„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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Noch einmal: Zu den<br />
„politischen Auffassun-<br />
gen“ <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s<br />
Anmerkungen zu einem<br />
Schernikau-Lingelbach-<br />
Dissens<br />
Roland <strong>Reichwein</strong><br />
1.<br />
Im letzten reichwein-forum (Nr. 16,<br />
Mai 2011) hat Karl Christoph Lingelbach<br />
dankenswerterweise eine lange<br />
Besprechung zu Heinz Schernikaus<br />
großem „Tiefensee“-Werk publiziert.<br />
Als ich bemerkte, dass Heinz Schernikau<br />
dazu kritisch Stellung genommen<br />
hat, war mein Interesse geweckt und<br />
ich habe beide Texte gründlich gelesen.<br />
Die Besprechung von Lingelbach<br />
schien mir zunächst im Großen und<br />
Ganzen zustimmend und lobend zu<br />
sein. Andererseits fielen mir Formulierungen<br />
auf wie: „Allerdings vermisse<br />
ich ...“, „Ausgeblendet bleibt allerdings<br />
...“, „Dagegen kann ich Schernikaus<br />
Bemühungen (…) kaum folgen<br />
...“, „Schwierigkeiten habe ich weiterhin<br />
...“, „Diese These hat mich nicht<br />
überzeugt“, mit denen Lingelbach an<br />
mehreren Stellen wiederholt kritische<br />
Reflexionen einleitet. Also war ich<br />
nicht überrascht, dass Heinz Schernikau<br />
zu <strong>die</strong>ser Besprechung Stellung<br />
genommen hat, und war gespannt,<br />
wie er reagieren würde. Seine Stellungnahme<br />
fand ich indessen recht<br />
maßvoll und konziliant. Sie zerfällt in<br />
zwei Teile: im ersten moniert er lediglich,<br />
dass Lingelbach zwei wichtige<br />
Themen bzw. Aspekte seiner Arbeit<br />
„ausgeblendet“ bzw. übergangen habe;<br />
im zweiten Teil geht er dann auf<br />
(nur) zwei „kritische Einwände“ von<br />
Lingelbach ausführlicher ein, <strong>die</strong> sich<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
30<br />
1. auf <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s Vorhaben<br />
„Die Erde aus der Vogel- und Fliegerschau“<br />
und 2. auf seine „politische<br />
Auffassungen“ beziehen. Auf den ersten<br />
Punkt möchte ich hier nicht eingehen,<br />
er scheint mir nur für pädagogische<br />
Fachleute von Interesse zu<br />
sein.<br />
Der zweite Punkt hingegen ist für<br />
mich und auch für unseren <strong>Verein</strong> von<br />
allgemeinerem Interesse. Auf ihn –<br />
und nur auf ihn – möchte ich hier mit<br />
einigen ungeschützten ad hoc- Bemerkungen<br />
noch einmal eingehen.<br />
(vgl. auch Roland <strong>Reichwein</strong>: War<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> ein „nationaler Sozialist“?<br />
In: rf, Nr.11/12 (2007/08), S. 31 -<br />
44)) Ich habe dafür keine neue Literaturrecherche<br />
betrieben, obwohl ich in<br />
Fragen der <strong>Reichwein</strong>-Forschung natürlich<br />
viel weniger kompetent bin als<br />
<strong>die</strong> beiden Autoren. Die wenigen einschlägigen<br />
Dokumente dazu sind den<br />
Lesern des rf mittlerweile ohnehin<br />
bekannt.<br />
Heinz Schernikau schreibt auf S. 282<br />
seines Tiefensee-Werkes, am Beginn<br />
des Kapitels VII, “Einordnung des<br />
Schulmodells in <strong>die</strong> Geschichte des<br />
nationalen Sozialismus in Deutschland“:<br />
„Das 'Weltbild' (der „Klassik“)<br />
selbst ist vielmehr für <strong>die</strong> Denkfigur …<br />
einer politischen Aktionsrichtung von<br />
Bedeutung, deren Ziel es war, in<br />
Frontwendung zum einen gegen den<br />
Liberalismus in Gestalt der kapitalistischen<br />
Konkurrenz- und Profitwirtschaft<br />
und zum anderen gegen den<br />
Marxismus mit seiner ökonomisch<br />
fun<strong>die</strong>rten Klassenkampfstrategie,<br />
dem bildungsbürgerlichen Leitbild<br />
'Volk' und 'Nation' in der Arena des<br />
Weltanschauungs-Kampfes Geltung<br />
zu verschaffen.“ (Ob und inwieweit es<br />
sich hierbei nur um ein „bildungsbürgerliches“<br />
Leitbild handelte, sei gleich<br />
hier in Frage gestellt.)<br />
Karl Christoph Lingelbach zitiert <strong>die</strong>se<br />
Passage unter der Überschrift „<strong>Adolf</strong><br />
<strong>Reichwein</strong>s politische Auffassungen“<br />
folgendermaßen: „Das in der deutschen<br />
Klassik wurzelnde 'Weltbild' des<br />
Pädagogen (<strong>Reichwein</strong>), argumentiert<br />
er (Schernikau), habe ihm (<strong>Reichwein</strong>)<br />
in politischen Angelegenheiten eine<br />
gewisse 'Aktionsrichtung' nahe gelegt.<br />
Charakterisieren könne man sie durch<br />
<strong>die</strong> 'doppelte Frontstellung' gegen <strong>die</strong><br />
kapitalistische Profitwirtschaft und<br />
<strong>die</strong> marxistische Klassenkampfstrategie.<br />
Inhaltlich zielten <strong>Reichwein</strong>s politische<br />
Engagements darauf ab, den<br />
bildungsbürgerlichen Leitbildern<br />
'Volk' und 'Nation' im ideologischen<br />
Konflikt Geltung zu verschaffen.“ (rf,<br />
Nr.16, S. 39 f.) Und direkt danach<br />
nimmt Lingelbach dazu folgendermaßen<br />
Stellung: „Diese These hat mich<br />
nicht überzeugt. Denn sie unterstellt,<br />
dass <strong>Reichwein</strong> zum Gros jener bürgerlichen<br />
Intellektuellen gehörte, deren<br />
politische Mentalität vom selbstreferentiell<br />
fremdenfeindlichen Nationalismus<br />
des wilhelminischen Kaiserreiches<br />
und den kriegseuphorischen<br />
'Ideen von 1914' geprägt worden sei“,<br />
womit er dann eine Reihe kritischer<br />
Gegenargumente einleitet.<br />
Als ich das las, war ich ebenso überrascht<br />
und erstaunt wie Heinz<br />
Schernikau, eine derart einseitige und<br />
überzogene Textinterpretation hätte<br />
ich von Lingelbach nicht erwartet,<br />
zumal er doch selber in einem Beitrag<br />
zum rf Nr. 13 eine klare und gründliche<br />
Analyse des „nationalen Sozialismus“<br />
bei <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> geliefert<br />
hat. Schernikau schreibt denn auch<br />
dazu: „Wie ist es möglich, … , dass ein<br />
sachkompetenter Leser … zu einem<br />
derartigen Urteil gelangt ?“ (rf Nr.16,<br />
S. 43 f.) In der Tat, wie ist es möglich ?<br />
Nun, in <strong>die</strong>sem Fall lässt sich <strong>die</strong>ses<br />
Problem ausnahmsweise leicht lösen:<br />
Es ist möglich, weil hier ein Mißverständnis<br />
vorliegt, welches darauf beruht,<br />
dass beide Autoren von verschiedenen<br />
Dingen sprechen. Während<br />
Schernikau von einer politischen<br />
„Aktionsrichtung“ der 1920er Jahre<br />
spricht – wobei nicht ganz klar wird,<br />
ob er den völkischen Nationalismus<br />
oder den nationalen Sozialismus<br />
meint -, geht Lingelbach davon aus, er