. 3<br />
Daraus ergeben sich verschiedene Hypothesen, wonach entweder die Sprache der<br />
<strong>Musik</strong> vorangegangen sei und erst die prosodischen Elemente emotionalen Sprechens<br />
zur musikalischen Melodik und da<strong>mit</strong> zum Gesang geführt haben, 4 oder umgekehrt<br />
der Gesang <strong>ein</strong>e Grund<strong>la</strong>ge der natürlichen Selektion bei der Partnerwahl<br />
darstelle 5 und daher <strong>ein</strong>en Vorläufer der Sprache bilde. Demgegenüber verweisen<br />
andere Forscher heute auf die gem<strong>ein</strong>samen phonologischen und neurobiologischen<br />
Wurzeln der Lautproduktion und gehen von <strong>ein</strong>er prototypischen ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’<br />
aus, 6 aus der sich dann <strong>Musik</strong> und Sprache gem<strong>ein</strong>sam entfaltet und neben<strong>ein</strong>ander<br />
in verschiedener Weise entwickelt haben. Diese phylogenetische Entwicklung<br />
lässt sich auch anhand der Ontogenese der vokalen Entwicklung des Säuglings<br />
nachvollziehen, bei der in den ersten <strong>Leben</strong>smonaten noch nicht deutlich zwischen<br />
präverbaler und prämusikalischer Vokalisation im Rahmen der Mutter-Kind-Interaktion<br />
unterschieden werden kann. 7<br />
Dabei ist es notwendig, zwei Arten i<strong>mit</strong>atorischen Verhaltens zu unterscheiden,<br />
nämlich <strong>ein</strong> instrumentelles und <strong>ein</strong> rituelles Verhaltensmuster. 8 Instrumentelle I<strong>mit</strong>ation<br />
zielt auf <strong>ein</strong> funktionales Ergebnis, wobei es unerheblich ist, auf welche Weise<br />
dieses Ergebnis zustande kommt. Demgegenüber ist rituelles Verhalten auf die<br />
genaue I<strong>mit</strong>ation oder Reproduktion der Form <strong>ein</strong>es beobachteten Verhaltens ge-<br />
1 Charles Darwin, The Descent of Man, and Selection in Re<strong>la</strong>tion to Sex, Princeton University Press, Princeton 1871-1981.<br />
2 Steven Brown, The ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’ model of music evolution, in The Origins of Music, ed. by Nils L. Wallin, Björn<br />
Merker, Steven Brown, MIT Press, Cambridge MA 2000, 271-300; Ian Cross-Iain Morley, The Evolution of Music:<br />
Theories, Definitions and the Nature of the Evidence, in Communicative Musicality, ed. by Stephen Malloch and<br />
Colwyn Trevarthen, Oxford University Press, Oxford 2008; W. Tecumseh Fitch, The biology and evolution of music:<br />
A comparative perspective, «Cognition» C(2006), S. 173-215; Steven Mithen, The Singing Neanderthals: The Origins<br />
of Music, Language, Mind, and Body, Weidenfels&Nicolson, London 2005; The Origins of Music, ed. by Nils<br />
L. Wallin, Björn Merker, Steven Brown, MIT Press, Cambridge (MA) 2000.<br />
3 Steven Pinker, How the Mind Works, Norton, New York-London 1997, S. 534.<br />
4 Herbert Spencer, The Origin and Function of Music, «Fraser’s Magazine» LVI (1857), S. 396-40.<br />
5 Vgl. Ch. Darwin, The Descent a. a. O.<br />
6 S. Brown, The ‘musi<strong><strong>la</strong>ng</strong>uage’ model of music evolution, in The Origins a. a. O., S. 271-300.<br />
7 Kerstin Leimbrink, Die Entwicklung der präverbalen Interaktion. Eine Verhaltensbeobachtungsstudie an vier<br />
Säuglingen, PhD-Diss., Technische Universität Dortmund 2008 (i.Dr.). Hinzuweisen ist hier aber auf <strong>ein</strong>e Studie von<br />
António Rocha an der New University of Lisbon, der unterschiedliche vokale Reaktionen auf Sprache und <strong>Musik</strong> bei<br />
9- bis 11-monatigen Säuglingen untersucht. Vgl. António Rocha, Joao P. Reigado & Helena Rodrigues, Vocalisations<br />
in regard to, music and <strong><strong>la</strong>ng</strong>uage stimuli by 9-11 months old infants, in Proceedings of the 22. International<br />
ISME Research Seminar, Porto 2008, S. 32-38.<br />
8 Björn Merker, The conformal motive in birdsong, music, and <strong><strong>la</strong>ng</strong>uage: an introduction, in The Neurosciences<br />
and Music II, ed. by Giuliano Avanzini-Luisa Lopez-Maria Majno, New York 2005 (Annals of the New York Academy<br />
of Sciences, MLX), S. 17-28.