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Gewohnheitsrecht müsste sie dazu führen, dass jede einmal etablierte, sei es auch<br />
evident verfehlt durch bloß vermeintliche „Gesetzesanwendung“ begründete<br />
Judikatur dem Gesetz, dem sie in Wahrheit widerspricht, sogleich derogiert. Ein noch<br />
so grober Fehler der Judikatur wäre wegen der bindenden Kraft des (jüngeren)<br />
vermeintlichen Gewohnheitsrechts nicht mehr zu korrigieren. Für wirklich<br />
derogatorisches Gewohnheitsrecht („desuetudo“) sind langfristige Nichtanwendung<br />
einer bestimmten Gesetzesvorschrift durch Rechtsgemeinschaft und Staatsorgane<br />
mit allseitiger Rechtsüberzeugung zu fordern.<br />
Das Gesagte lässt den essentiellen Unterschied zwischen Gewohnheitsrecht und<br />
Richterrecht erkennen: Das erstere entsteht im Verhältnis zur bisher geltenden<br />
Rechtsordnung autonom im Rechtsverkehr, das zweite wird – es sei denn, dass es<br />
sich um offenen Rechtsbruch handelt – mindestens im Versuch der Begründung aus<br />
dem vorweg bestehenden, bindenden Rechtssystem produziert.<br />
Nur in ähnlicher, nicht in gleicher Weise von diesen Einwänden getroffen wird die<br />
Auffassung, die das Richterrecht als eigenständige und gleichrangige weitere Quelle<br />
bindenden Rechts betrachtet. Anwendbar bleibt aber das argumentum ad absurdum<br />
aus der unmittelbaren derogatorischen Kraft jeder einmal etablierten<br />
Rechtsprechungslinie, mag sie auch tatsächlich in vollem Widerspruch zum der<br />
Rechtsprechung bindend vorgegebenen Recht entstanden sein, das sie bloß<br />
anzuwenden versucht, weil sie vielleicht groben Interpretationsfehlern oder<br />
sachlichen Missverständnissen zum Opfer gefallen ist. Die falsche Judikatur hat<br />
durch ihren eigenen Begründungsversuch selbst den Vorrang des ihr vorgegebenen<br />
Rechtssystems anerkannt, dieses aber verfehlt. Dass daraus sogleich dem Gesetz<br />
gleichrangiges Richterrecht entstehen soll, das das bloß scheinbar, weil falsch<br />
angewendete Gesetz (samt seinen Grundlagen) verdrängt, wäre schon logisch ein<br />
Widerspruch: Die Entscheidung anerkennt den Vorrang des Gesetzes, weil sie es<br />
anzuwenden versucht, verfehlt durch Begründungsmängel ihr Ziel und verdrängt<br />
eben dadurch das von ihr selbst als vorrangig anerkannte Gesetz. Folgerichtige<br />
Theorien sehen anders aus.<br />
Der rechtlich entscheidende Punkt ist dabei der Vorrang des Gesetzes; die<br />
„Prärogative des Gesetzgebers“. Mit dieser etwas verkürzten, dadurch aber<br />
bequemen Formulierung ist hier stets der Vorrang des Gesetzes nicht als bloße<br />
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