Download (592Kb)
Download (592Kb)
Download (592Kb)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Das betrifft nicht etwa nur explizite Änderungen der unmittelbar anzuwendenden<br />
Gesetze. Dass eine Judikaturregel durch eine Gesetzesänderung überholt werden<br />
kann, versteht sich von selbst. Es geht vielmehr insbesondere auch um die<br />
methodologische „Fernwirkung“ neuerer Gesetze auf die (systematische)<br />
Interpretation oder Ergänzung alter Regeln, mit deren Auslegung oder Ergänzung<br />
sich die Vorjudikatur befasst hat. Ein Beispiel bietet etwa die Einführung der EMRK<br />
mit ihren Vorschriften über immateriellen Schadenersatz in Österreich, die die –<br />
unerhört enge – Auslegung der einschlägigen Regeln des ABGB systematisch<br />
unhaltbar machte und dadurch auch die bei der Freiheitsberaubung ablehnende<br />
österreichische Vorjudikatur (endgültig) widerlegte. Oder: Im Rahmen der<br />
Generalklausel der „guten Sitten“ (§ 879 ABGB) hat sich eine neue Regel des<br />
Konsumentenschutzgesetzes, wonach die vertragliche Freizeichnung von<br />
Personenschäden schlechthin unzulässig wurde, systematisch als<br />
Konkretisierungsfaktor des § 879 ABGB mit demselben Ergebnis ausgewirkt, da<br />
selbstverständlich Leben und Gesundheit von Unternehmern nicht geringer bewertet<br />
werden dürfen als dieselben Rechtsgüter von Konsumenten. Damit waren die<br />
bisherigen Judikaturregeln im Rahmen der guten Sitten widerlegt, die auf grobes<br />
oder auf besonders grobes Verschulden abstellten. Soweit Generalklauseln auf die<br />
allgemeinen Verkehrsanschauungen und Verkehrsregeln verweisen, sind<br />
diesbezüglich deutliche Änderungen maßgebend; z. B. bei der Neukonkretisierung<br />
des strafrechtlichen Tatbestandsmerkmals „unzüchtig“ durch einen Judikaturwandel.<br />
Auch die Änderung von solchen generellen Tatsachen oder unserer Kenntnis von<br />
ihnen, die bei der Rechtsgewinnung korrekt als Prämissen fungiert haben, kann zu<br />
abweichenden juristischen Folgerungen und damit zur aktuellen Widerlegung von –<br />
ursprünglich wohlbegründeten – Richterrechtsregeln führen. (Floskelhaft globale<br />
Berufung auf geänderte Verhältnisse kann dagegen nur verdunkelnd wirken.)<br />
Zu erinnern ist etwa an das einfache Asbestbeispiel oben. Oder: Banken<br />
praktizierten verzögerte (und zinsrelevante) „Wertstellung“ bei Überweisung auf ein<br />
Kundenkonto. Das wurde ursprünglich von den Gerichten nicht als unangemessene<br />
Benachteiligung der Kunden im Sinne des Gesetzes behandelt, weil eine exakte<br />
„Wertstellung“ mit Eingang der Überweisung zu aufwendig und damit – auch für die<br />
Kunden – verteuernd gewesen wäre. Diese Rechtsprechung wurde zutreffend als<br />
105