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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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Rolf nennt, wird 1902 in England geboren,<br />

verbringt aber den größten Teil<br />

seiner ersten 10 Lebensjahre vorwiegend<br />

in Berlin, da sein Vater, Alan<br />

Henderson Gardiner, ein berühmter<br />

Ägyptologe, in Berlin am Kaiser-<br />

Wilhelm-Museum (heute Bode-Museum)<br />

tätig ist, um dort Hieroglyphen<br />

zu entziffern und ein Buch zu schreiben.<br />

Rolf besucht später englische Reformschulen,<br />

setzt schon während der<br />

Schulzeit seine wohl bereits vorher<br />

gepflegten Aktivitäten in der Pfadfinderbewegung<br />

fort 18 , und beginnt -<br />

auch schon während der Schulzeit -<br />

einem weiteren Hobby zu frönen,<br />

dem Volkstanz, genau genommen der<br />

Variante eines ursprünglich maurischen<br />

rituellen, von Männern getanzten<br />

Gruppentanzes, Morris-Tanz genannt.<br />

Weder Rolf, noch seine Schwester<br />

Margret haben je einen erlernten Beruf<br />

ausgeübt, <strong>die</strong> finanziellen Verhältnisse<br />

in der Familie machten Arbeit<br />

um des Broterwerbs nicht notwendig.<br />

Er stu<strong>die</strong>rt in Cambridge drei Jahre<br />

lang nicht sonderlich intensiv moderne<br />

und mittelalterliche Sprachen,<br />

schließt mit einem mäßigen Examen<br />

ab. Er wird von Zeitzeugen in seiner<br />

Stu<strong>die</strong>nzeit in Cambridge als ein "bunter<br />

Vogel" bezeichnet, heute würde<br />

man sagen ein "schräger Typ". Er kleidet<br />

sich im Gegensatz zu seinen Kommilitonen<br />

auffällig farbenfroh, trägt<br />

seltsam gemusterte Hemden, <strong>die</strong> an<br />

mittelalterliche Kostüme erinnern, badet<br />

nackt im River Cam mit ebenso<br />

nackten weiblichen Kommilitonen und<br />

veranstaltet schon eben einmal bayerische<br />

Abende, bei denen er in Lederhose<br />

und Wadenstrümpfen auftritt. In<br />

den Ferien zieht es ihn <strong>immer</strong> wieder<br />

nach Deutschland und in andere europäischer<br />

Regionen, wo er an vielen<br />

Treffen von Jugendverbänden teil-<br />

18 Vielleicht schon in Deutschland?: “As a boy<br />

who had been in a Scout troop long before going<br />

to school” s. Gardiner, Rolf: Lionel Helbert,<br />

Scouting and the First World War. In: Old West<br />

Downs Society – Memories of the Helbert/Brymer<br />

Era, 1897-1922.<br />

http://www.westdowns.com/lhscouts.htm<br />

reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

14<br />

nimmt oder wandert. Er wird Mitglied<br />

der Deutschen Freischar.<br />

Sein Interesse ist ein auf eine eigene<br />

Art volkbildendes. Das ist begründet in<br />

seinem bisherigen Lebensweg, auf<br />

dem er steigendes Interesse an der<br />

Thematik einer Rückbesinnung auf<br />

Werte der Vergangenheit entwickelt,<br />

bei ihm vor allem eine Wiederbelebung<br />

des für ursprünglich gehaltenen<br />

Lebens der viktorianischen Landbevölkerung<br />

- <strong>die</strong> bereits bekannte anti-<br />

Rolf Gardiner (rechts) beim Morris-Dance<br />

urbane Rückbesinnung auf <strong>die</strong> vermeintlich<br />

dem Menschen gemäßen<br />

ursprünglichen Formen menschlichen<br />

Lebens. Das Leben aus und auf der<br />

Scholle, gepaart mit der Vorstellung<br />

von angeblich dem ländlichen Menschen<br />

in der Natur, im Blut, liegenden<br />

Charaktereigenschaften, Fähigkeiten<br />

und verborgenen Weisheiten.<br />

Ursprung <strong>die</strong>ser <strong>Gedanken</strong>gänge, <strong>die</strong><br />

ihn ständig in <strong>die</strong> Nähe der späteren<br />

nationalsozialistischen Blut- und Boden-<br />

Theorien bringen, sind nicht nur<br />

<strong>die</strong> Naturerlebnisse aus seiner Zeit bei<br />

den Waldpfadfindern, sondern sie<br />

rühren auch von einer starken Beeinflussung<br />

durch <strong>die</strong> Werke des etwas<br />

extravaganten Schriftstellers D.H.<br />

Lawrence her, der ihn seit seiner Stu<strong>die</strong>nzeit<br />

tief beeindruckte. Der Autor<br />

von „Lady Chatterleys Lover“ pflegt<br />

eine besondere Form von Lebensphilosophie<br />

zwischen Freikörperkultur,<br />

sexueller Befreiung und anti-urbaner<br />

Erneuerung, <strong>die</strong> mit einiger Rigorosität<br />

Zivilisationskritik übt. Spannungen<br />

zwischen Mann und Frau, Zivilisation<br />

und Natur, Gesellschaft und Individu-<br />

um, Geist und Materie sind seine<br />

Themen. Was Gardiner so sehr an ihm<br />

fasziniert, bleibt uns eher rätselhaft.<br />

Aber auch <strong>die</strong> Familienatmosphäre<br />

mag eine Rolle gespielt haben. Der<br />

1948 zum Ritter geschlagene Sir Alan<br />

nahm damals in Berlin regen Anteil am<br />

gesellschaftlichen Leben und hatte so<br />

auch Kontakt zum George-Kreis. Da<br />

seine Frau Mitglied in der englischen<br />

Volkstanzvereinigung war, könnte<br />

man vermuten,<br />

dass Naturmystik,<br />

Zivilisationskritik<br />

und Liebe zum<br />

Volkstanz nicht allein<br />

auf Lawrence<br />

und Rolfs Neigungenzurückzuführen<br />

sind. Dass der<br />

George -Anhänger<br />

C.V. Bock einen<br />

Nachruf auf Rolf<br />

Gardiner schrieb,<br />

ist sicher auch<br />

kein Zufall 19 .<br />

1924 gründet er<br />

eine fahrende Volkstanzgruppe, <strong>die</strong><br />

„Travelling Morrice“ und unternimmt<br />

mit ihr Reisen durch England, Deutschland<br />

und Nordeuropa.<br />

Durch seine wenig professionelle<br />

Tanztechnik macht er sich damit den<br />

englischen Volkstanz-Puristen Cecil<br />

Sharp zum Gegner, der <strong>die</strong>se Fahrten<br />

gern verhindert gesehen hätte.<br />

Wer in Gardiners Schriften nach<br />

scheinbar bedenklichen politisch unkorrekten<br />

Äußerungen sucht, wird ohne<br />

Schwierigkeiten und in nicht geringem<br />

Maße fündig. Gardiner präferiert<br />

<strong>die</strong> Nordischen Länder um Nord- und<br />

Ostsee, sieht Ressourcen für ein künftiges<br />

Europa vor allem im Osten, hegt<br />

eine Abneigung gegen <strong>die</strong> slawischen<br />

Völker, äußert sich rassistisch und antisemitisch.<br />

19<br />

Bock, Claus Victor: In Memoriam Rolf Gardiner<br />

In: Bock: Besuch im Elfenbeinturm – Reden, Dokumente,<br />

Aufsätze<br />

Würzburg: Königshausen & Neumann 1990; 200<br />

S. ; S. 190 - 197

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