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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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"Volkbildung durch Volksbildung" wird<br />

zum Motto der „neuen Richtung“ in<br />

der Erwachsenenbildung.<br />

Das wurde damals wesentlich komplexer<br />

theoretisch unterlegt und praktisch<br />

erprobt mit vielen Varianten,<br />

aber hier muss wegen der Kürze der<br />

zur Verfügung stehenden Zeit auf eine<br />

differenzierte Darstellung der Idee<br />

"Arbeitsgemeinschaft" 5 verzichtet<br />

werden. Eine völlig einheitliche Konzeption<br />

ihrer Organisation, Arbeitsweise<br />

und Ziele hat es ohnehin nicht<br />

gegeben. Die hier behandelten drei<br />

Einrichtungen stehen also nicht<br />

exemplarisch für ein einheitliches<br />

Konzept, sondern exemplarisch für<br />

den Variantenreichtum ähnlicher Konzepte.<br />

Wir hätten ebenso gut Dreißigacker,<br />

Prerow oder den Meihof wählen<br />

können.<br />

Diese neue Erwachsenenbildung institutionalisiert<br />

sich, angeregt durch <strong>die</strong><br />

Ideen Grundtvigs in Dänemark, vor allem<br />

in verschiedenen Typen von<br />

Volkshochschulen, insbesondere den<br />

Heimvolkshochschulen, Landschulheimen,<br />

und später pädagogischen<br />

Arbeitslagern in denen wir Elemente<br />

der Gemeinschaftsidee Grundtvigs<br />

wiedertreffen. Aber schon <strong>die</strong> Landerziehungsheime<br />

Hermann Lietz‘, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>ser zur Jahrhundertwende aus England<br />

nach Deutschland brachte, zeigten<br />

Elemente des neuen Stils, nicht zu<br />

vergessen <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s Arbeitsgemeinschaft<br />

für Jungarbeiter und<br />

Studenten (geplant auch Bauern) in<br />

Bodenrod/Taunus 1921, <strong>die</strong> bereits<br />

viel von dem vorwegnimmt, was uns<br />

hier begegnen wird.<br />

5 detaillierte Untersuchung zum Thema “Arbeitsgemeinschaft”<br />

s.: Wunsch, Albert: Die<br />

Idee der „Arbeitsgemeinschaft". Eine Untersuchung<br />

zur Erwachsenenbildung in der Weimarer<br />

Zeit.Frankfurt/M., Bern, New York 1986;<br />

308 S.<br />

reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

7<br />

Beispiel 1: Eine Heimvolkshochschule<br />

im Grenzland<br />

Haus Fichteneck<br />

Ja, nicht „Boberhaus“, sondern „Haus<br />

Fichteneck“! Die Anfänge sind durchaus<br />

eine eigenständige Darstellung<br />

wert, denn es geht um ein Gebäude,<br />

das von Beginn an im Geiste der Jugendbewegung<br />

betrieben wurde, lange<br />

bevor es Boberhaus hieß. Was in<br />

den Fußnoten der <strong>Reichwein</strong>-Literatur<br />

zu lesen steht, ist nicht <strong>immer</strong> ganz<br />

korrekt und zutreffend.<br />

So <strong>die</strong> Anmerkung,<br />

das<br />

„Boberhaus“ habe<br />

der Familie des<br />

auch <strong>Reichwein</strong><br />

bekannten Eberhard<br />

Zwirner oder<br />

dessen Mutter gehört.<br />

Das ist nicht<br />

ganz falsch, aber,<br />

bezogen auf den<br />

Namen, in jedem<br />

Fall nicht richtig.<br />

Da stand nämlich<br />

schon seit 1910,<br />

im Tal des Bober,<br />

am Rande des Städtchens Löwenberg<br />

in Schlesien (heute Lwówek Śląski) eine<br />

riesige, siebenstöckige Villa mit<br />

dem Namen „Haus Fichteneck“. Nicht<br />

eben idyllisch gelegen, zwischen<br />

Bahngleisen und der Chemiefabrik Dr.<br />

Warth & Co., aber architektonisch bedeutsam.<br />

Das Haus wurde von dem<br />

Architekten Hans Poelzig seit 1903 im<br />

Auftrag des befreundeten Löwenberger<br />

Apothekerehepaars Max und Elisabeth<br />

Zwirner entworfen und unter<br />

seiner Betreuung gebaut (in der Architekturliteratur<br />

auch als „Haus Zwirner“<br />

bekannt).<br />

Poelzig, 1903-1916 Direktor der renommierten<br />

Kunstgewerbeschule in<br />

Breslau, hatte zuvor bereits das Löwenberger<br />

Rathaus ausgebaut.<br />

Max und Elisabeth Zwirner waren<br />

Wandervögel der ersten Stunde und<br />

entsprechend sozial engagiert. Max<br />

Zwirner betrieb ehrenamtlich ein<br />

Heimatmuseum und arbeitete ohne<br />

Bezahlung als Landschaftspfleger. Nun<br />

wollte er auch gemeinnützig auf dem<br />

Gebiete der Erziehung tätig werden,<br />

ganz im Geiste der Jugendbewegung.<br />

Daher war Haus Fichteneck nicht nur<br />

als Privathaus gedacht, sondern als<br />

Wohnprojekt. Der Schlesische Baudenstil<br />

des Hauses 6 kam nicht von Ungefähr.<br />

Spätestens seit 1914 wird das<br />

Haus, das als „Landhaus und Knabenpensionat“<br />

konzipiert war, denn auch<br />

als Heim für Jungen aus verarmten<br />

Familien erwähnt. Es hat <strong>die</strong> Zwirners<br />

rund 50.000 Reichsmark gekostet und<br />

war ursprünglich auch als ein Reform-<br />

bau aus Lehm und Fachwerk geplant,<br />

musste dann aber aus Kostengründen<br />

in Ziegelbauweise ausgeführt werden.<br />

Die beiden Söhne der Zwirners, Eberhard<br />

und Hans Jürgen, besuchten das<br />

Löwenberger Reformgymnasium und<br />

<strong>die</strong> vierköpfige Familie Zwirner nebst<br />

auswärtigen Mitschülern aus bedürftigen<br />

Familien sollten hier gemeinsam<br />

unter einem Dach wohnen – mit der<br />

Zwirnerschen Likörfabrikation im Keller.<br />

Leider starb Max Zwirner, vierundfünfzigjährig,<br />

bereits 1917, in dem<br />

Jahr, als sein ältester Sohn das Abitur<br />

machte. Er, Eberhard, wurde später<br />

ein bekannter Phonetiker und Linguist<br />

7 , der jüngere, Hans Jürgen, stu<strong>die</strong>r-<br />

6 Poelzig in einem Brief vom Juli 1903 an Zwir-<br />

ners: „Die Zwirnerbaude“<br />

7 Er gehörte zum Freundes- und Gesprächskreis C.H.<br />

Beckers und lernte später auch Harro SIegel und das<br />

Ehepaar <strong>Reichwein</strong> kennen.<br />

s.a.: Gerd Simon/Joachim Zahn: Nahtstellen zwischen<br />

sprachstrukturalistischem und rassistischem<br />

Diskurs - Eberhard Zwirner und das Deut-

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