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PDF-Download - Bayerische Staatsoper

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Doch im rückzug lauert eine andere Gefahr: privat zu<br />

werden, auch im ästhetischen ergebnis. Kunst braucht<br />

eine geheime Gegenöffentlichkeit, in der sich die Utopie<br />

der unhierarchischen Auseinandersetzung erhält. Auch<br />

solche Subkulturen sind ein teil der merkantilen Dynamik<br />

des Öffentlichen und entsprechend kurzlebig geworden.<br />

Denn sie besitzen etwas, das vorerst nicht kopierbar<br />

ist, also noch nicht billiger in China hergestellt werden<br />

kann. Die erstrebenswerte Unmöglichkeit besteht darin,<br />

sich auf die Öffentlichkeit zu beziehen und dennoch Subkultur<br />

zu bleiben.<br />

D AS BLAUe PO r Z e LLAN<br />

D er Z eitG e NÖSSi SCHe N mUSi K<br />

Die Neue-musik-Szene ist wahrscheinlich die sachlichste<br />

öffentliche Kunstszene, die es gibt. Sie ist zumindest von<br />

jenen Argumenten noch nicht verdorben, die auftauchen,<br />

wenn großes Geld im Spiel ist – wie im Film und in der<br />

bildenden Kunst. man kann sich in ihr schwerlich hochkaufen,<br />

noch durch intrige oder bloße rhetorik weit kommen.<br />

Wo gilt das noch? Sie mutet manchmal an wie ein<br />

geheimes treffen von alten kabbalistischen Gelehrten, die<br />

Zahlenreihen austauschen, von denen sie vermuten, dass<br />

sie aller erscheinung zugrunde liegen. Der eindruck<br />

herrscht vor: Hier geht es um eine ernste Sache.<br />

Zeitgenössische musik hat einen akademischen und vielleicht<br />

einen kultischen Wert, aber keinen Handelswert. Sie<br />

ist kein Objekt. Sie kann höchstens ein ereignis sein.<br />

Aber kaum jemand gibt abstrakte Kompositionen in Auftrag,<br />

um beispielsweise die Fertigstellung<br />

eines Kaufhauses aufsehenerregend<br />

und wertsteigernd zu<br />

untermalen. Das ist vielleicht noch<br />

nicht entdeckt worden, aber es würde<br />

auch nicht zum Selbstverständnis<br />

zeitgenössischer musik passen.<br />

Hier liegt der tiefere Grund für<br />

ihr Nischendasein verborgen: Sie<br />

ist keine unentdeckte Subkultur,<br />

sondern prätentiöse erbin des titels<br />

„Hochkultur“. Sie ist verarmter<br />

Adel, ein Club von ausgebildeten<br />

intellektuellen in der Klemme zwischen einer großen<br />

tradition und einer kleinen Produktionswirklichkeit. Unser<br />

Staat übernimmt noch die Kosten für diese Avantgarde<br />

a priori, weil tatsächlich eine weitere Hochkultur aussterben<br />

würde, wenn beispielsweise die deutschen Orchester nur<br />

nach den Gesetzen des freien marktes finanziert würden.<br />

Der FreiSCHAFFe NDe<br />

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4<br />

7<br />

Wirtschaftliche Strukturen sind in dieser musik daher weniger<br />

erkennbar als in der bildenden Kunst. Stattdessen<br />

herrschen immer noch die pseudofeudalen Strukturen eines<br />

elitären Gönnerprinzips. ein kleiner Kreis von experten<br />

darf auswählen, wohin die staatlichen Subventionen<br />

für musikalische experimente fließen – und das ist wahrscheinlich<br />

sogar alternativlos. insofern hat sich seit Beethoven<br />

nicht viel verändert.<br />

eines aber doch: Durch den effekt, den die jahrzehntelange<br />

Kommerzialisierung der Kulturindustrie auf alle Pop-<br />

Genres hatte, ist der subventionierte Hochkulturbetrieb<br />

eine der letzten Nischen, in denen kulturelle Subversivität<br />

sich über längere Zeiträume entfalten kann, ohne von den<br />

Spürhunden authentischer Subkulturen entdeckt, vermarktet<br />

und dadurch entkräftet werden zu können. Die<br />

aktuelle Konzertmusik ist wie ein letztes Viertel inmitten<br />

einer touristischen Stadt, das sich für den tourismus partout<br />

nicht eignet, wo keiner Leuchtreklamen anbringt und<br />

Steinofenpizza verkauft, weil es sich nicht lohnt, und das<br />

daher auch in 50 Jahren noch eine reise wert sein dürfte.<br />

in der Zwischenzeit könnte es eine zweifache Bewegung<br />

geben, eine Art kinetisch-historischer Doppelhelix. ein<br />

wachsender teil der Öffentlichkeit bemerkt, dass ein zeitgenössisches<br />

Konzert ein radikalerer und rauerer Ort ist<br />

als die meisten Veranstaltungen, die in Großstädten angeboten<br />

werden. es ist eine wesentliche Form von Öffentlichkeit,<br />

wenn freiwillige Außenseiter sich für ein unwiederholbares<br />

ereignis in kollektiver Zeugenschaft versammeln.<br />

Wenn die instrumentale Kunstmusik aus den Weihetempeln<br />

der Klassik zöge, wäre sie ein nahe liegender treffpunkt.<br />

Ohne sich selbst zu verleugnen, könnte die aktuelle<br />

musik noch einen weiteren Schritt in richtung des „Popularen“<br />

gehen. Sie müsste endlich ihr blaues Porzellan verkaufen.<br />

Schon Leopold mozart riet seinem Sohn: „Vergiss<br />

mir nicht das Populare!“<br />

mitten in dieser Bewegung steht<br />

der freischaffende Komponist, der<br />

als freischaffender Kompromiss<br />

zwischen eigenem impuls und Auftragslage<br />

seinen riskanten Slalom<br />

fährt. Und wenn es ihn bald aus<br />

der Kurve haut, dann kaut er rinde<br />

im Wald.<br />

Moritz Gagern, geboren 1973, ist<br />

Komponist und lebt in Berlin.<br />

Mehr über ihn lesen Sie auf S. 6.<br />

Filmstills von Adam Leech<br />

Fidelio<br />

Oper in zwei Akten<br />

von Ludwig van Beethoven<br />

Premiere am 21. Dezember 2010<br />

Weitere Termine im Spielplan<br />

ab S. 90<br />

1. Akademiekonzert 2010/11<br />

Violinkonzert Nr. 1 „Offertorium“<br />

von Sofia Gubaidulina<br />

Termine im Spielplan ab S. 90

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