„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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in <strong>die</strong>sem Heim benennen beide <strong>die</strong><br />
verschiedenartigen Schwierigkeiten in<br />
<strong>die</strong>ser Anfangsphase, <strong>die</strong> sowohl <strong>die</strong><br />
wirtschaftliche Lage des Heims als<br />
auch das Verstehen untereinander im<br />
Zusammenleben der Heimbesatzung<br />
betrafen. Das wichtigste Fazit des<br />
Heimbesuchs besteht jedoch darin,<br />
dass er der Persönlichkeitsentwicklung<br />
jedes einzelnen sehr ge<strong>die</strong>nt hat.<br />
Zwei Beiträge, deren Verfasser ein am<br />
Volkshochschulheim tätiger Assistent<br />
<strong>Reichwein</strong>s war, berichten über <strong>die</strong><br />
mehrwöchige Reise mit „Rucksack<br />
und Zelt“ zum Balkan, an der außer<br />
den Heimschülern des Lehrgangs<br />
1928/29 drei weitere aus Zeissarbeitern<br />
und Studenten bestehende<br />
Gruppen teilnahmen. Jede der vier<br />
Gruppen musste ein anderes südeuropäisches<br />
Land durchqueren und hat<br />
dabei manch Abenteuerliches erlebt.<br />
Gemeinsam trafen sie sich in Varna.<br />
Wesentlich für <strong>die</strong> Bilanzierung der<br />
Reise ist <strong>die</strong> Feststellung, dass Anschauung<br />
und Kenntnis vom südeuropäischen<br />
Raum gewonnen wurde,<br />
man auf dem Balkan auf eine andere<br />
Welt traf und <strong>die</strong> Fahrt vielfach Gelegenheit<br />
zum Lernen im sozialen Mit-<br />
und Füreinander geboten hat.<br />
Der schon einmal genannte Jungarbeiter,<br />
der während des Lehrjahres<br />
1928/29 das Volkshochschulheim besuchte,<br />
hat seinem Beitrag über <strong>die</strong><br />
Balkanfahrt recht klassenbewusst den<br />
Titel „Politische Erziehung durch Auslandsreisen“<br />
gegeben. Als Höhepunkt<br />
des Unternehmens wurde <strong>die</strong> von<br />
Konstantinopel aus unter anderem<br />
nach Athen und Venedig führende<br />
Schiffsreise empfunden.<br />
Über <strong>die</strong> fruchtbare Zusammenarbeit<br />
zwischen den in Jena und Prerow bestehenden<br />
Heimeinrichtungen des<br />
Volkshochschulbereichs berichten<br />
zwei Dokumente über den Prerower<br />
Sommerkurs des Jahres 1926, der drei<br />
Abteilungen umfasste. Die Jenaer<br />
Heimbesucher beteiligten sich an den<br />
Vormittagen an den Arbeiten zur Fertigstellung<br />
des Neubaus für <strong>die</strong> Heimvolkshochschule<br />
in Prerow und konnten<br />
an den Nachmittagen an den laufenden<br />
Kursen teilnehmen. Gegenstand<br />
für <strong>die</strong>sen Sommerkurs war das<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
70<br />
Doppelthema Politik und Pädagogik.<br />
<strong>Reichwein</strong>, der wegen der bevorstehenden<br />
Amerikareise nur eine Woche<br />
lang verfügbar war, musste seine<br />
Mitwirkung auf <strong>die</strong> erste Abteilung<br />
beschränken und konnte in der ihm<br />
möglichen kurzen Zeit noch ein tragfähiges<br />
Fundament für <strong>die</strong> folgende<br />
Arbeit legen. Die von Fritz Klatt geleitete<br />
zweite Abteilung hatte „Die<br />
Gruppenbildung der neuen Gesellschaft“<br />
zum Gegenstand und rückte<br />
dazu <strong>die</strong> Familie und <strong>die</strong> Berufsgruppen<br />
in den Vordergrund. In der von<br />
Dr. Pahl geleiteten dritten Abteilung<br />
wurde unter Rückgriff auf <strong>die</strong> von<br />
<strong>Reichwein</strong> geäußerten Ansichten und<br />
<strong>die</strong> maßgeblichen politischen Schriften<br />
der Bildung eigener Auffassungen<br />
Raum gegeben. Im Unterschied dazu<br />
befasste sich <strong>die</strong> von Fritz Klatt geleitete<br />
Arbeitsgemeinschaft mit der Frage,<br />
welche Mittel für <strong>die</strong> bessere<br />
Kommunikation im Prozess gemeinsamen<br />
Denkens genutzt werden können.<br />
Der zweite auf den Prerower Sommerkurs<br />
von 1926 bezogene Beitrag<br />
beinhaltet den „Bericht junger Kommunisten“<br />
über den von <strong>Reichwein</strong><br />
geleiteten Kursteil. Darin wurde der<br />
Standunkt vertreten: „Proletarische<br />
Bildungs- und Erziehungsarbeit ist und<br />
muss sein Erziehung zur Erkenntnis<br />
der Klassenlage und zum Klassenkampf.“<br />
Toleriert wird auch <strong>die</strong> von<br />
der Volkshochschule deklarierte Erziehung<br />
zum „Gemeinschaftssinn“ in<br />
der Erkenntnis, dass <strong>die</strong>ser für <strong>die</strong> angestrebte<br />
neue Gesellschaft unerlässlich<br />
ist. Welches Urteil der weitere<br />
Verlauf der Geschichte über <strong>die</strong> hier<br />
vertretene Ideologie und <strong>die</strong> Versuche<br />
ihrer Verwirklichung gefällt hat,<br />
ist allgemein bekannt.<br />
Franz Walter: „Republik,<br />
das ist nicht viel“.<br />
Partei und Jugend in der<br />
Krise des Weimarer<br />
Sozialismus<br />
Rezension<br />
(Stu<strong>die</strong>n des Göttinger Instituts für Demokratieforschung<br />
zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher<br />
Kontroversen Band 2), transcript<br />
verlag Bielefeld 2011<br />
Dieter Wunder<br />
Walters Buch ist für <strong>Reichwein</strong>interessierte<br />
deswegen aufschlussreich,<br />
weil darin jene Jungsozialisten, denen<br />
<strong>Reichwein</strong> nahestand, eine gewichtige<br />
Rolle spielen. Auf <strong>die</strong>sen Aspekt, Aufschlüsse<br />
zu <strong>Reichwein</strong>, will ich <strong>die</strong> Beurteilung<br />
des Buches konzentrieren.<br />
Dies erscheint mir auch insofern gerechtfertigt,<br />
als andere Aspekte wie<br />
<strong>die</strong> Auseinandersetzungen um <strong>die</strong><br />
Vorbereitung einer Revolution Anfang<br />
der 30er Jahre oder marxistische Esoterik<br />
mir für das ‚forum‘ weniger interessant<br />
erscheinen.<br />
Der Hofgeismarer Kreis der Jungsozialisten<br />
spielt in Walters Darstellung<br />
zweimal eine wichtige Rolle. 1923 bis<br />
1925 war er eine ihrer wichtigsten<br />
Gruppierungen. <strong>Reichwein</strong> sollte 1924<br />
sollte Redakteur der Zeitschrift „Werkland“<br />
werden, an der wesentlich<br />
Hofgeismarer Jungsozialisten und das<br />
Dessauer Bauhaus mitarbeiten sollten;<br />
Näheres ist unbekannt 42 . Ehemalige<br />
Hofgeismarer gründeten 1930 <strong>die</strong><br />
Neuen Blätter für den Sozialismus, in<br />
deren Beirat <strong>Reichwein</strong> saß 43 . Zu <strong>die</strong>ser<br />
Gründung schreibt Walter zusammenfassend:<br />
„Die früheren Hofgeismarer<br />
Sozialdemokraten (gingen)<br />
Anfang der dreißiger Jahre noch einmal<br />
in <strong>die</strong> Offensive. Eine Zeitschrift<br />
wurde gegründet, <strong>die</strong> Neuen Blätter<br />
42 Dieter Wunder, Die Bedeutung der Marburger<br />
Stu<strong>die</strong>nzeit für <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>, in:<br />
reichwein-forum Nr. 14 2009, S. 27-38, hier<br />
S. 32.<br />
43 Ullrich Amlung, <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> 1898-<br />
1944, Ein Lebensbild des Reformpädagogen,<br />
Volkskundlers und Widerstandskämpfers,<br />
Frankfurt 1999, S. 259-268