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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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meine <strong>die</strong> „politischen Auffassungen“<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s, und bringt dagegen<br />

seine Argumente vor, auf <strong>die</strong> Schernikau<br />

natürlich korrigierend reagieren<br />

musste.<br />

Damit könnte man <strong>die</strong>sen Dissens eigentlich<br />

als erledigt betrachten und<br />

ad acta legen. Indessen wird hier noch<br />

einmal ein Problem artikuliert, das<br />

seit der Hohmann-Dissertation und<br />

dem Vortrag von Stefan Vogt in Halle<br />

in unserem <strong>Verein</strong> <strong>immer</strong> noch nicht<br />

ausreichend diskutiert und geklärt erscheint:<br />

In welchem Sinne hat <strong>Adolf</strong><br />

<strong>Reichwein</strong> einerseits sozialistisch und<br />

andererseits national gedacht, wie<br />

konnte er <strong>die</strong>sen scheinbaren Gegensatz,<br />

<strong>die</strong>sen paradoxen Widerspruch<br />

verbinden und was hat das für sein<br />

politisches (und pädagogisches) Handeln<br />

vor und nach 1933 bedeutet ?<br />

2.<br />

Mittlerweile dürfte es ziemlich klar<br />

und unstrittig sein, dass <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong><br />

Ende der 20er Jahre zu den national<br />

gesinnten „jungen Rechten“ der<br />

Sozialdemokratie bzw. in <strong>die</strong> breite<br />

Strömung des „nationalen Sozialismus“<br />

jener Jahre gehörte, zumal er<br />

sich selbst einmal als „nationaler Sozialist“<br />

bezeichnet hat. (Brief an Frl.<br />

Walther) Ich bin in <strong>die</strong>sem Punkt inzwischen<br />

etwas dezi<strong>die</strong>rter, als ich<br />

das im Herbst 2007 war. Heinz<br />

Schernikau hat <strong>die</strong>sen Umstand in<br />

sein Tiefensee-Buch bereits eingearbeitet,<br />

während Karl Christoph Lingelbach<br />

und mancher andere sich<br />

noch dagegen wehrt. (vgl. auch<br />

K.Ch.Lingelbach: Ein sozialdemokratischer<br />

„junger Rechter“ und ein „nationaler<br />

Sozialist“? rf, Nr. 13 (Dez.<br />

2008), S. 40 - 50) Aber was bedeutet<br />

das im konkreten Fall ? Wie konnte<br />

<strong>Reichwein</strong> national gesinnt sein und<br />

zugleich marxistisch denken und aus<br />

welchen Gründen ging er als „nationaler<br />

Sozialist“ nach 1933 in den politischen<br />

Widerstand gegen den herrschenden<br />

Nationalsozialismus ? Das<br />

erscheint mir <strong>immer</strong> noch erklärungsbedürftig.<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang finde ich<br />

<strong>die</strong> „Denkfigur“ von Heinz Schernikau<br />

reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

31<br />

ganz plausibel und hilfreich. Der rechte,<br />

nationale Sozialismus entstand<br />

demnach in Deutschland nach der Katastrophe<br />

des 1. Weltkriegs aus der<br />

„doppelten Frontstellung“ einerseits<br />

gegen den liberalistischen Kapitalismus<br />

und andererseits gegen den<br />

doktrinären Marxismus mit seiner<br />

Klassenkampfstrategie. Beide hatten<br />

sich im 1. Weltkrieg gründlich blamiert,<br />

<strong>die</strong> Nation, der Nationalismus<br />

hatte sich als <strong>die</strong> dritte Kraft erwiesen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden anderen überwältigte.<br />

Das ist weniger eine „These“ -<br />

schon gar nicht eine über <strong>die</strong> politischen<br />

Auffassungen <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s,<br />

wie Lingelbach meint -, als vielmehr<br />

eine Beschreibung der damaligen politischen<br />

Problemkonstellation, ein<br />

Problemaufriss, der sich nach dem 1.<br />

Weltkrieg in Deutschland entfaltete<br />

und <strong>immer</strong> mehr in den politischen<br />

Vordergrund drängte, bis er schließlich<br />

<strong>die</strong> zweite Hälfte der 1920er Jahre<br />

beherrschte und <strong>die</strong> „Weimarer Republik“<br />

in den Abgrund führte.<br />

Man könnte in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

an ein politisches Kräfteparallelogramm<br />

denken, das dem „pädagogischen<br />

Parallelogramm“ <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s<br />

im „Schaffenden Schulvolk“ auf<br />

der politischen Ebene ähnelt. Auf der<br />

einen Achse verläuft der liberale Kapitalismus,<br />

auf der anderen Achse der<br />

klassenkämpferische Marxismus, und<br />

dazwischen sucht sich der „nationale<br />

Sozialismus“ (oder der „soziale Nationalismus“?)<br />

seinen diagonalen „dritten<br />

Weg“, der sich von den beiden<br />

anderen Achsen absetzt, zu beiden in<br />

Opposition geht. Der Liberalismus des<br />

Konkurrenz- und Profitkapitalismus,<br />

der sich mit seinen technischen Mitteln<br />

als destruktiv erwiesen hatte,<br />

sollte unter eine politische, planwirtschaftliche,<br />

sozialistische Kontrolle<br />

gebracht werden. Und der doktrinäre,<br />

klassenkämpferische Marxismus erschien<br />

nicht mehr als <strong>die</strong> Strategie,<br />

mit der <strong>die</strong> Einheit und Stärke des<br />

deutschen Volkes, der Nation wieder<br />

hergestellt werden konnte. Es musste<br />

etwas dazwischen geben, einen dritten<br />

Weg, und das war für viele der<br />

„nationale Sozialismus“, in dem Volk<br />

und Nation, <strong>die</strong> „Volksgemeinschaft“<br />

im Mittelpunkt stehen und <strong>die</strong> Richtlinien<br />

der Politik bestimmen sollte.<br />

Das war auch nach dem 1. Weltkrieg<br />

<strong>immer</strong> noch eine Legitimationsbasis,<br />

von der aus man sowohl gegen den liberalen<br />

Kapitalismus als auch gegen<br />

autoritäre Auswüchse der marxistischen<br />

Klassenkampfstrategie argumentieren<br />

und vorgehen konnte.<br />

Ich meine, dass auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong><br />

Position und Richtung des nationalen<br />

Sozialismus im Deutschland der<br />

1920er Jahre, in der „Weimarer Republik“<br />

ganz gut umrissen werden<br />

kann und dass er sich deshalb nicht<br />

nur außerhalb des herkömmlichen<br />

Parteienspektrums, vor allem in der<br />

NSDAP, durchsetzen konnte, sondern<br />

sich auch innerhalb einiger herkömmlicher<br />

Parteien, z.B. in der SPD, in der<br />

„jungen Rechten“ ansiedeln konnte.<br />

Welche Rolle dabei <strong>die</strong> durch den 1.<br />

Weltkrieg hindurchgegangene Jugendbewegung<br />

gespielt hat und wie<br />

sie in den damaligen Konflikten auseinander<br />

gerissen wurde, ist ein Thema<br />

für sich. Und ich meine auch, dass der<br />

junge <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> <strong>die</strong>sem dritten<br />

Weg des nationalen Sozialismus im<br />

weitesten Sinne zugeordnet werden<br />

kann.<br />

3.<br />

Im Falle <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s sind aber<br />

auch einige Einschränkungen und<br />

Spezifizierungen nötig. Er war selbstverständlich<br />

kein Nationalist, der Nationalismus<br />

hatte ja gerade erst <strong>die</strong><br />

Katastrophe des 1. Weltkriegs herbeigeführt,<br />

und ihm lag überhaupt nichts<br />

daran, <strong>die</strong>se Tragö<strong>die</strong> fortzusetzen<br />

oder gar zu wiederholen. Er war aber<br />

doch ein Patriot, der das deutsche<br />

Volk, den jungen deutschen Nationalstaat<br />

als den kulturellen Nährboden<br />

verstand, auf dem pädagogisches und<br />

politisches Handeln in Deutschland<br />

überhaupt nur möglich war und von<br />

dem aus andere politische, gesellschaftliche<br />

und technischzivilisatorische<br />

Kräfte in ihre Grenzen<br />

verwiesen werden konnten und mussten.<br />

Volk und Nation (als Kulturnation) waren<br />

für ihn also eine Identitätsbasis,

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