„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Familie schon ungeduldig auf uns. Die<br />
Begrüßung war herzlich, Kaffee und<br />
Kuchen wurden von Ingeborg Menzel,<br />
der Tochter Hildegard Beckers, gereicht<br />
und schon waren wir in einem<br />
lebendigen Gespräch über das Wetter,<br />
<strong>die</strong> Umleitungen und Tiefensee.<br />
Wir stellten uns gegenseitig vor und<br />
saßen schließlich zu 6 um den Tisch in<br />
der 'guten Stube'. Allmählich gelang<br />
es uns, auf das Thema ihrer Schulerfahrungen<br />
mit <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> zu<br />
sprechen zu kommen.<br />
Hildegard Becker betonte zunächst,<br />
dass sie <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> im Namen<br />
der Klasse als älteste Schülerin (damals<br />
12 Jahre alt) mit einem bunten<br />
Blumenstrauß begrüßt habe (Herbst<br />
1933). Er habe den Lehrer Binsky abgelöst,<br />
zu dem sie auch recht gern<br />
ging. Nur bei zwei Vertretungslehrern<br />
sei es in der Zwischenzeit nicht so gut<br />
gelaufen. Einer von beiden sei auch<br />
mal "besoffen" in <strong>die</strong> Schule gekommen.<br />
Dieser wurde später Standesbeamter<br />
in Tiefensee.<br />
Ihr Enkel Tim habe sich zu DDR-Zeiten<br />
stark für das "Schaffende Schulvolk"<br />
interessiert, das er in der Bibliothek<br />
nicht bekam; es sei vergriffen. Eine<br />
Bibliothekarin besorgte ihm eine Kopie<br />
der Ausgabe von 1940.<br />
Dann kam Hildegard Becker auf das<br />
Gewächshaus zu sprechen. Sie erzählte<br />
von ihren Gurken und ihrer Fähigkeit,<br />
Strohmatten für <strong>die</strong> Abdeckung<br />
des Gewächshausdaches zusammenzuknüpfen<br />
(zu flechten). Den Bau des<br />
Gewächshauses habe sie mit Interesse<br />
verfolgt und dabei auch mit angepackt.<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> schenkte Hildegard<br />
Becker gelegentlich Obst, mit dem<br />
Hinweis: "Die Weintrauben, <strong>die</strong> ich<br />
verschenke, sind süß und nicht sauer..."<br />
Die Theaterarbeit hat Hildegard gern<br />
mitgemacht. Doch einmal sollte sie<br />
beim Weihnachtskrippenspiel <strong>die</strong> Maria<br />
sein. Das habe sie abgelehnt, weil<br />
<strong>die</strong> Mitspielerinnen zu schlecht waren.<br />
Bei <strong>die</strong>ser Aufführung fungierte<br />
sie als Souffleuse.<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> schenkte ihr bei anderer<br />
Gelegenheit das Buch "Raubrittergeschichten"<br />
von Kurt von Repping<br />
reichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
48<br />
und schrieb ihr folgende Widmung ins<br />
Buch: "Wenn Du liest, so solltest Du<br />
wissen, dass nur lohnte, das zu lesen,<br />
was Dein Herz emporgerissen zu dem<br />
Denker höherer Wesen". Diese Widmung<br />
hat sie sich gut gemerkt. Noch<br />
am 90. Geburtstag von Rosemarie<br />
<strong>Reichwein</strong> trug sie <strong>die</strong>sen Text 1994<br />
erneut vor.<br />
Das Klassenz<strong>immer</strong> sei durch einen<br />
Vorhang zweigeteilt gewesen. Auf<br />
dem Flur habe sie schlechteren Schülern<br />
bei Mathematikaufgaben geholfen.<br />
Ihre Stärke sei der Deutschunterricht<br />
gewesen. Sie lernte viele Gedichte<br />
auswendig und konnte sie auch gut<br />
vortragen. Auf Bitten <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s<br />
habe sie auch nach ihrer Schulzeit,<br />
also nach 1935, bei Theateraufführungen<br />
Gedichte aufgesagt.<br />
Bei <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> habe sie auch<br />
"anders zeichnen gelernt, aus der Natur".<br />
Bei Binsky wurde auch viel gemalt<br />
und abgezeichnet. Sie zeigte uns<br />
zwei Bilder, <strong>die</strong> 1932 entstanden: "ein<br />
Schäfer in der Landschaft" und "ein<br />
Dackelhund in der Landschaft", <strong>die</strong> sie<br />
beide abgemalt hatte.<br />
Breiten Raum nahm <strong>die</strong> Schilderung<br />
der großen Fahrt nach Ostpreußen<br />
ein. Lange war nicht klar, ob sie mitfahren<br />
konnte, da sie so mager gewesen<br />
sei. Die Fahrt wurde gemeinsam<br />
gründlich vorbereitet. <strong>Reichwein</strong> hatte<br />
alles perfekt arrangiert. Noch heute<br />
kann Hildegard Becker <strong>die</strong> Route beschreiben.<br />
Sie seien täglich bis zu 60<br />
km (samt Gepäck) mit dem Fahrrad<br />
gefahren. <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> habe alles<br />
so wunderbar erläutert. "Zuerst habe<br />
ich mich durch ihren Vater in das Land<br />
Ostpreußen verliebt, dann habe ich<br />
meinen Liebhaber gefunden, der aus<br />
<strong>die</strong>sem herrlichen Land kam, meinen<br />
späteren Mann Erich Becker." In den<br />
14 Tagen der Fahrt habe sie 5 Pfund<br />
zugenommen, sogar Tilsiter gegessen,<br />
obwohl sie keinen Käse mochte.<br />
"Wenn ich Schwierigkeiten hatte,<br />
schob mich Herr <strong>Reichwein</strong> beim<br />
Bergradfahren ein wenig." Die Rückfahrt<br />
erfolgte mit der "Preußen". Zum<br />
Glück hatten wir ruhige See.<br />
Hildegard Becker schrieb danach einen<br />
Aufsatz über <strong>die</strong> Kurischen Nehrung,<br />
den <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> besonders<br />
gut fand. Leider sei er nicht mehr aufzufinden.<br />
Durch <strong>die</strong> Russen kam 1945<br />
vieles weg.<br />
"Bei Herrn <strong>Reichwein</strong> wurde auch viel<br />
gesungen. Ich sang <strong>die</strong> tiefe, also <strong>die</strong><br />
dritte Stimme." Mit 14 Jahren habe<br />
sie angefangen, Geige zu spielen.<br />
"<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> spielte auch Geige,<br />
seine Frau Querflöte."<br />
An "Das laufende Band der Geschichte"<br />
konnte sich Hildegard Becker auch<br />
noch gut erinnern. "Es war mit Holzleisten<br />
an der Wand befestigt und<br />
wurde laufend ergänzt."<br />
Hildegard Becker bekam am Ende ihrer<br />
Schulzeit ein sehr gutes Zeugnis<br />
mit anerkennenden Worten <strong>Adolf</strong><br />
<strong>Reichwein</strong>s.<br />
Herr <strong>Reichwein</strong> habe auch versucht,<br />
ihr eine Lehrstelle zu besorgen, doch<br />
der Vater hatte sie schon während<br />
der 8. Klasse 1935 als Verkäuferin in<br />
Berlin verplant.<br />
Von einem Gefängniswärter, der in<br />
Brandenburg-Göhrden Dienst tat und<br />
in Werneuchen wohnte, erfuhr Hildegard,<br />
dass <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> dort im<br />
Gefängnis war. Sie erfuhr vom demselben<br />
Menschen später auch vom<br />
Tod <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s.<br />
Nach ihrer Erinnerung habe sich Herr<br />
<strong>Reichwein</strong> nie im Unterricht politisch<br />
geäußert. Er sei stolz auf sie gewesen<br />
und sie hätte ihren Lehrer sehr gemocht.<br />
Am Ende des Gesprächs kam noch der<br />
Enkel Kai Menzel mit seiner Freundin<br />
und der gemeinsamen Tochter Elisa in<br />
<strong>die</strong> Stube. Es wurde wieder familiärer<br />
und zum Abschied machte Sabine<br />
<strong>Reichwein</strong> ein Gruppenfoto auf dem<br />
Hof, dem Rasen, der das Haus umgibt.<br />
Es blieb keine Zeit mehr, in <strong>die</strong> benachbarte<br />
Gärtnerei Kalibe reinzuschauen.