„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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für den Sozialismus (NBfS), an der vor<br />
allem religiöse Sozialisten, bündisch<br />
sozialisierte Jugendliche bildungsbürgerlicher<br />
Herkunft und eben <strong>die</strong><br />
Gruppe patriotischer wie autoritärer<br />
Radikalsozialisten aus der Tradition<br />
des früheren Hofgeismarkreises der<br />
Jungsozialisten mitwirkten.“ (S. 351)<br />
Man gerät in Schwierigkeiten, will<br />
man <strong>Reichwein</strong> einer <strong>die</strong>ser Richtungen<br />
zuordnen. Er gehörte ihnen allen<br />
zugleich an und doch auch wieder<br />
nicht: es zeigt sich, dass solche Zuordnungen<br />
im je einzelnen Fall nicht<br />
stimmen. Der Politologe Walter muss<br />
in seiner historischen Darstellung<br />
durch solche Richtungsfestlegungen<br />
Ordnung schaffen, aber damit wird er<br />
den einzelnen Personen nur teilweise<br />
gerecht.<br />
Walter, renommierter, der SPD angehörender<br />
Göttinger Politologe,<br />
nimmt, wie er im Vorwort erläutert,<br />
seine Arbeiten aus seiner jungen Erwachsenenzeit<br />
(besonders der 80er<br />
Jahre) wieder hervor, überarbeitet sie<br />
und fasst sie schwungvoll zusammen.<br />
Mit Hilfe des sonst umstrittenen Generationenkonzepts<br />
gliedert er in<br />
überzeugender Weise <strong>die</strong> Entwicklung<br />
der Jungsozialisten. In einer fast mitreißenden<br />
Darstellung analysiert er<br />
<strong>die</strong> Einflüsse von Jugendbewegung<br />
und Lebensreform in der Nachkriegszeit<br />
(Kapitel II), <strong>die</strong> Flügelbildung in Inflation<br />
und Ruhrkrise (Kapitel III), <strong>die</strong><br />
‚junge sozialdemokratische Rechte‘<br />
von Hofgeismar (Kapitel IV), 1924/25<br />
<strong>die</strong> sozialistische Linke unter dem Einfluss<br />
Leonard Nelsons (Kapitel V) und<br />
schließlich <strong>die</strong> Kontroverse zwischen<br />
Hermann Hellers Republikbejahung<br />
und Max Adlers Marxismus auf der<br />
Jenaer Konferenz 1925 (Kapitel VI).<br />
Gegenüber <strong>die</strong>ser lebendigen Darstellung<br />
wirken <strong>die</strong> Kapitel zur Sozialistischen<br />
Arbeiterjugend (VII) und <strong>die</strong><br />
Beispiele sozialistischer Kulturorganisationen<br />
(VIII) eher blass. In Kapitel IX<br />
findet Walter wieder zu seinem Thema<br />
Jungsozialisten zurück, er schildert<br />
ihr Ende, parallel entstand <strong>die</strong> linkssozialistische<br />
S(D)AP.<br />
<strong>Reichwein</strong>, jenseits des Jungsozialistenalters,<br />
wird nur einmal zusammen<br />
mit Hermann Heller erwähnt, beide<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
71<br />
als lebensreformerische Experimentierer<br />
gegen das sozialistisches Volkshochschulheim<br />
Tinz opponierend (S.<br />
80). Aber insbesondere in den Kapitel<br />
I bis IV sowie im Abschlusskapitel finden<br />
sich viele Anklänge zu <strong>Reichwein</strong>s<br />
Überzeugungen, insbesondere in der<br />
Darstellung der Nachwirkungen der<br />
Jugendbewegung (Kapitel I) ‒ <strong>die</strong>se<br />
jungen Sozialisten und <strong>Reichwein</strong> eine<br />
lebensreformerische Einstellung ‒,<br />
aber auch in der Geschichte der Hofgeismarer:<br />
<strong>immer</strong> wieder werden Personen,<br />
als dem ‚rechten Flügel‘ der<br />
Jungsozialisten zugehörend, genannt,<br />
mit denen <strong>Reichwein</strong> in Zusammenhang<br />
stand wie Hermann Heller oder<br />
Anna Siemsen, August Rathmann, Carl<br />
Mennicke oder Gustav Dahrendorf.<br />
Selbstverständlich war <strong>Reichwein</strong> als<br />
Angehöriger der Kriegsgeneration aus<br />
bürgerlicher Familie anders ‚gestrickt‘<br />
als der durchschnittliche aus sozialdemokratischen<br />
Arbeiter- und Funktionärsfamilien<br />
kommende Jugendliche,<br />
der Facharbeiter oder gar kaufmännischer<br />
Angestellter war. Das berufliche<br />
Engagement machte <strong>Reichwein</strong><br />
bald zu einem Überlegenen.<br />
Aber wie <strong>die</strong> frühen Jungsozialisten<br />
nahm er engagiert gegen Schmutz-<br />
und Schundliteratur Stellung – damals<br />
offensichtlich nicht allein ein rechtes<br />
Thema. Vielen Jungsozialisten bis zum<br />
ihrem Ende ähnelnd lag <strong>Reichwein</strong> an<br />
der Herausbildung einer Arbeiterelite<br />
‒ <strong>die</strong>s war sein Programm in Jena.<br />
Auch wenn <strong>Reichwein</strong> nie genauer<br />
ausführte, wie er sich <strong>die</strong> Umgestaltung<br />
von Gesellschaft und Staat durch<br />
<strong>die</strong>se „Führer“ vorstellte, muss man<br />
davon ausgehen, dass seine Vorstellungen<br />
weniger mit unseren heutigen<br />
Vorstellungen von Demokratie zu tun<br />
haben als mit eher autoritären Modellen,<br />
wie sie letztlich bei vielen<br />
Jungsozialisten im Schwange waren.<br />
Anders als <strong>die</strong> Jungsozialisten lehnte<br />
er <strong>die</strong> Nähe zur SPD oder einer anderen<br />
Partei lange ab, wie ihm überhaupt<br />
eine Organisationsfremdheit zu<br />
eigen war. Er zeigte anfangs Distanz<br />
zur aktuellen Form der Weimarer Republik,<br />
bewegte sich allerdings auf sie<br />
zu, als für viele Jungsozialisten das<br />
Motto „Republik, das ist nicht viel“<br />
gültig oder gar ihre Bekämpfung als<br />
Diktatur des Bürgertums Programm<br />
wurde. Schon <strong>die</strong> <strong>immer</strong> wieder<br />
sichtbare Nähe zu prominenten Demokraten<br />
der DDP zeigt ihn jenen<br />
Jungsozialisten nahe, <strong>die</strong> Bündnisse<br />
mir bürgerlichen Jugendgruppierungen<br />
propagierten und praktizierten.<br />
Mit Hermann Heller und anderen<br />
Hofgeismarern war er an der praktischen<br />
Gestaltung <strong>die</strong>ses Staates interessiert.<br />
<strong>Reichwein</strong> war nie Marxexeget<br />
wie viele Jungsozialisten, auch<br />
wenn er 1932 mit Marx zur Nation<br />
kommen wollte. Mit den Hofgeismarern<br />
teilt er <strong>die</strong> Anhänglichkeit an <strong>die</strong><br />
Nation; allerdings hätte man sich gewünscht,<br />
dass Walter eine genauere<br />
Deutung des Nationbegriffes geleistet<br />
hätte -‒ ihm wohl deswegen nicht<br />
notwendig erscheinend, da er mit<br />
wenigen Strichen <strong>die</strong> Unterschiede<br />
der frühen Hofgeismarer prägnant<br />
skizzieren kann.<br />
So macht <strong>die</strong>ses Buch Walters einen<br />
Teil der <strong>Reichwein</strong>schen Welt lebendig,<br />
zugleich aber <strong>die</strong> Differenz zwischen<br />
<strong>Reichwein</strong> und den parteipolitischen<br />
Strömungen der ‚Jugend‘. Die<br />
Besonderheiten <strong>Reichwein</strong>s werden<br />
plastisch deutlich, sein der ‚Sache‘<br />
gewidmetes Engagement, das zum<br />
Dienst an der Republik unter Kultusminister<br />
Becker führte, aber auch zum<br />
Eintritt in <strong>die</strong> SPD zu einem Zeitpunkt,<br />
als viele jungen Sozialisten auf dem<br />
Wege zu einer neuen Partei unterwegs<br />
waren.<br />
Für den heutigen insbesondere älteren<br />
Leser ist es aufschlussreich, <strong>die</strong><br />
Karrieren einiger Jungsozialisten in <strong>die</strong><br />
Bundesrepublik zu verfolgen, was<br />
Walter <strong>immer</strong> wieder andeutet: der<br />
Nelsonianer Eichler und der Hofgeismarianer<br />
Deist schufen <strong>die</strong> entscheidende<br />
geistige Wende zum Godesberger<br />
Programm, <strong>die</strong> linkssozialistischen<br />
Aktivisten wie Willy Brandt<br />
schufen dann <strong>die</strong> pragmatische fast<br />
gesichtslose SPD seit den 60er Jahren<br />
(so das Urteil Walters S. 367).<br />
Walter ist Politologe, kein Historiker.<br />
Er hat eindeutige Urteile über falsch<br />
und richtig; er weiß jeweils Ratschläge<br />
zu geben; man spürt den engagierten<br />
SPD-Sympathisanten. Man wundert