„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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Sängerinnen und Sänger. „Ein <strong>Reichwein</strong>ianer<br />
muss das können!“, meinte<br />
Prof. Vanja zu Beginn und er sollte<br />
Recht behalten. Wir waren schnell ein<br />
richtiger Chor. Ich war begeistert.<br />
Auch wenn <strong>die</strong> Zeit für Gespräche mit<br />
den Geschwistern <strong>Reichwein</strong> am Rande<br />
der Veranstaltung begrenzt<br />
war,bin ich doch von der Begegnung<br />
beeindruckt nach Hause gefahren und<br />
Erwachsenenbildung<br />
zwischen<br />
Erstem Weltkrieg und<br />
Nationalsozialismus<br />
Boberhaus in Schlesien<br />
Musikheim in Frankfurt/Oder<br />
Gore Farm/Springhead<br />
in Dorset/GB<br />
Hans-Peter Thun<br />
„Jede Generation hat das göttliche<br />
Recht, <strong>die</strong> Welt neu zu erschaffen“<br />
(Eugen Rosenstock) 1<br />
Ich beschreibe hier skizzenhaft drei<br />
Erwachsenenbildungseinrichtungen<br />
der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts,<br />
<strong>die</strong> wir leider nur als unvollendete<br />
Projekte ansehen können,<br />
denn ihre Arbeit war nicht nur auf unterschiedliche<br />
Beweggründe und Konzepte<br />
zurückzuführen, sondern wurde<br />
auch schon nach wenigen Jahren von<br />
der politischen Wirklichkeit zunichte<br />
gemacht, und <strong>die</strong> ihnen zugrunde liegenden<br />
Theorien der Volksbildung<br />
konnten nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
in ihren ursprünglichen Linien nicht<br />
1 zitiert von Rolf Gardiner als Motto seines<br />
Buchs „England Herself“<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
5<br />
hoffe, <strong>die</strong> Zukunft möge uns noch<br />
weitere Möglichkeiten der Begegnung<br />
bieten.Von der ARS Friedberg und<br />
meiner Kollegin Direktorin Dorothee<br />
Hantschel nehme ich dankbar <strong>die</strong> Anregung<br />
mit, einmal im Jahr einen Projekttag<br />
zu gestalten, zu dessen<br />
Schwerpunkten auch das Leben und<br />
wieder aufgenommen werden. Wir<br />
wissen nicht, was aus ihnen hätte<br />
werden können.<br />
Umbrüche<br />
Ein solches Thema kann nicht ohne<br />
seine geschichtlichen Bezüge dargestellt<br />
werden. Ich weise daher auf <strong>die</strong><br />
markanten gesellschaftlichen und industriellen<br />
Veränderungen in Deutschland<br />
seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
hin:<br />
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
steht Deutschland in einer Umbruchsituation,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Anpassungsfähigkeit<br />
vieler Menschen überfordert<br />
und beschreibende Zeitgenossen wie<br />
auch rückblickende Historiker zu dramatischen<br />
Formulierungen greifen<br />
lässt.<br />
Stichworte: Industrialisierung, Urbanisierung,<br />
Technisierung, Maschinenarbeit,<br />
Rationalisierung, Massengesellschaft.<br />
Die Märzrevolution von 1848<br />
läutete in Deutschland den Niedergang<br />
der Monarchie und ihrer Werte<br />
ein und den ersten Versuch, eine neue<br />
Gesellschaft nach den Regeln einer<br />
vom Volk bestimmten Demokratie zu<br />
schaffen, der dann knapp hundert Jahre<br />
später im Nationalsozialismus<br />
scheiterte.<br />
Die Industrialisierung setzte in<br />
Deutschland später ein, als in anderen<br />
Ländern, wie z.B. in England, das quasi<br />
100 Jahre Vorsprung und Erfahrung<br />
hatte, und überforderte so in ihrer<br />
Entwicklungsgeschwindigkeit <strong>die</strong> Gesellschaft<br />
umso mehr. Das Leben<br />
wandelt sich rapide. Immer neue<br />
technische Erfindungen und Moderni-<br />
Werk <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s gehört.<br />
Und vielleicht können wir im Herbst<br />
2012 <strong>die</strong> Kinder <strong>Reichwein</strong>s und andere<br />
Mitglieder des <strong>Verein</strong>s im Rahmen<br />
unseres Jubiläumsjahres als Gäste an<br />
unserer ARS begrüßen. Sabine <strong>Reichwein</strong><br />
hat schon zugesagt, auch wenn<br />
Berlin nicht gerade um <strong>die</strong> Ecke liegt!<br />
Norbert Kissel<br />
Vorträge der Jahrestagung 2011 in Friedberg<br />
sierungen verändern den Alltag der<br />
Menschen.<br />
Die Zahl der Einwohner des Deutschen<br />
Reiches steigt seit 1850 innerhalb von<br />
60 Jahren von 35 auf 61 Millionen.<br />
1850 lebten in Deutschland nur 5%<br />
der Bevölkerung in Großstädten, 1910<br />
bereits 24%. 2<br />
Kleine Städte wurden zu Großstädten,<br />
an den Rändern fransten sie hässlich<br />
zu industriell geprägten Vorstädten<br />
aus. Industrieunternehmen entstanden,<br />
<strong>die</strong> ihren Arbeitern oft extreme<br />
Arbeitsbedingungen zumuteten. Menschen<br />
und Familien, deren Leben bisher<br />
vom Kleinstädtischen und Ländlichen<br />
geprägt war, lebten nun ein anonymes<br />
und naturfernes Leben in der<br />
Großstadt. Eine allgemeine Landflucht<br />
ließ, wie bereits zuvor in England beobachtet,<br />
nicht nur <strong>die</strong> Bedeutung der<br />
Landwirtschaft abnehmen, sondern<br />
auch ländliche Betriebe schrumpfen,<br />
wenn nicht gar veröden und mit ihnen<br />
ganze Landschaften. Mehr oder weniger<br />
agrarisch geprägte Regionen wurden<br />
in kurzer Zeit moderne Industriegebiete.<br />
Was dem Menschen einst<br />
Halt gegeben hatte, löste sich für ihn<br />
auf, Familien- oder Dorfverbände verloren<br />
an Bedeutung.<br />
Dieses, und <strong>die</strong> schlechten Arbeits-<br />
und Lebensbedingungen der neuen<br />
und stetig wachsenden Gesellschaftsschicht<br />
der Industriearbeiter, bedingten<br />
soziale Probleme in den Ballungsgebieten.<br />
Die Verödung ländlicher Re-<br />
2 Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung:<br />
1848 - 1949, ein Jahrhundert der deutschen Geschichte<br />
(CD-ROM)