Robert Ritter: Ein Menschenschlag.Erbärztliche und - sifaz
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zu einer Zeit schlossen, da sie als Händler viel Geld verdienten<br />
— z. B. in Konjunkturzeiten oder in der Inflation — sind nicht<br />
von Dauer.<br />
In den Akten der Kriminalbehörden sind sie alle verzeichnet.<br />
Auch diese Städter führen wegen Landstreicherei manche Vorstrafen,<br />
die sie sich in ihrer Jugend zuzogen. Auch sie haben<br />
nicht selten wie ihre Ahnen wegen Diebstahls, Betrugs <strong>und</strong><br />
Körperverletzung schon mehrere Jahre im Gefängnis, im Arbeitshaus<br />
oder im Zuchthaus zugebracht.<br />
Wenn die Gerichte sie den Nervenärzten überweisen mit der<br />
Frage, ob diese Menschen, die immer wieder rückfällig werden,<br />
als voll zurechnungsfähig anzusehen sind, so finden diese an ihnen<br />
keine Defekte der Intelligenz. Aber ihre Unfähigkeit, sich sozial einzugliedern,<br />
ihre ungewöhnliche Erlebnis- <strong>und</strong> Reaktionsweise,<br />
ihre Haltlosigkeit <strong>und</strong> ihre Unverbesserlichkeit lassen die Ärzte<br />
zu dem Schluß kommen, daß sie asoziale oder antisoziale Psychopathen<br />
oder — wie sie auch sagen — „soziale Defekttypen" vor<br />
sich haben. Von ihrem Standpunkt aus können die Ärzte nur<br />
zu der Ansicht neigen, daß es sich bei diesen Patienten <strong>und</strong> ihren<br />
Angehörigen um einzelne aus der Art geschlagene Menschen<br />
handelt. Daß sie Glieder oder Nachkommen von Mitgliedern eines<br />
ganzen Schlages von haltlosen <strong>und</strong> „asozialen Psychopathen",<br />
d. h. daß sie Angehörige eines alten Gauner- <strong>und</strong> Vagab<strong>und</strong>enschlages<br />
sind, das vermögen sie nicht ohne weiteres zu übersehen.<br />
Mit der von den Ärzten gestellten Diagnose wandern die Delinquenten<br />
dann wieder vorübergehend ins Gefängnis oder ins<br />
Zuchthaus, denn schwere Psychopathie mag als mildernder Umstand<br />
mit ins Gewicht fallen, aber sie vermag nach den Gesetzen<br />
nicht, den freien Willen <strong>und</strong> die Verantwortlichkeit auszuschließen.<br />
Wie vor 100 <strong>und</strong> wie vor 200 Jahren sieht das Gericht das Verbrechen,<br />
das Sühne heischt, es sieht den Zeitgenossen, der den<br />
Diebstahl oder den Betrug oder den Totschlag begangen hat, <strong>und</strong><br />
der Strafe verdient. Es weiß aber nicht, daß viele Vorfahren der<br />
Angeklagten ihrerseits wegen der gleichen Verbrechen auf der<br />
Anklagebank saßen, daß sie ebenfalls eine zeitlang ins Gefängnis<br />
wanderten, daß sie dann aber entlassen wurden <strong>und</strong> sich weiter<br />
fortpflanzen konnten.<br />
Daß man diese Zusammenhänge nicht früher sah, lag nicht<br />
nur an der Zersplitterung der Angehörigen des Schlages, sondern<br />
auch daran, daß viele Landstreicher, Arbeitsscheue <strong>und</strong>