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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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ewegung. Kriegsfreiwilliger, Kriegsgefangener,<br />

erst 1920 aus Sibirien, lebenslang<br />

gesundheitlich anfällig, nach<br />

Berlin zurückgekehrt, gründete er<br />

1921 <strong>die</strong> von ihm geleitete „Märkischen<br />

Spielgemeinde Berlin“, <strong>die</strong> sich<br />

nicht nur mit dem Musizieren an festen<br />

Orten begnügte, sondern musizierend<br />

auf Fahrt ging. 1923 hatte er als<br />

Nachfolger Ernst Buskes <strong>die</strong> Führung<br />

des Alt-Wandervogels übernommen.<br />

Er arbeitete am Spandauer Lehrerseminar<br />

und diversen anderen pädagogischen<br />

Einrichtungen in Berlin, ehe er<br />

beschloss, sich künftig ausschließlich<br />

der Musikerziehung in einer überörtlichen<br />

Einrichtung zu widmen, um über<br />

<strong>die</strong> Musikerziehung „der Ganzheit des<br />

Lebens in seiner Einheit und der Gemeinsamkeit<br />

seiner Teile zu <strong>die</strong>nen“,<br />

wie es Fritz Jöde ausdrückte.<br />

Das Musikheim um 1930<br />

So beendete er 1923 seine Tätigkeit<br />

als Volksschullehrer in Berlin für ein<br />

reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

12<br />

freies Musikstudium, um seinem großen<br />

Ziel damit näher zu kommen.<br />

Es war ein großes Glück für ihn, dass<br />

ihm 1924 der preußische Kultusminister<br />

Carl Heinrich Becker begegnete,<br />

der ihm auch ohne Stu<strong>die</strong>nabschluss<br />

<strong>die</strong> Chance gab, seinen Lebenstraum<br />

in einer eigenen Stätte der Musikpädagogik<br />

in Frankfurt/Oder zu verwirklichen.<br />

Götsch war durchaus keine unproblematische<br />

Figur. Ein Mensch, der alle<br />

seine Gefolgsleute und Schüler mitreißen<br />

konnte, aber auch schnell empfindlich<br />

reagierte. Er wird von Zeitgenossen<br />

als sprunghaft, bisweilen unerträglich<br />

rechthaberisch geschildert,<br />

politisch naiv, keine Seltenheit in der<br />

Jugendbewegung. Er war Mitglied der<br />

NSDAP und äußerte sich zur Machtergreifung<br />

sehr positiv, wie auch Gardiner<br />

und andere Jugendbewegte, <strong>die</strong><br />

den Nationalsozialismus allzu lange für<br />

eine Umsetzung ihrer Theorien in <strong>die</strong><br />

Wirklichkeit einer Gesellschaft hielten.<br />

Seine Ehe mit der Engländerin Kitty<br />

Trevelyan zerbrach 1936 an <strong>die</strong>sen<br />

Diskrepanzen. Welchen Anteil ihre von<br />

Insidern erwähnte angebliche Affäre<br />

mit dem Puppenspieler Harro Siegel<br />

an <strong>die</strong>ser Trennung hatte, mag dahingestellt<br />

bleiben.<br />

Carl Heinrich Becker<br />

In der Person des mehrjährigen Preußischen<br />

Kultusministers Carl Heinrich<br />

Becker begegnet uns<br />

ein Mann, dessen Anteil<br />

an der Entwicklung<br />

der Lehrerakademien<br />

zwar bekannt<br />

ist, dessen fördernde,<br />

vermittelnde und koordinierende<br />

Rolle in<br />

der Durchsetzung der<br />

Ideen der "neuen<br />

Richtung" und der<br />

Volkshochschulheime,<br />

aber auch der<br />

Arbeitslagerbewegung,<br />

oft unterschätzt<br />

wird, weil in der Fachliteratur<br />

eben jene Personen im Vordergrund<br />

stehen, <strong>die</strong> das große Wort<br />

in der theoretischen Diskussion führten.<br />

Carl Heinrich Becker aber war ein im<br />

Hintergrund unentwegt fördernder<br />

und stimulierender Begleiter all <strong>die</strong>ser<br />

Entwicklungen. Es ist ausschließlich<br />

seiner Überzeugungskraft zu danken,<br />

dass eine so neue Einrichtung wie das<br />

Musikheim in der Politik durchgesetzt<br />

werden konnte und wir können das<br />

Musikheim durchaus als ein Geschenk<br />

Beckers an Götsch sehen.<br />

Das Musikheim wurde dabei ganz bewusst<br />

im östlichen Brandenburg errichtet,<br />

um, ähnlich wie das Boberhaus,<br />

neben dem fachlichen Zweck<br />

auch <strong>die</strong> Region zu stärken. 15<br />

Gardiner berichtet, das Musikheim sei<br />

ursprünglich als "Volkshaus im deutschen<br />

Osten" gedacht gewesen und<br />

Götsch spricht gar von „Durchblutung<br />

und geistige Kolonisierung des Ostraumes“<br />

16<br />

15 Man kann alle drei hier behandelten Einrichtungen<br />

auch als Siedlungen bezeichnen, “Settlements”,<br />

wie es Gardiner ausdrückt. Allerdings<br />

nicht im Sinne der schon erwähnten lebensreformerischen<br />

Siedlungen, sondern der englischen<br />

Settlement-Bewegung Barnetts: Angehörige<br />

gebildeter bürgerlicher Schichten siedelten<br />

in den Elendsvierteln des Proletariats und boten<br />

nachbarschaftliche Kontakte und Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

an. Dadurch sollte das<br />

Selbsthilfepotential der Betroffenen gestärkt<br />

werden, was im Gegensatz zur bis dahin praktizierten<br />

Hilfe in Form von Almosengeben<br />

stand.(Formulierung Wikipedia)<br />

16 zit. nach: Gruhn, Wilfried: Geschichte der<br />

Musikerziehung. Hofheim: Wolke 1993; S. 232

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