29.12.2013 Aufrufe

PDF-Download - Bayerische Staatsoper

PDF-Download - Bayerische Staatsoper

PDF-Download - Bayerische Staatsoper

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ungarn<br />

M<br />

a<br />

g<br />

d<br />

a<br />

l<br />

e<br />

n<br />

a<br />

M<br />

a<br />

r<br />

S<br />

o<br />

v<br />

S<br />

z<br />

K<br />

y<br />

Faschismusforscherin<br />

„es gibt eine neue art des völkischen<br />

glaubens. er ermöglicht<br />

den Menschen, überhaupt wieder<br />

an irgendetwas zu glauben – in all<br />

dieser neuen Unsicherheit. Statt<br />

gott gibt es jetzt die nation.“<br />

„alles, was sich demokratisch<br />

nennt, wirkt plötzlich als Provokation.“<br />

„zu den ,neuen Juden‘ werden<br />

Ju den, homosexuelle und linke<br />

gemacht – das ist ein Mechanismus,<br />

der mit glauben oder<br />

rasse nichts zu tun hat, sondern<br />

mit aus grenzung. die gesellschaft<br />

braucht Feindbilder, um<br />

sich zu stabilisieren.“<br />

Turul-Vogel, der plötzlich als Emblem der rechten auftaucht, vergleicht er mit den Markensymbolen<br />

westlicher Firmen.<br />

Der Theatermacher glaubt, dass es den ungarn grundsätzlich an Empathie fehle.<br />

Vielleicht ist dieses mangelnde Einfühlungsvermögen eine Folge des jahrhundertelangen<br />

Kampfes einer sprachlichen wie kulturellen Minderheit gegen die assimilation. Wer sich anpasst,<br />

geht unter – so die Überzeugung des großteils der in den angrenzenden nachbarländern<br />

lebenden ungarischsprachigen Bevölkerung, deren Vorfahren durch den Vertrag von Trianon<br />

nach dem Ersten Weltkrieg zu rumänen, Slowaken, Serben, Kroaten oder ukrainern wurden.<br />

Das sind immerhin noch 2,4 Millionen Menschen, die jetzt unter der neuen rechten ungarischen<br />

regierung die Staatsbürgerschaft beantragen können. Dass die ungarn in diesen Ländern<br />

für ihre kulturelle Identität kämpfen, ist legitim, so Schilling: „Es kommen jetzt einfach<br />

Themen hoch, über die in den vergangenen Jahrzehnten niemand sprechen wollte.“ ganz<br />

abgesehen davon, dass sich auch um das gesundheitswesen, den arbeitsmarkt, die Bildungspolitik<br />

und andere wichtige gesellschaftliche Themen niemand gekümmert habe.<br />

Doch was bedeutet Identität in einem Land, das seit rund tausend Jahren entweder<br />

gezielt Einwanderungspolitik betrieb oder selbst von ausländischen Mächten besetzt<br />

war und dessen Bürger deshalb längst nicht nur von den magyarischen urstämmen, sondern<br />

von Juden wie Türken, Schwabendeutschen wie Siebenbürger Sachsen, Kroaten wie Serben,<br />

Türken, Österreichern und roma abstammen? „a Magyarság“ – ein Begriff, der das ungarntum<br />

und die Einheit des Volkes gleichermaßen beschwört – gehört zu den mit martialischer<br />

Stimme vorgetragenen Standardvokabeln der neuen rechten regierung. Wer nicht national<br />

denkt, wird damit automatisch zum gegner – so wie alle, die irgendwie „links“, „liberal“,<br />

„Eu-freundlich“ oder „pluralistisch“ sind.<br />

Die Spaltung in zwei unversöhnliche Lager ist ein tfisches Kennzeichen extremistischer<br />

Politik, sagt die in München lebende ungarische Faschismusforscherin Magdalena<br />

Marsovszky: „Es wird ein neuer Tf von ,Jude‘ kreiert, der mit den alten ableitungen wie<br />

rasse, Herkunft oder glauben nichts mehr zu tun hat. alle, die sich nicht zur ,Magyarság‘<br />

bekennen, gehören dazu!“ Der Internationale Währungsfonds, von dem sich die regierung<br />

gerne distanziert, wurde von einem prominenten Kommentator unverhohlen antisemitisch<br />

als „die rosenbergs“ umschrieben. Zu den „neuen Juden“ gehören neben Schwulen auch die<br />

roma – die sich in ungarn selbst „cigányok“ nennen und wegen der Vielfalt ihrer Herkunft<br />

nicht unter den in Deutschland gebräuchlichen Einheitsbegriff subsumiert werden möchten.<br />

Ihre abschiebung aus Frankreich durch Präsident Sarkozy zeigt, dass die Politik der abgrenzung<br />

von Minderheiten als ablenkungsmanöver von innenpolitischen Problemen auch<br />

außerhalb ungarns funktioniert. László Jakab Orsós ist Schriftsteller und rom – Sohn eines<br />

„cigány“, dem es im Sozialismus trotz seiner Herkunft gelungen war, in einem kleinen Dorf<br />

Bürgermeister zu werden. Der autor hatte zunächst keine Probleme, gesellschaftlich akzeptiert<br />

zu werden, auch wenn seine Berufung nach new York als Leiter des ungarischen Kulturinstituts<br />

1995 aufsehen und Widerspruch erregt hatte: ein „cigány“ als Vertreter der ungarischen<br />

Kultur.<br />

Doch jetzt ist Orsós arbeitslos, obwohl er 2009 mit einem ungarischen Kulturjahr in<br />

new York und Washington großen Erfolg hatte, Prominente wie Kurtág und den Filmemacher<br />

Béla Tarr in die uSa holte, junge ungarische Designer genauso vorstellte wie das legendäre<br />

Zsolnay-Porzellan und das kleine ungarn auf die ganz großen Bühnen brachte: von der Carnegie<br />

Hall bis zum MoMa. rechtsradikale „magyarische“ Online-Seiten präsentieren sein Foto<br />

wie einen Steckbrief: „Blaugraue augen – tfisch Zigeuner!“ „Vielleicht hilft der rechtsruck<br />

dazu, die demokratischen Kräfte wieder zu vereinen“, hofft Péter Eötvös. „Lass dich nicht<br />

unterkriegen, Balázs, geh ins ausland, wenn sie dich in ungarn nicht mehr wollen“, hatte er<br />

„Bis 1989 hatten wir eine staatliche Kulturpolitik und eine<br />

illegale gegenkultur. Beides war in Ordnung, es hat dem<br />

Land eine Struktur gegeben. Seit 1989 ist beides zusammengebrochen.<br />

Jetzt haben wir eine kulturelle Brache.“<br />

Péter Eötvös, Komponist

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!