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E) DIE BEDEUTUNG UND ANWENDUNG VON<br />
„RICHTERRECHT“<br />
1. Das Phänomen und seine faktische Bedeutung<br />
Als Richterrecht (auch: Präjudizienrecht, Gerichtsgebrauch, Fallrecht) bezeichnet<br />
man normative Sätze, die in der Begründung gerichtlicher, vor allem<br />
höchstgerichtlicher Entscheidungen verwendet werden und nicht in der bloßen<br />
Wiedergabe positiver Rechtsvorschriften bestehen; so z. B. die über die bloße<br />
Bezugnahme auf bzw. die Wiederholung von § 578 ABGB erheblich (ins Konkrete)<br />
hinausgehenden Sätze in der einschlägigen österreichischen Judikatur, dass<br />
stenografische Niederschrift das Erfordernis der Eigenhändigkeit sehr wohl erfüllt;<br />
Maschinenschrift hingegen nicht. Es geht also nicht um die gerichtliche Entscheidung<br />
der Einzelfälle selbst, die zwischen den Streitparteien rechtskräftig wird, sondern um<br />
allgemeinere Sätze, die deren Begründung dienen und die auf einer mittleren<br />
Abstraktionshöhe zwischen den Gesetzesregeln und der Einzelfallentscheidung<br />
stehen. Daher sagt auch § 12 ABGB seinem Wortlaut nach für das eigentliche<br />
Problem der Bindung an das Richterrecht nichts aus.<br />
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die weitaus üblichste Rechtsfindungsmethode in<br />
der Rechtspraxis angesichts eines Problemfalles in der Suche nach „einschlägigen<br />
Vorentscheidungen“ besteht, d. h. nach solchen, die eine Richterrechtsregel (auch<br />
„Fallnorm“ genannt) enthalten, die auf den anstehenden Problemfall bzw. eines<br />
seiner (vielleicht mehreren) problematischen Elemente (deduktiv) anwendbar ist. (Die<br />
andere Vorstellung, dass eine „Fallnorm“ alle, vielleicht ganz verschiedenartigen<br />
Probleme des gegenwärtigen Falles entscheiden muss, ist infolge des sehr<br />
schwierigen Aufbaues und der höchst beschränkten Anwendbarkeit einer solchen<br />
überkomplexen Regel ganz unzweckmäßig.)<br />
Die Art der Präjudizienverwendung ist ein gutes Kriterium für die juristische Qualität<br />
des Verwenders: Bei schwachen Juristen kommt es manchmal zu erstaunlichen<br />
Fehlleistungen, weil sie isoliert herausgegriffene Sätze aus möglichen Präjudizien<br />
zitieren und ohne Rücksicht auf ihre eigentliche Bedeutung, die erst durch den<br />
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