Robert Ritter: Ein Menschenschlag.Erbärztliche und - sifaz
Robert Ritter: Ein Menschenschlag.Erbärztliche und - sifaz
Robert Ritter: Ein Menschenschlag.Erbärztliche und - sifaz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
- 100 -<br />
abgelegene Behausung oder einen Raum im Armenhaus zuteilte.<br />
Die Alten zogen umher <strong>und</strong> holten sich reihum ihre „Bettelmannssupp",<br />
die Jüngeren nährten sich vom Fleisch gefallener Tiere,<br />
von H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Katzen, <strong>und</strong> von dem, was sie auf den Feldern<br />
„fanden". Ihr Mahl erregte nicht selten den Ekel ihrer Nachbarn.<br />
Da die Erwachsenen oft fortzogen, mußten die Kinder, die verwildert<br />
<strong>und</strong> verwahrlost waren, bei <strong>Ein</strong>heimischen untergebracht<br />
werden, wofür das „Kostgeld" zu Lasten der Gemeindekasse fiel.<br />
Am unerträglichsten war wegen des schlechten Beispiels den<br />
Gemeindemitgliedern das ,,wüste Treiben", das „ausschweifende<br />
Leben" <strong>und</strong> die „Liederlichkeit" der Zugezogenen. In einer<br />
Zeit, in der noch jedes unehelich geschwängerte Mädchen eine<br />
Unzuchtstrafe erhielt, nachdem sie vorher von Pfarrer <strong>und</strong><br />
Schultheiß einem „Examen" unterworfen worden war, mußte<br />
die hochgradige Zucht- <strong>und</strong> Sittenlosigkeit <strong>und</strong> die alljährlichen<br />
unehelichen Geburten in den Familien der Fremden ein allgemein<br />
tiefgründiges Ärgernis erregen. Aber gerade in dieser Hinsicht zeigte<br />
sich die Obrigkeit gewöhnlich besonders machtlos.<br />
Der Gemeinde mußte alles daran liegen, die Zahl der ihr zur<br />
Last fallenden Familien nicht zu erhöhen, <strong>und</strong> sie machte daher<br />
auch nach Möglichkeit von ihrem Recht Gebrauch, einem Paare<br />
die Eheschließung zu untersagen.<br />
Denn die Behörden verlangten, bevor sie die Heiratserlaubnis<br />
erteilten, eine Bescheinigung, daß der Freier „einen guten Leum<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> keine Gebrechen des Leibes <strong>und</strong> der Seele habe, <strong>und</strong><br />
daß er in der Lage sei, eine Familie selbständig zu ernähren" !!<br />
Da zum mindesten die erste <strong>und</strong> letzte dieser Voraussetzungen<br />
bei den Nachkommen der Zugezogenen offensichtlich nicht zutraf,<br />
so ließen sich die Heiratsverbote leicht aussprechen. <strong>Ein</strong>gaben der<br />
Betroffenen, daß sie von neuem die Absicht batten, eine Ehe<br />
einzugehen, wurden oft wiederholt abschlägig beschieden').<br />
1) Zur Illustrierung diene folgende <strong>Ein</strong>gabe eines Schultheißen<br />
an ein Oberamt : „Beide Bürgerkollegien bitten alleruntertänigst<br />
behilflich zu sein, daß B. nicht durch Heirat noch ein anderes Bettelmensch<br />
aus einer anderen Gemeinde hierherbringt, denn er ist niemals<br />
imstande, eine Familie zu ernähren, sondern er wird der Gemeinde<br />
eine neue Bettelfamilie zur Last hinsetzen, die doch nur das Verschwenden<br />
kennt." „Wenn alle derartigen Heiraten zugelassen warden,<br />
so wird in wenigen Jahren unsere Gemeinde ein großer Bettelhaufen<br />
sein <strong>und</strong> kann am Ende keiner den anderen mehr unterstützen, so<br />
daß die ganze Gemeinde dem Staat zur Last fallen wird."