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problemrelevanten Zuspitzung zuzuführen sind. Schon die griechische Philosophie<br />
wusste, dass es sinnlos ist, mehr an Präzision zu fordern, als auf dem jeweiligen<br />
Wissensgebiet möglich ist.<br />
Für das Kriterium des möglichen Wortsinns spricht aber vor allem entscheidend,<br />
dass es treffend eine unterschiedliche methodische Ausgangslage bezeichnet: Wer<br />
an die positiven Einzelregeln des Gesetzes, die ihm in Gestalt eines Textes<br />
entgegentreten, gebunden ist und einen einschlägigen Fall zu beurteilen hat, kann<br />
seine Bindung nur realisieren, also die Vorschrift nur anwenden, wenn er sich eine<br />
Meinung über den zunächst zweifelhaften problemrelevanten Gehalt des Textes<br />
gebildet hat. Ohne Auslegung geht es also schlechthin nicht. Die Rechtsgeschichte<br />
kennt zwar verschiedene Interpretationsverbote von Herrschern, die ihre<br />
Gesetzeswerke (und die Möglichkeiten der Rechtssetzung überhaupt) bei weitem<br />
überschätzt haben. Diese Verbote sind jedoch als qualifiziert unsinniger<br />
Gesetzesinhalt wirkungslos geblieben; genauer: sie haben dazu geführt, dass die<br />
selbstverständlich immer noch notwendigen Auslegungsüberlegungen heimlich und<br />
ohne sie der öffentlichen Kontrolle auszusetzen vorgenommen werden mussten.<br />
In den sprachlichen Grenzen der geltenden Rechtsregeln ist also der<br />
Auslegungsproblematik schlechthin nicht zu entgehen. Man kann sie nur<br />
verheimlichen. Ist aber der mögliche sprachliche Sinn der positiven Regeln<br />
überschritten, so besteht zumindestens in abstracto die Denkmöglichkeit, ohne<br />
Verletzung der Bindung an die positiv erlassenen Vorschriften eine rechtliche<br />
Beurteilung des von keinem möglichen Wortsinn einer Norm erfassten Falles oder<br />
Fallelementes schon deshalb abzulehnen; ihn also durchgehend als rechtlich<br />
irrelevant zu behandeln („rechtsfreier Raum“). Das wäre zwar, wie sich sogleich<br />
zeigen wird, verfehlt. Soviel bleibt aber wahr, dass die rechtliche Relevanz und<br />
Beurteilungsbedürfigkeit von Sachverhalten, die nicht einmal möglicherweise unter<br />
eine positiv erlassene Vorschrift mit ihrem sprachlichen Gehalt fallen, gesondert<br />
begründet werden muss. Es ginge selbstverständlich nicht an, an irgendwelche<br />
Vorgänge weit außerhalb jeder erkennbaren rechtlichen Erfassung Rechtsfolgen zu<br />
knüpfen; z. B. Schadenersatz zuzusprechen, wenn sich jemand für eine<br />
Freundlichkeit nicht zureichend bedankt oder wenn jemand einen Bekannten in der<br />
Eile nicht grüßt.<br />
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