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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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teten Niederlage und dem Untergang<br />

des Hitlerregimes zu machen. Aber<br />

das war <strong>immer</strong>hin eine Sache, <strong>die</strong> geheim<br />

gehalten werden musste, sonst<br />

drohte Verhaftung, Anklage und Verurteilung<br />

mindestens zu Lagerhaft.<br />

Die Hauptgefahr war fahrlässiger Verrat<br />

oder vorsätzliche Denunziation.<br />

Moltke, der – wie <strong>die</strong> Briefe an Freya<br />

zeigen – zweifellos der Kopf und der<br />

Motor des Kreises war, war außerdem<br />

lange der Auffassung, dass <strong>die</strong> preußisch-deutsche<br />

Generalität unter Hitler<br />

nicht in der Lage wäre, mitten im<br />

Krieg ein Attentat auf Hitler und einen<br />

Staatsstreich zu wagen, und dass eine<br />

solche Verkürzung des Hitlerregimes<br />

aus moralischen und politischen<br />

Gründen auch nicht ratsam wäre,<br />

dass <strong>die</strong> Deutschen <strong>die</strong>smal – anders<br />

als 1918 – <strong>die</strong> Niederlage und ihre<br />

Konsequenzen wirklich durchleiden<br />

müssten, um innerlich umkehren zu<br />

können und nicht wieder einer neuen<br />

„Dolchstoßlegende“ zu verfallen. Und<br />

<strong>die</strong>s war anscheinend bis zur Verhaftung<br />

Moltkes im Januar 1944 auch<br />

Konsens innerhalb des Kreises, wurde<br />

wahrscheinlich auch von <strong>Reichwein</strong><br />

akzeptiert. Kreisauer Dispute über<br />

<strong>die</strong>se Frage sind m.W. nicht bekannt.<br />

Erst nach Moltkes Verhaftung haben<br />

sich einige Mitglieder, darunter<br />

<strong>Reichwein</strong>, anders orientiert, fiel der<br />

Kreis gewissermaßen auseinander<br />

und verbanden sich einige Kreisauer<br />

stärker mit anderen Widerstandsgruppen.<br />

Die Rolle <strong>Reichwein</strong>s innerhalb des<br />

Kreises ist schwer zu rekonstruieren.<br />

Einerseits hat er Moltke und dem<br />

Kreis ein paar neue Mitglieder zugeführt,<br />

besonders <strong>die</strong> erfahrenen Sozialdemokraten<br />

Carlo Mierendorff und<br />

Theodor Haubach, und damit den<br />

„sozialistischen Flügel“ verstärkt, und<br />

sich auch sonst auf seinen zahlreichen<br />

Dienstreisen anscheinend darum bemüht,<br />

weitere Vertrauensleute und<br />

Unterstützer des Kreises zu gewinnen.<br />

Dass nach dem Tod Mierendorffs Julius<br />

Leber in den Kreis aufgenommen<br />

wurde, lag wahrscheinlich weniger an<br />

<strong>Reichwein</strong> als an Theo Haubach oder<br />

Peter von Yorck. Andererseits galt<br />

<strong>Reichwein</strong> bei Moltke und innerhalb<br />

reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

34<br />

des Kreises als Fachmann für Fragen<br />

der Erziehung, des Bildungs- und<br />

Schulsystems und in <strong>die</strong>ser Funktion<br />

ist er offenbar mit den Kirchenvertretern,<br />

besonders den katholischen, in<br />

Konflikt geraten. Seine wirtschaftsgeografischen<br />

und wirtschaftspolitischen<br />

Kompetenzen waren anscheinend<br />

nicht besonders gefragt, dafür<br />

gab es auch andere Fachleute, sind<br />

aber wahrscheinlich dennoch irgendwie<br />

in <strong>die</strong> Beratungen und in <strong>die</strong><br />

„Kreisauer Papiere“ eingeflossen.<br />

Wenn man sich <strong>die</strong> Vorstellungen der<br />

Kreisauer von einem neuen Nachkriegsdeutschland<br />

in den „Kreisauer<br />

Papieren“ ansieht, so kann man feststellen,<br />

dass in ihnen sowohl eine nationale<br />

als auch eine sozialistische<br />

Orientierung deutliche, spezifische<br />

Spuren hinterlassen haben. Die nationale<br />

Komponente kommt m.E. vor allem<br />

darin zum Ausdruck, dass <strong>die</strong><br />

Kreisauer – anders als z.B. der Goerdeler-Kreis,<br />

der im Rahmen herkömmlicher<br />

politischer Strukturen so viel<br />

wie möglich von der alten Größe<br />

Deutschlands retten wollte – für<br />

Deutschland eine völlig neue politische<br />

und demokratische Struktur und<br />

Verfassung „erfunden“ haben, für <strong>die</strong><br />

es m.W. kein historisches Beispiel<br />

gibt. In <strong>die</strong>sem Sinn haben sie also einen<br />

neuen „deutschen Sonderweg“<br />

geplant, der aber das alte europäische<br />

Nationalstaatsdenken gerade überwinden<br />

sollte, der also <strong>die</strong> Verständigung<br />

mit den europäischen Nachbarstaaten<br />

gerade erleichtern sollte. Die<br />

sozialistische Komponente kommt darin<br />

zum Ausdruck, dass der Konflikt<br />

zwischen Kapital und Arbeit, zwischen<br />

der Kapitalkonzentration in mächtigen<br />

Großkonzernen und Monopolen<br />

einerseits und mächtigen Gewerkschaftsverbänden<br />

andererseits abgebaut<br />

und entschärft werden sollte,<br />

und zwar a) durch Auflösung oder<br />

Verstaatlichung von Großkonzernen<br />

in zentralen Wirtschaftsbranchen,<br />

b) durch eine ziemlich strikte Wirtschaftslenkung<br />

von unten nach oben<br />

und umgekehrt, c) durch <strong>die</strong> Entmachtung<br />

der großen Gewerkschaftsverbände<br />

und <strong>die</strong> Einführung von „Betriebsgewerkschaften“,<br />

<strong>die</strong> auf be-<br />

trieblicher Ebene stärker mitbestimmen<br />

sollten. Dies ging also in <strong>die</strong> Richtung<br />

von <strong>Reichwein</strong>s „Gildensozialismus“,<br />

Ideen, <strong>die</strong> auch schon Eugen<br />

Rosenstock und Willy Hellpach entwickelt<br />

hatten. Die Gewerkschaften sollten<br />

für den damit verbundenen<br />

Machtverlust dadurch entschädigt<br />

werden, dass ihnen neue sozialpolitische<br />

Aufgaben, besonders in der Sozialversicherung,<br />

übertragen werden<br />

sollten. Dies mag alles etwas paradox<br />

erscheinen und wird hier mit gebotener<br />

Vorsicht aus dem Gedächtnis vorgetragen.<br />

Eine genauere Überprüfung<br />

wäre sicherlich angebracht.<br />

Im Frühjahr 1944, nach der Verhaftung<br />

Moltkes, näherten sich einige<br />

Kreisauer infolge der Entwicklungen<br />

an der Ostfront und in Italien den militärischen<br />

Widerstandskreisen um<br />

Tresckow, Olbricht und Stauffenberg,<br />

besonders Yorck und Leber. Ein Attentat<br />

auf Hitler und ein militärischer<br />

Staatstreich schienen nun doch in den<br />

Bereich des Möglichen zu rücken.<br />

Während sich Yorck enger an <strong>die</strong><br />

Stauffenberg-Gruppe anschloss, reagierten<br />

<strong>Reichwein</strong> und Leber auf <strong>die</strong><br />

veränderte Lage, indem sie in Berlin<br />

Kontakt zum kommunistischen Widerstand<br />

im Untergrund aufnahmen,<br />

der seinerseits bestrebt war, sich von<br />

der Moskauer bzw. der stalinistischen<br />

Führung unabhängiger zu machen.<br />

Leber und <strong>Reichwein</strong> wollten offenbar<br />

für den Fall des Attentats und des<br />

Staatsstreichs <strong>die</strong> „Massenbasis“ des<br />

Widerstands, <strong>die</strong> es eigentlich nicht<br />

gab, <strong>die</strong> <strong>immer</strong> noch nicht vorhanden<br />

war, wenigstens verbreitern, obwohl<br />

ihnen andere Mitglieder des Kreises,<br />

z.B. Theo Haubach, von Kontakten zu<br />

den Kommunisten dringend abrieten.<br />

Man kann also wohl nicht behaupten,<br />

dass <strong>die</strong>s im Auftrag der Kreisauer geschah,<br />

eher vielleicht im Auftrag der<br />

Stauffenberg-Gruppe. Anscheinend<br />

bestand aber zwischen dem kommunistischen<br />

Widerstand und einigen<br />

Kreisauern ein gemeinsames Interesse<br />

daran, etwas Entscheidendes zu<br />

wagen, bevor <strong>die</strong> Alliierten <strong>die</strong> deutschen<br />

Grenzen erreichten und<br />

Deutschland tatsächlich besetzen<br />

konnten. Diese Gefahr wurde seit der

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