„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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gen...’ (Sch 30), sodann in der analogen<br />
Struktur, <strong>die</strong> Goethes „Gesamtansicht<br />
der Natur“ zugrundeliegt (Sch<br />
41ff.) und in der Kosmos-Schau Humboldts<br />
(Sch 54). Auch der libertäre<br />
Aufbau des Herderschen Volksstaates<br />
(Sch 36) entspricht <strong>die</strong>sem Grundmuster.<br />
Zugleich gewinnt <strong>die</strong> Einheit von<br />
Kosmos-Schau und Reformarbeit, <strong>die</strong><br />
<strong>Reichwein</strong> mit Herder verbindet, in der<br />
hier unterbreiteten weltwirtschaftlichen<br />
Perspektive und Vision konkrete<br />
Gestalt. Die Parallele zwischen der<br />
Friedensutopie des ,Staatsmaschinen’-<br />
Kritikers und Anwalts einer natürlichen<br />
Lebensordnung der Völker und<br />
des Sozialisten, der als Korrektur an<br />
den Verwerfungen der kapitalistischen<br />
Wirtschaft auf <strong>die</strong> wachstümliche Entfaltung<br />
ordnender und aufbauender<br />
Kräfte setzt, ist unverkennbar“ (Sch<br />
249). Allerdings ist <strong>die</strong>se klare Aussage<br />
nicht zweifelsfrei deutbar und<br />
übertragbar, denn sie stützt sich nicht<br />
auf Belege aus dem Tiefenseer<br />
Schulmodell der Hitlerzeit mit ihrer<br />
Zensurpraxis, sondern auf betriebs-,<br />
volks- und weltwirtschaftliche Stu<strong>die</strong>n<br />
aus der Weimarer Zeit mit ihrer Handlungs-<br />
und Publikationsfreiheit.<br />
Schernikau stützt sich auf v. Koerber<br />
(1981). Gleichwohl bleibt <strong>die</strong>se Aussage<br />
ein wichtiger Hinweis. Die Entsprechungs-Hinweise<br />
zum klassischen<br />
Weltbild, <strong>die</strong> in den Ausführungen<br />
zum „Jahresplan“(Sch 231-239) zu<br />
finden sind, beschränken sich auf <strong>die</strong><br />
für Geographie/Erdkunde, Volkskunde<br />
und Geschichte bedeutsamen Bezüge<br />
zum Herder/Ritter-Topos vom<br />
„Wohnhaus“ der Erde bzw. auf Herders<br />
„Philosophie der Erde“. Offenkundig<br />
wird zugleich, daß <strong>die</strong> Themenkreise<br />
geprägt sind „vom Respekt<br />
vor der Eigenwirklichkeit der Weltdinge<br />
im Geiste der Bildungsontologie<br />
Goethes“ (Sch 234). Bei der Sommer/Winter-Untergliederung<br />
zeigt<br />
sich über<strong>die</strong>s „eine Vertiefung im<br />
Geiste (des) ökologisch-systemischen<br />
Denkens von Herder, Goethe, Humboldt<br />
und Capra“. Aber ob <strong>Reichwein</strong>s<br />
Geschichtsfries („Das laufende Band<br />
der Geschichte“) hintergründig von<br />
Herder inspiriert ist, und warum keine<br />
an Humboldts Kosmos orientierte<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
59<br />
Weltkarte erwähnt wird? <strong>Reichwein</strong><br />
schweigt, Schernikau auch. Fündig<br />
wird Schernikau dagegen bei der<br />
Querdimension der Formenkunde:<br />
„An Goethes ‚Schule des morphologischen<br />
Sehens’ erinnert das Zeichnen<br />
nach der Natur, das nicht den Sinn des<br />
Kopierens habe, sondern dem Nachempfinden<br />
einer gewachsenen Form<br />
<strong>die</strong>nt, einer ‚geprägten Form, <strong>die</strong> lebend<br />
sich entwickelt’“ (Sch 241),<br />
Grundlage auch für <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />
des Symbolcharakters der Dinge,<br />
gemäß „der nahen inneren Verwandtschaft<br />
der Natur- und Kunstformen“,<br />
wie sie Goethe <strong>immer</strong> wieder<br />
dargestellt hat (vgl. Sch 244). Unter<br />
dem Zwischentitel „Der goethische<br />
Aspekt“ resümiert Schernikau:<br />
„Daher ist <strong>die</strong> ‚Formenkunde’ <strong>Reichwein</strong>s<br />
letztlich darauf angelegt, das<br />
Bild einer Welt zu vermitteln, das<br />
nicht von Kontingenz bestimmt ist,<br />
dem vielmehr eine Seinsordnung im<br />
Sinne der vormodernen Kosmostheorie<br />
zugrunde liegt.“ (Sch 244).<br />
4.2 <strong>Reichwein</strong>s Lehrkunst auf dem<br />
Weg zur morphologischen Methode<br />
„<strong>Reichwein</strong>s Lehrkunst wurde zunächst<br />
unter dem Lehrplan-Aspekt als<br />
klassisches Beispiel einer exemplarischen<br />
Lehre gewürdigt, <strong>die</strong> auf Erschließung<br />
weniger kategorialer<br />
Grundeinsichten in der Tiefendimension<br />
einer durch Werktätigkeit ermöglichten<br />
oder unterstützten Lebenskunde<br />
angelegt ist. Sodann haben wir den<br />
Lehrkünstler in seiner Funktion als interaktiven<br />
Lehrer und Gestalter von<br />
Unterricht auf den unterschiedlichen<br />
Ebenen von Unterrichtsplanung und -<br />
verwirklichung betrachtet. Es blieb<br />
aber bisher eine bedeutsame Dimension<br />
didaktischer Könnerschaft außer<br />
Betracht: <strong>die</strong> spezifische Gestaltung<br />
sinnerschließender und zugleich sinnklarer<br />
Bauformen der Vorhaben.“ (Sch<br />
263). Dieser Frage gilt der nächste<br />
Doppelschritt zu den Bauformen und<br />
zur Methode des Unterrichts. Beide<br />
Fragen stellen sich im Rahmen der<br />
von Willmann auf aristotelischontologischem<br />
Fundament aufgebauten<br />
„organisch-genetischen“ Unter-<br />
richtsmethode: Schernikau zitiert aus<br />
Willmans „Didaktik als Bildungslehre“<br />
(der anderen ‚Großen Didaktik’ neben<br />
der von Comenius) punktgenau den<br />
zentralen Leitsatz: „Die Gliederung<br />
des Lehrstoffes entspricht ihrer Aufgabe<br />
noch nicht, wenn sie eine didaktisch<br />
technische ist, sondern erst,<br />
wenn sie den Charakter einer organisch-genetischen<br />
Gestaltung hat.<br />
Diesen aber gewinnt sie, wenn sie im<br />
Ganzen <strong>die</strong> Macht des gestaltenden<br />
Prinzips, welches <strong>die</strong> betreffende<br />
Wissenschaft oder Kunst ins Leben<br />
gerufen hat, welches ihre Entwickelung<br />
leitet und darum auch ihre Überlieferung<br />
regeln soll, an dem mannigfaltigen<br />
Stoffe aufweist, und wenn sie<br />
im Einzelnen solche Partien, in denen<br />
ein Ganzes als herrschend und in den<br />
Teilen reflektiert erscheint, und solche,<br />
welche ein Wachsen, Werden,<br />
Entwickeln in überschaulichem Umkreise<br />
aufweisen, zur Geltung bringt;<br />
d. h. wenn sie <strong>die</strong> organischen Einheiten<br />
und <strong>die</strong> genetischen Reihenfolgen<br />
hervorzieht und zu Mittelpunkten für<br />
das übrige macht“ (Willmann 7 1957,<br />
S. 461, nach Sch 272).<br />
Erstens zeigt Schernikau, „daß <strong>Reichwein</strong>s<br />
Bauformen des Unterrichts<br />
oftmals durch – mit Goethe gesagt –<br />
‚Folge’ zu charakterisieren sind, durch<br />
eine Reihenfolge der nacheinander in<br />
mehreren Sequenzen behandelten<br />
Phänomene: Bei näherer Betrachtung<br />
ist festzustellen, dass sich <strong>die</strong>se Phänomene<br />
hinsichtlich ihrer Erscheinungsform<br />
einerseits in bestimmter<br />
Weise gleichen, andererseits aber<br />
auch unterscheiden, und dass sie zugleich<br />
ein Zusammenhang innerer<br />
Identität in stringenter Weise zu einer<br />
Reihe verbindet. ‚Alle Gestalten sind<br />
ähnlich und keine gleichet der anderen<br />
und so deutet der Chor auf ein geheimes<br />
Gesetz’“, – und setzt mit <strong>die</strong>sem<br />
Zitat aus Goethes Elegie auf <strong>die</strong><br />
Metamorphose der Pflanzen den argumentativen<br />
Schlußstein (vgl. Sch<br />
266).<br />
Zweitens sucht Schernikau Hinweise<br />
auf eine morphologische Unterrichtsmethode<br />
<strong>Reichwein</strong>s. Hierzu<br />
zeigt er exemplarisch, daß und wie<br />
<strong>Reichwein</strong> den Prinzipien der verglei-