„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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schaft grundsätzlich widersetzt, und<br />
dazu seien <strong>die</strong> Jungen Rechten nicht<br />
bereit gewesen. Wie kann man das<br />
belegen ? Wie kann man Sozialdemokrat<br />
und Gegner des Nationalsozialismus<br />
gewesen sein, aber nicht an<br />
den „aufgeklärten und emanzipatorischen<br />
Elementen der bürgerlichen<br />
Gesellschaft“ festgehalten haben ?<br />
Auf <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> scheint mir das<br />
jedenfalls in keiner Weise zuzutreffen,<br />
und dafür gibt es auch Belege. Er und<br />
auch andere Junge Rechte um <strong>die</strong><br />
„Neuen Blätter“ haben das „Hereinbrechen<br />
des Irrationalen (in Gestalt<br />
des Nationalsozialismus oder Faschismus)<br />
in <strong>die</strong> aufgeklärte Gesellschaft“<br />
durchaus als Gefahr erkannt,<br />
was ihnen sogar Vogt bescheinigt<br />
(vom „Verhängnis“ wussten sie freilich<br />
noch nichts). Aber sie haben <strong>die</strong>se<br />
Gefahr wohl nicht nur bei den Nationalsozialisten<br />
sondern auch in der<br />
bürgerlichen Mitte und im Bildungsbürgertum<br />
gesehen. Und dass <strong>die</strong><br />
deutsche Gesellschaft der Weimarer<br />
Republik, besonders in ihrer Endphase,<br />
von Vogt als eine „aufgeklärte Gesellschaft“<br />
bezeichnet wird, ist mindestens<br />
eine Übertreibung und bleibt<br />
sein Geheimnis. Die Weimarer Demokratie<br />
war völlig zerstritten und bereits<br />
am Ende, sie war seit 1931 in eine<br />
Art Präsidialdiktatur übergegangen,<br />
und dafür waren „<strong>die</strong> Jungen<br />
Rechten“ sicher nicht verantwortlich.<br />
Da fingen sie gerade erst an, politisch<br />
aktiv zu werden und sich gegen <strong>die</strong>se<br />
Entwicklung zu stemmen. Es ging<br />
nicht mehr nur darum, <strong>die</strong> „Demokratie<br />
an sich“ zu verteidigen, sondern<br />
<strong>die</strong> Frage war, ob es sich noch lohnte,<br />
<strong>die</strong>se Art von verkehrter Demokratie<br />
zu verteidigen oder ob es nicht lohnender<br />
war, nach neuen, besseren<br />
Lösungen Ausschau zu halten.<br />
Dass <strong>die</strong> Jungen Rechten in <strong>die</strong>ser<br />
verzweifelten Lage eine Chance darin<br />
sahen, den völkischen Nationalismus,<br />
wenn und soweit er einem diffusen<br />
Antikapitalismus anhing, für <strong>die</strong> sozialistische<br />
Sache zu gewinnen und<br />
dadurch <strong>die</strong> gefährliche, irrationale<br />
Entwicklung aufzuhalten und eine –<br />
wie auch <strong>immer</strong> geartete – neue, sozialistische<br />
Demokratie zu etablieren,<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
36<br />
kann man ihnen nachträglich als Fehler<br />
ankreiden, war aber damals noch<br />
eine mögliche Option. Damit wurden<br />
sie vielleicht „zu einem Teil der Krise“,<br />
aber wer wurde das damals nicht, das<br />
traf doch letztlich auf alle politischen<br />
Gruppierungen zu. Und dann kommt<br />
abschließend Stefan Vogts Hammer:<br />
Deshalb sollen <strong>die</strong> Jungen Rechten<br />
und auch <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> dazu beigetragen<br />
haben, „dass <strong>die</strong> Weimarer<br />
Republik zugrunde ging und der Nationalsozialismus<br />
triumphieren konnte.“<br />
Na also, da haben wir endlich <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> historisch korrekte Antwort auf all<br />
<strong>die</strong> Fragen, welche <strong>die</strong> Dissertation<br />
von Christine Hohmann aufgeworfen<br />
hat. Nun haben wir also eine neue<br />
Gruppe, <strong>die</strong> kleine Gruppe der Jungen<br />
Rechten in der Sozialdemokratie, welche<br />
für das Ende der Weimarer Demokratie<br />
und den Sieg des Faschismus<br />
bzw. des Nationalsozialismus<br />
verantwortlich sein soll, obwohl sie<br />
<strong>die</strong>sen doch bekämpfte. Frau Hohmann<br />
kann sich <strong>die</strong> Hände reiben.<br />
Aber wie, bitte schön, kann der Historiker<br />
Stefan Vogt <strong>die</strong>se Schlussfolgerung<br />
aus seinen vorherigen Befunden<br />
eigentlich „aufgeklärt und rational“<br />
ableiten und begründen ? Auch das<br />
bleibt vorerst sein Geheimnis.<br />
Nein, wie man es auch dreht und<br />
wendet, das Resümee und das Urteil<br />
des Historikers Stefan Vogt über <strong>die</strong><br />
Jungen Rechten in der SPD, insbesondere<br />
auch über <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> um<br />
1930 ist fragwürdig und anfechtbar.<br />
Sein Vortrag war, zugegebenermaßen,<br />
relativ kurz, wahrscheinlich<br />
könnte er manches oder vieles besser<br />
begründen, aber das sollte er dann<br />
auch möglichst bald tun, bevor sein<br />
Hallenser Vortrag noch allzu oft zitiert<br />
wird und sich im Internet festsetzt.<br />
Natürlich kann man den Jungen Rechten<br />
und auch <strong>Reichwein</strong> nachträglich<br />
vorwerfen, dass sie Verbindungen zu<br />
den antikapitalistisch eingestellten<br />
völkischen Nationalisten gesucht und<br />
aufgenommen haben, um sie auf <strong>die</strong><br />
linke, <strong>die</strong> sozialistische Seite zu ziehen.<br />
Aber <strong>die</strong>se Versuche waren nicht<br />
so bedeutend, wie sie erscheinen,<br />
wenn man sie nur für sich betrachtet.<br />
Sie zeigen vor allem, wie verzweifelt<br />
<strong>die</strong> Lage der Weimarer Demokratie<br />
bereits war. Und <strong>die</strong>se, nicht sehr<br />
aussichtsreiche Strategie ist schon im<br />
Herbst und Winter 1932 gescheitert.<br />
Die wirklich gravierenden Entscheidungen<br />
fanden zu <strong>die</strong>ser Zeit auf höheren<br />
politischen Ebenen und in größeren<br />
Zusammenhängen statt.<br />
8.<br />
Warum fällt es uns heute so schwer,<br />
<strong>die</strong> <strong>Reichwein</strong>'sche Interpretation des<br />
nationalen Sozialismus zu akzeptieren<br />
? Der Hauptgrund ist natürlich, dass<br />
wir <strong>die</strong> Erfahrung des Nationalsozialismus<br />
hinter uns haben. Seitdem war<br />
der Begriff des „nationalen Sozialismus“<br />
in Deutschland, wie Max Weber<br />
gesagt hätte, „perhorresziert“. Obwohl<br />
er auch außerhalb Deutschlands<br />
Karriere gemacht hat, angefangen bei<br />
Stalins „Sozialismus in einem Land“,<br />
über <strong>die</strong> verschiedenen Varianten des<br />
Sozialfaschismus in Europa und anderswo<br />
vor und nach dem 2. Weltkrieg,<br />
bis hin zu Titos jugoslawischem<br />
Modell des Sozialismus, zu den Aufstandsbewegungen<br />
in Polen, Ungarn<br />
und der Tschechoslowakei, bis zu den<br />
„Euro-kommunisten“ in Italien und<br />
Spanien und sogar noch 1989/90 in<br />
der untergehenden DDR.<br />
In all <strong>die</strong>sen Fällen, so könnte man<br />
meinen, ging es <strong>immer</strong> auch um den<br />
Sonderweg des „nationalen Sozialismus“.<br />
Was wäre gewesen, wenn Hitlers<br />
Nationalsozialismus in Deutschland<br />
nicht an <strong>die</strong> Macht gekommen<br />
wäre? Dann könnten wir heute jedenfalls<br />
entspannter über nationalen Sozialismus<br />
reden, und anderswo geschieht<br />
das auch. Ein zweiter Grund<br />
ist natürlich, dass all <strong>die</strong> politischideologischen<br />
Begriffe, mit denen <strong>die</strong><br />
damaligen politischen Kämpfe, später<br />
dann auch während des „Kalten Krieges“,<br />
ausgetragen wurden, heute<br />
überholt, obsolet und eigentümlich<br />
inhaltsleer erscheinen. Wer möchte<br />
sie noch verwenden, wozu taugen sie<br />
noch angesichts einer seit 1990 radikal<br />
veränderten politischen Welt? Der<br />
Sozialismus scheint passé zu sein, der<br />
Kapitalismus triumphiert. Wie das<br />
aussieht, erleben wir gerade.