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Robert Ritter: Ein Menschenschlag.Erbärztliche und - sifaz

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abgelegene Behausung oder einen Raum im Armenhaus zuteilte.<br />

Die Alten zogen umher <strong>und</strong> holten sich reihum ihre „Bettelmannssupp",<br />

die Jüngeren nährten sich vom Fleisch gefallener Tiere,<br />

von H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Katzen, <strong>und</strong> von dem, was sie auf den Feldern<br />

„fanden". Ihr Mahl erregte nicht selten den Ekel ihrer Nachbarn.<br />

Da die Erwachsenen oft fortzogen, mußten die Kinder, die verwildert<br />

<strong>und</strong> verwahrlost waren, bei <strong>Ein</strong>heimischen untergebracht<br />

werden, wofür das „Kostgeld" zu Lasten der Gemeindekasse fiel.<br />

Am unerträglichsten war wegen des schlechten Beispiels den<br />

Gemeindemitgliedern das ,,wüste Treiben", das „ausschweifende<br />

Leben" <strong>und</strong> die „Liederlichkeit" der Zugezogenen. In einer<br />

Zeit, in der noch jedes unehelich geschwängerte Mädchen eine<br />

Unzuchtstrafe erhielt, nachdem sie vorher von Pfarrer <strong>und</strong><br />

Schultheiß einem „Examen" unterworfen worden war, mußte<br />

die hochgradige Zucht- <strong>und</strong> Sittenlosigkeit <strong>und</strong> die alljährlichen<br />

unehelichen Geburten in den Familien der Fremden ein allgemein<br />

tiefgründiges Ärgernis erregen. Aber gerade in dieser Hinsicht zeigte<br />

sich die Obrigkeit gewöhnlich besonders machtlos.<br />

Der Gemeinde mußte alles daran liegen, die Zahl der ihr zur<br />

Last fallenden Familien nicht zu erhöhen, <strong>und</strong> sie machte daher<br />

auch nach Möglichkeit von ihrem Recht Gebrauch, einem Paare<br />

die Eheschließung zu untersagen.<br />

Denn die Behörden verlangten, bevor sie die Heiratserlaubnis<br />

erteilten, eine Bescheinigung, daß der Freier „einen guten Leum<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> keine Gebrechen des Leibes <strong>und</strong> der Seele habe, <strong>und</strong><br />

daß er in der Lage sei, eine Familie selbständig zu ernähren" !!<br />

Da zum mindesten die erste <strong>und</strong> letzte dieser Voraussetzungen<br />

bei den Nachkommen der Zugezogenen offensichtlich nicht zutraf,<br />

so ließen sich die Heiratsverbote leicht aussprechen. <strong>Ein</strong>gaben der<br />

Betroffenen, daß sie von neuem die Absicht batten, eine Ehe<br />

einzugehen, wurden oft wiederholt abschlägig beschieden').<br />

1) Zur Illustrierung diene folgende <strong>Ein</strong>gabe eines Schultheißen<br />

an ein Oberamt : „Beide Bürgerkollegien bitten alleruntertänigst<br />

behilflich zu sein, daß B. nicht durch Heirat noch ein anderes Bettelmensch<br />

aus einer anderen Gemeinde hierherbringt, denn er ist niemals<br />

imstande, eine Familie zu ernähren, sondern er wird der Gemeinde<br />

eine neue Bettelfamilie zur Last hinsetzen, die doch nur das Verschwenden<br />

kennt." „Wenn alle derartigen Heiraten zugelassen warden,<br />

so wird in wenigen Jahren unsere Gemeinde ein großer Bettelhaufen<br />

sein <strong>und</strong> kann am Ende keiner den anderen mehr unterstützen, so<br />

daß die ganze Gemeinde dem Staat zur Last fallen wird."

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