PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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mit Pressefreiheit. Dagegen immun zu bleiben, erfordert<br />
eine ähnliche innere Unabhängigkeit und entschiedenheit<br />
wie unter einer autoritären Zensur. es erfordert vielleicht<br />
noch größere Wachsamkeit. Auch wenn keine äußere Gewalt<br />
spürbar ist, ohne innere Autonomie ist der Freischaffende<br />
nicht frei.<br />
Komponisten, die vor der Perestroika im Ostblock lebten,<br />
erlauben einen radikaleren Blick auf die Frage der inneren<br />
Autonomie. Sofia Gubaidulina zum Beispiel, geboren 1931 in<br />
der tatarischen Autonomen Sowjetrepublik, ließ sich bekanntlich<br />
von den Schikanen der sowjetischen Behörden<br />
nicht kleinkriegen. Als die tatarisch-russische Komponistin,<br />
die seit 1992 in Deutschland lebt, im Jahr 1963 ihr Studium<br />
abschloss, lagen 23 Jahre faktischen Berufsverbots vor<br />
ihr, weil künstlerisch-ästhetische einzelgänge nicht geduldet<br />
wurden. Da sie nicht bereit war, dem aus Funktionären<br />
bestehenden Komponistenverband beizutreten, wurde ihr<br />
Werk geächtet. eine vorhersehbare reaktion, die sie in<br />
Kauf nahm, um ihren künstlerischen Vorstellungen treu zu<br />
bleiben. ihr musikalisches Opfer bestand darin, sich mit<br />
Filmmusik durchzuschlagen – ein pragmatisches Opfer, weil<br />
es die Fremdbestimmtheit in einem klar definierten rahmen<br />
hält.<br />
Ähnlich war auch der um eine Generation ältere Kollege<br />
Schostakowitsch in seinen frühen Jahren vorgegangen. Als<br />
der berühmte meister und die frische Absolventin sich trafen,<br />
hatte er ihr handwerklich nicht mehr viel zu sagen,<br />
stattdessen riet er ihr etwas, das sie später als die wichtigste<br />
Lehre beschrieb: Sie solle sich unter<br />
allen Umständen treu bleiben und<br />
ihren „falschen Weg“ weitergehen.<br />
Nur ein kleiner eingeschworener<br />
Kreis von Komponisten und interpreten,<br />
unter ihnen auch Alfred<br />
Schnittke und Gidon Kremer, bildete<br />
den gesellschaftlichen Boden für<br />
einen stillen Weg in der autoritären<br />
UdSSr. 1981 endlich gelang Gubaidulina<br />
der erste Durchbruch durch<br />
den eisernen Vorhang in die internationale<br />
Öffentlichkeit, als Kremer<br />
und andere ihr dabei helfen konnten,<br />
eines ihrer Hauptwerke, das damals gerade entstanden<br />
war, ins Ausland zu schmuggeln und in Wien uraufzuführen.<br />
ihr „Offertorium“ (wörtlich: musik zur Opfergabe, eigentlich<br />
teil einer messe) wurde mit Kremer, dem das Werk auch<br />
gewidmet ist, uraufgeführt.<br />
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Das hochvirtuose und musikgeschichtlich anspielungsreiche<br />
Violinkonzert kreist um das thema des Opfers in verschiedener<br />
Hinsicht. im Vordergrund steht die Opfergabe im religiösen<br />
Sinn und der Bezug auf das „musikalische Opfer“<br />
von Johann Sebastian Bach (BWV 1079), den Gubaidulina<br />
als lebenslangen Lehrer sieht. Die Komposition des meisters<br />
hat einen ähnlichen Hintergrund wie der anfangs erwähnte<br />
Film „Five Obstructions“. Die rolle von Lars von<br />
trier nahm in diesem Fall der versierte Flötist Friedrich<br />
ii., König von Preußen, ein. mithilfe seines Angestellten<br />
Carl Philipp emanuel Bach sann er darauf, dessen altehrwürdigen<br />
Vater Johann Sebastian künstlerisch zu schinden,<br />
indem er ihm ein eigens dafür verfasstes thema vorsetzte,<br />
das sich für Kontrapunktik besonders schlecht eignete.<br />
Bach setzte sich hin und übertraf sich drei Jahre vor seinem<br />
tod noch einmal selbst. er improvisierte so brillant, dass er<br />
sich verpflichten musste, diese improvisationen zu Papier<br />
zu bringen und in Kupfer stechen zu lassen.<br />
Der spätere titel „musikalisches Opfer“ ist vieldeutig: einerseits<br />
wurden dem durch seine Chromatik eher ungewöhnlichen<br />
thema des Königs bestimmte Gewohnheiten<br />
der Kontrapunktik virtuos geopfert, andererseits gibt der<br />
Komponist sich der Herausforderung eines solchen Spiels<br />
hin. Drittens spielt natürlich Bachs kompositorisches elixier,<br />
der Glaube, eine rolle, worin sich auch Gubaidulina<br />
wiederfindet. Das berühmte Bach-thema wurde schon einmal<br />
von Webern im Sinne der Schönberg’schen „Klangfarbenmelodie“<br />
neu orchestriert: es wandert bei ihm ton für<br />
ton durch die unterschiedlichen instrumente, wodurch die<br />
tonhöhe ihr strukturbildendes monopol zugunsten der<br />
tonfarbe verliert. Auch bei Gubaidulina, die Webern als<br />
ihr zweites Vorbild neben Bach bezeichnet – als Dritter<br />
kommt noch Schostakowitsch hinzu –, wandert das königlich-preußische<br />
thema durch das Kaleidoskop instrumentaler<br />
timbres, wird ins Nichts aufgelöst und am ende mit<br />
einem Anklang an russisch-orthodoxe Hymnen wieder zusammengesetzt.<br />
Gubaidulina hat sich mit ihrem<br />
Werk gegen die Gewalt der Zensur<br />
behauptet. Die öffentliche meinung<br />
ist ihr dankbar dafür, ihre Aufführungen<br />
begeistern die Fachwelt genauso<br />
wie das Publikum, das sich<br />
unvorbereitet zeitgenössischer musik<br />
aussetzt. Gubaidulinas Geschichte<br />
zeigt, wie wesentlich Presse-, meinungs-<br />
und Ver sammlungsfreiheit<br />
für die Kunst sind, wie viel wesentlicher<br />
aber noch die Fähigkeit ist, sich<br />
innerlich zu autonomisieren. Wer den brutalen Kampf gegen<br />
die Zensur gewinnt, ist auch gewappnet gegen den<br />
subtileren einfluss und die Gefahren des freien marktes<br />
und der Öffentlichkeit.<br />
„Am liebsten gar kein Publikum“, erboste sich der Komponist<br />
milton Babbitt in der 1950ern. möglich, dass er unter<br />
dem eindruck des Zweiten Weltkriegs den Unterschied<br />
zwischen massendynamik und kritischer Öffentlichkeit<br />
voreilig überging. ein Publikum ist tatsächlich nicht für<br />
alles der richtige Ansprechpartner.