„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
der beiden gekommen. Es ging darum,<br />
ob Ernst Buske, der “Führer der Deutschen<br />
Freischar”, Direktor der Pädagogischen<br />
Akademie wird, wie es Gardiner<br />
und Götsch wünschten. In seiner<br />
“Rezension” der <strong>Reichwein</strong>-Biographie<br />
von James L. Henderson (1958) nennt<br />
Gardiner drei Männer der deutschen<br />
Jugendbewegung, <strong>die</strong> seiner Meinung<br />
nach nach dem 1. Weltkrieg “von geschichtlicher<br />
Bedeutung hätten sein<br />
können”: Ernst Buske, Georg Götsch<br />
und <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>. Angesichts der<br />
vorliegenden Literatur über <strong>die</strong>se drei<br />
fragt er provokativ: “Warum ver<strong>die</strong>nt<br />
<strong>Reichwein</strong> ruhmreichere Aufmerksamkeit<br />
als <strong>die</strong> anderen beiden Kameraden?”<br />
(1960, S. 2). In Bezug auf<br />
<strong>Reichwein</strong> hebt er hervor, dass <strong>die</strong>ser<br />
ein “radikaler Aktivist” war, der <strong>die</strong><br />
Welt “verwandeln” und nicht nur “interpretieren”<br />
wollte (S. 3). Als besondere<br />
Anliegen <strong>Reichwein</strong>s nennt er<br />
“<strong>die</strong> Erziehung der Massen zum politischen<br />
Volk” und <strong>die</strong> Entwicklung einer<br />
“Volkskultur” (S. 4f.). Bei allem Lob für<br />
<strong>Reichwein</strong> kritisiert er ihn aber doch<br />
deutlich im Hinblick auf <strong>die</strong> Besetzung<br />
des Direktorpostens der Pädagogischen<br />
Akademie in Frankfurt/Oder. Er<br />
schreibt: “Sowohl mit Becker als auch<br />
mit <strong>Reichwein</strong>, <strong>die</strong> beide enge Freunde<br />
waren, rang ich um <strong>die</strong> Ernennung<br />
Ernst Buskes zum Leiter der neuen Pädagogischen<br />
Akademie in Frankfurt/Oder.”<br />
(1960, S. 5) Buske mit seiner<br />
“große(n) Menschlichkeit und Führerbegabung”<br />
(S. 5) hätte seiner Meinung<br />
nach Götschs “großartige Ideen”<br />
unterstützt. “Buske und Götsch hätten<br />
ein unwiderstehliches Zweigespann<br />
abgegeben, und ihre gemeinsame<br />
Führung in Frankfurt hätte erstaunliche<br />
und einzigartige Ergebnisse gezeitigt.”<br />
(Gardiner, in: Henderson 1958,<br />
S. 113) Becker und <strong>Reichwein</strong> sprachen<br />
sich jedoch gegen Buske aus,<br />
weil <strong>die</strong>ser “beruflich als Syndikus im<br />
etwas rechtsstehenden Landbund tätig<br />
war” (1960, S. 6), und Becker ernannte<br />
Otto Haase – wohl auf Vorschlag<br />
<strong>Reichwein</strong>s - zum Direktor.<br />
Nach Gardiners Meinung geschah <strong>die</strong>s<br />
aus parteitaktischen Gründen, weil <strong>die</strong><br />
SPD in der damaligen Weimarer Koalition<br />
<strong>die</strong> Pädogischen Akademien “un-<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
24<br />
ter politischem Blickwinkel besetzt”<br />
(in: Henderson 1958, S. 112) sehen<br />
wollte. Gardiner zweifelt in <strong>die</strong>sem<br />
Zusammenhang auch an <strong>Reichwein</strong>s<br />
“politischer Einstellung”; dessen “vorsichtige<br />
Hinneigung zum Sozialismus”<br />
erschien ihm “damals als Pose” (S.112)<br />
und bewirkte seiner Meinung nach,<br />
dass <strong>Reichwein</strong> <strong>die</strong> Absichten der<br />
Bünde ablehnte (S. 111). Gardiner<br />
warf <strong>Reichwein</strong> also vor, dass er sich<br />
“dem inneren Kreis der Bünde fernhielt”<br />
und ein “Unabhängiger mit eigener<br />
Kritik” (S.113f.) war. Harro Siegel<br />
und Hans Bohnenkamp beurteilten<br />
<strong>die</strong>sen Vorgang allerdings anders. In<br />
einer “Stellungnahme” verweist Siegel<br />
darauf, dass Becker Buske nicht zum<br />
Direktor ernennen konnte, weil <strong>die</strong>ser<br />
“ein Führer des Landbundes, einer<br />
deutsch-nationalen Sache”, war. Bohnenkamp<br />
hebt hervor, dass Becker<br />
nicht nur “politisch” entschieden habe,<br />
sondern auch Buskes “Vorbildung”<br />
für “einen Hochschullehrer der Pädagogik<br />
und Leiter einer Pädagogischen<br />
Akademie” (in: Henderson 1958, S.<br />
114) nicht für ausreichend gehalten<br />
habe. Gardiner widerspricht Siegel<br />
und Bohnenkamp in seiner “Rezension”<br />
des Henderson-Buches; sie “verteidigten”<br />
<strong>Reichwein</strong>s “Vorurteile”; er<br />
als der “von außen Kommende” sehe<br />
“<strong>die</strong> interne Situation am klarsten und<br />
unbefangensten” (1960, S. 6). Er bezeichnete<br />
es in <strong>die</strong>ser “Rezension” als<br />
“Tragik, dass <strong>Reichwein</strong> gerade in <strong>die</strong>ser<br />
Zeit sich vom Führerkern der bündischen<br />
Jugend und ihrer vorwärtsstrebenden<br />
(´hinein in Staat und Gesellschaft`)<br />
Jungmannschaft distanzierte”<br />
(1960, S. 5).<br />
Wir haben keine Kenntnis von Begegnungen<br />
zwischen Gardiner und <strong>Reichwein</strong><br />
zwischen 1928/1929 und 1935,<br />
zumal auch keine Briefe <strong>Reichwein</strong>s an<br />
Gardiner für <strong>die</strong>se Zeit vorliegen. Wohl<br />
hatte Siegel in <strong>die</strong>sem Zeitraum Kontakt<br />
mit Gardiner; er hat zwischen August<br />
1930 und August/September<br />
1933 an sechs Chortreffen zusammen<br />
mit ihm teilgenommen und hat dabei<br />
seine Marionetten ins Spiel gebracht<br />
(vgl. <strong>die</strong> “Chronik der Fahrten und La-<br />
ger 1922 – 1929”). Auf Grund seines<br />
Kontaktes mit Siegel hat <strong>Reichwein</strong> indirekt<br />
auch mit Gardiner Kontakt gehabt.<br />
In einem Brief vom 20.5.1931 an<br />
Siegel, der nach England fahren wird,<br />
wünscht er ihm und “unsren gemeinsamen<br />
Freunden von Herzen schöne<br />
Tage in England” (LBD 1999, S. 115).<br />
Im Mai 1935 ist es wieder zu einem<br />
Treffen zwischen <strong>Reichwein</strong>, Gardiner<br />
und Siegel in Stralsund gekommen;<br />
Gardiner war auf dem Weg nach<br />
Bornholm, sie aßen gemeinsam zum<br />
Abend im Ratskeller. <strong>Reichwein</strong> war<br />
nach seinen Aussagen in “großartiger<br />
Form” und erzählte “haarsträubende<br />
Geschichten von den Nazi-Bonzen und<br />
ihren zügellosen, falschen Wegen, bis<br />
ich ihn fast ungläubig anstarrte”<br />
(1948, S. 191; vgl. LBD 1999, S. 337).<br />
- Die nächste Begegnung in<br />
England im Juli/August 1938 wurde<br />
lange vorher geplant. Gardiner hatte<br />
bereits im November 1937 bei <strong>Reichwein</strong><br />
angefragt, ob sie sich nicht im<br />
kommenden Jahr in England treffen<br />
könnten. Im Brief vom 14.1.1938 an<br />
Gardiner sagte <strong>Reichwein</strong> zu, zusammen<br />
mit Romai nach England zu<br />
kommen (in: Friedenthal-Haase 1999,<br />
S. 230). In einem Brief vom 5.4.1928<br />
gab <strong>Reichwein</strong> <strong>die</strong> “endgültige Antwort”,<br />
dass Romai und er kommen<br />
werden; <strong>die</strong> Reise war inzwischen vom<br />
Minister und vom Auswärtigen Amt<br />
genehmigt worden. Er bat in <strong>die</strong>sem<br />
Brief zugleich Gardiner, der “Reichsstelle<br />
für den Unterrichtsfilm” zu<br />
schreiben, dass sein “Vortrag, samt<br />
Lichtbildern und Filmen” (LBD 1999, S.<br />
139) in das Programm der Sommerschule<br />
des Springhead-Ringes eingebaut<br />
werden solle. In einem Brief vom<br />
15.6.1938 nennt er als Thema für den<br />
Vortrag und eine “einstündige Demonstration”<br />
mit Unterrichtsfilmen:<br />
“Ländliche Erziehungsarbeit in<br />
Deutschland” (S. 140). In einem Brief<br />
an <strong>die</strong> Eltern vom Schiff nach England<br />
vom 19.7.1938 teilte er <strong>die</strong>sen mit,<br />
dass Romai und er am nächsten Tag<br />
an Land gehen und am 12.8. wieder in<br />
Bremen sein werden (vgl. S.142). In<br />
einem weiteren Brief vom 26.7.1938<br />
an <strong>die</strong> Eltern schrieb er ihnen, dass er<br />
bereits zwei Vorträge über seine