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PDF-Download - Bayerische Staatsoper

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C H A B R O L<br />

Georg Seeßlen, Filmphilosoph<br />

Genuss & Terror der Intimität<br />

Betty (1992), mit Stéphane Audran<br />

„Aus den Filmen von Claude Chabrol hat man nie etwas<br />

lernen können im Sinne von Besser-Erkennen,<br />

Besser-Machen oder Verändern-Wollen. Je weiter man ins<br />

Innenleben des bürgerlichen Subjekts gelangte<br />

in seinen Bildern und ihren Widersprüchen,<br />

desto inniger verwoben sich vor unseren Augen Genuss<br />

und Terror der Intimität. Okay, deshalb konnte man doch<br />

etwas besser erkennen: wie sehr auch das Private<br />

Inszenierung ist. Oder wie privat – wie sexuell, um genauer<br />

zu sein – Macht, Politik und Ökonomie sind.<br />

Chabrols Filme spielen auf einer Linie zwischen<br />

Ficken und Herrschen.<br />

Wenn Zärtlichkeit und Abscheu gleich groß sind.<br />

Wenn der Impuls zur intimen Annäherung genauso<br />

groß ist wie der zur Distanz. Wenn der kalte Blick<br />

heiß und der heiße Blick kalt wird, und immer so weiter.<br />

Wenn man keinen Unterschied zwischen dem<br />

Ungeheuerlichen und der Leichtigkeit macht.<br />

Wenn man die Struktur des bürgerlichen<br />

2<br />

8<br />

Alltagslebens sieht und zugleich, dass alle Bürger<br />

auf und in ihr leben und sie nie vollständig erfüllen.<br />

Dann ist man im Chabrolischen.<br />

Eigentlich ist Intimität nichts anderes als eine Illusion.<br />

Distanz aber auch. Diese Teilung des bürgerlichen Lebens<br />

in einen Innen- und einen Außenraum ist nichts anderes als<br />

Inszenierung – und es hilft nur Inszenierung, wo<br />

Inszenierung herrscht. Chabrols Filme spielen am<br />

Umkehrpunkt dieser Inszenierung: Indem er die<br />

Geheimnisse des Bürgers entlarvt, zeigt er, dass es gar<br />

keine gibt. Das Verbrechen ist nicht der Katastrophen-,<br />

sondern der Normalfall des bürgerlichen Lebens, innen und<br />

außen. Die Inszenierung ist das Verbrechen und das<br />

Verbrechen ist die Inszenierung. Und wenn man genau<br />

daran verzweifeln möchte, mehr denn je?<br />

Dann hilft nur eine Kunst, die sich selbst sehr ernst<br />

nimmt und überhaupt nicht. Und gutes Essen.<br />

Gutes Essen hilft in so einem Fall.“

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