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PDF-Download - Bayerische Staatsoper

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dem Acker der Kunst und denen eines selbstständigen<br />

Betriebes hat sich in den letzten zweihundertfünfzig Jahren<br />

wenig geändert.<br />

W AS NO t tU t<br />

Not macht erfinderisch. es ist kein Nachteil für die Kunst,<br />

wenn Zwänge ins Spiel kommen. Der listige Umgang mit<br />

einer spürbaren endlichkeit ist das, was eine Komposition<br />

lebendig und interessant macht. Das Hindernis kann<br />

formal sein oder betriebswirtschaftlich. Pointiert hat dieses<br />

Prinzip einmal Lars von trier in „Five Obstructions“<br />

(2003), wo er seinem idol Jørgen Leth harte regeln vorgibt,<br />

nach denen dieser seinen eigenen erstlingsfilm neu<br />

drehen soll. Die regeln folgen keiner anderen Logik, als<br />

möglichst unangenehm und unerfüllbar zu sein. Bei der<br />

Sichtung des ergebnisses sind sich beide einig, dass die<br />

regeln ein Geschenk waren.<br />

So ähnlich läuft es ab, wenn ein Komponist sich heutzutage<br />

an die Arbeit macht. Für jedes neue Stück müssen zuerst<br />

die richtigen einschränkungen gefunden werden, um dann<br />

gebrochen zu werden. Das 20. Jahrhundert hat aufgeräumt<br />

mit der idee, es gäbe genuin musikalische regeln. einmal<br />

abgesehen von der praktischen Frage, wie einer davon lebt,<br />

jahrelang an einer 20-minütigen Symphonie zu schreiben,<br />

die 85 zu bezahlende musiker vor 80 zahlenden Gästen<br />

spielen: Wir haben formale Freiheit und ökonomische Begrenzung<br />

– leichter wäre es umgekehrt.<br />

in Alt-europas höfischen Privatkapellen und städtischbürgerlichen<br />

Konzerthäusern<br />

sprach man noch selbstverständlich<br />

eine musikalische Sprache.<br />

Die Welt der Klänge war mit klaren<br />

regeln geordnet, die identisch<br />

waren mit dem musikalisch Vorstellbaren.<br />

Sie zu beherrschen, gehörte<br />

zum Bildungskanon. richtig<br />

musikalisch wurde es aber erst,<br />

wenn ein Komponist frech genug<br />

war, in die allgemein bekannten<br />

Konventionen einen geistigen Gehalt<br />

und eine Lebendigkeit unterzubringen.<br />

Diese Ausnahmen von<br />

den vermeintlich musikalischen Gesetzen nennen wir heute<br />

„klassische musik“.<br />

Der FreiSCHAFFe NDe<br />

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inzwischen ist ein anderer Drahtseilakt nötig. es gibt keine<br />

Sprache, in der die Klänge sprechen. Jedes Werk muss<br />

eine neue und in sich geschlossene Form ohne Sprache<br />

für sich entwickeln. Aus dem Concerto, bei dem man das<br />

Porzellan der höfischen Gesellschaft klirren hört, ist eine<br />

abstrakte, raue Skulptur geworden, die den Zuhörer emotional<br />

und intellektuell weniger bestätigen als herausfordern<br />

will. Aus dem musikus und Kapellmeister ist schon<br />

damals langsam ein freischaffender Autor geworden, der<br />

nicht wie ein Kellner der genüsslichen sozialen Bestätigung<br />

verpflichtet ist, sondern dem Aufbruch ins Ungewisse<br />

und der Autonomie des jeweiligen Werkes.<br />

D AS mODe LL BeetHOVe N<br />

Beethoven tat einen großen Schritt in diese richtung. Damals<br />

kamen zwei wesentliche Faktoren auf: das Verlagswesen<br />

und das bürgerliche Konzertpublikum. Beides erlaubte<br />

ihm, persönliche musik zu schreiben, die einen allgemeinen<br />

Dialog des Komponisten mit der menschheit eröffnete.<br />

Beethoven war zwar finanziell anfangs dem musikalisch sehr<br />

versierten Wiener Hochadel verpflichtet, der das exzentrische<br />

Original beherzt förderte, um sich mit seinem Glanz zu<br />

schmücken. Aber diese Symbiose blieb frei von künstlerischen<br />

Kompromissen, sie beruhte sogar auf Beethovens eigensinn<br />

und bleibt ein schwer zu wiederholender musikhistorischer<br />

Sonderfall.<br />

Das kompositionsgeschichtlich Wesentliche an Beethoven<br />

war, dass er schroffe Formen in Kauf nahm, wenn dadurch<br />

die transportierte Haltung stimmte. Die markanten kurzen<br />

Figuren, aus denen Beethoven alles Weitere architektonisch<br />

entwickelte, sind wie kleine riffs, die ohne reimzwang eine<br />

seelische regung verkörpern und nebenbei die alte melodieform<br />

hinter sich lassen. er brachte Haltung und Gestus in<br />

die Partitur. Damit war eine neue Grundlage geschaffen für<br />

musik, deren eigenster Zweck immer schon über das musikalische<br />

hinausgegangen ist.<br />

Beethoven sprengte damit eine Grenze, die den feudalen<br />

Hof langfristig als Arbeitgeber überforderte. Als die Schlote<br />

der ersten manufakturen in deutschen<br />

Städten rauchten, fing auch<br />

Beethoven an, als Unternehmer zu<br />

denken. Nicht weil es ihm lag. Beethoven<br />

wollte sein Leben lang fest<br />

angestellter Kapellmeister werden –<br />

wie sein Großvater, wie vor ihm<br />

monteverdi, Schütz, Gluck, Haydn<br />

und viele andere. Aus verschiedenen<br />

Gründen klappte es nicht. in<br />

einem Brief beklagte Beethoven, er<br />

müsse, anstatt sich auf die Arbeit zu<br />

konzentrieren, „ein halber Handelsmann“<br />

sein. er erlebte den Konflikt<br />

zwischen innerer und äußerer Freiheit, musste einer Betriebslogik<br />

folgen und war andererseits für kompositorische<br />

Kompromisse zu begabt. er stellte die Autonomie seines<br />

Werkes an oberste Stelle. Aus heutiger Sicht kann man sagen:<br />

er musste sein eigener manager sein, weil er neue musik<br />

schrieb.<br />

D AS mUSi KALi SCHe OPFer<br />

Das Verhältnis zur Öffentlichkeit ist wie ein Arbeitsverhältnis<br />

mit einem launischen Chef, der eigentlich immer recht<br />

behält und sich jede Dreistigkeit erlauben kann. Die Kaufkraft<br />

zählt. Öffentlichkeit ist ein Wertfaktor. Zwänge und<br />

künstlerische Opfer gibt es daher auch in der Gesellschaft

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