FREIGÄNGERIN The Visionary Flowers, 2002, Matsumoto City Museum of Art, Yayoi Kusama Ihre Auftritte bringen zwar kein Geld, dafür aber ein paar Tage Untersuchungshaft. Noch einmal sammelt sie all ihre Kräfte und setzt diesmal auf Mode. Sie schneidert Kleider mit afrikanischen Mustern und Löchern, damit die Frauen allzeit ihren Busen zeigen können. Dass Yayois Lebenskreise sich unbarmherzig in kleine Punkte verwandelt haben, will sie nicht wahrhaben. Bei einem Besuch in Japan Mitte der 70er-Jahre bricht sie zusammen, denkt an Selbstmord und lebt seither in einem psychiatrischen Krankenhaus. Es folgt ein Rückzug ins Ich, aus dem Yayoi als preisgekrönte Literatin hervorgeht. Kritiker stellen Erzählungen wie „The Hustlers Grotto“ oder „Death Smell Acacia“ aus den 80erund frühen 90er-Jahren auf eine Ebene mit den düsteren Existenzialisten Antonin Artaud, Jean Genet und Franz Kafka. „Ich stellte fest, meine Stimme hatte sich in die eines Hundes verwandelt“, schreibt sie. „Um mir Gewissheit zu verschaffen, ging ich hinaus in den Garten, sprach mit dem Tier, und siehe da, ich war tatsächlich ein Hund geworden!“ Nicht weit von ihrer Klinik entfernt, wo sie nun seit 33 Jahren wohnt, liegt ihr Studio, in dem sie fast täglich malt. Seit ihrer sensationellen Wiederentdeckung mit der Ausstellung „Love Forever:Yayoi Kusama 1958–1968“ in Los Angeles und New York (1998) sowie Tokio (1999) empfängt sie hier auch regelmäßig ausländische Kuratoren, berühmte Künstlerkollegen und neugierige Journalisten. Ich versuche, ein kurzes Interview zum Thema Freiheit mit ihr zu führen. Sie leben in der Psychiatrie. Was bedeutet Freiheit für Sie? „Wirklich frei fühle ich mich, wenn ich künstlerisch arbeite.“ Was sind die Nachteile von Freiheit? „Frei fühlt sich nur derjenige, der von dem, was er macht, wirklich überzeugt ist.“ Welche Person bewundern Sie für ihre absolute Freiheit? „Ich bewundere mich selbst.“ Glauben Sie, dass die Menschen in unserer modernen Gesellschaft wirklich frei sind? „Solange es Krieg und Terror in der Welt gibt, sind die Menschen nicht frei.“ Wie unterscheidet sich Freiheit in Japan von Freiheit in westlichen Gesellschaften? „Die japanische Gesellschaft ist leider immer noch feudalistisch. Wirkliche Freiheit gibt es nur im Westen.“ Dann sagt sie unvermittelt: „Trink deinen Kaffee aus!“ Sie steht auf und geht zu ihrer Familie – den Ärzten und Mitpatienten. Roland Hagenberg lebt als Architekt, Journalist, Fotograf und Ausstellungsmacher in Tokio und Wien. Zum Franz-Liszt-Jahr 2011 bereitet er ein Projekt vor, bei dem japanische Architekten „Häuser im Grünen“ als temporäre Unterkünfte in Liszts Geburtsort Raiding im Burgenland errichten, darunter das Büro Sanaa, die Pritzker-Preisträger dieses Jahres. Yayoi Kusama kennt er seit über 20 Jahren. Yayoi Kusama, 2004
B l i n d t e x t Kulturgut Sessel Central-Theater, Esslingen Eines von mehr als 3600 geförderten Denkmalen. Design/Konzeption: www.gute-botschafter.de · Foto: ML Preis Wir bauen auf Kultur. 4 Spendenkonto 305 555 500 · BLZ 380 1400 07 · www.denkmalschutz.de