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PDF-Download - Bayerische Staatsoper

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F R E I G ä N G E R I N<br />

DIE FREIHEIT,<br />

VERRÜCKT ZU SEIN<br />

Yayoi Kusama wurde mit<br />

schwarzen Punkten und sexuellen<br />

Provokationen berühmt. Seit 33 Jahren lebt<br />

die japanische Pop-Art-Künstlerin nun<br />

schon freiwillig in der Psychiatrie. Über die<br />

Geborgenheit in Unfreiheit und Geistes-<br />

krankheit als künstlerischen künstlerischer Zustand.<br />

TEXT ROLAND HAGENBERG<br />

Aus allen Ritzen in ihrem Studio wuchern<br />

Erinnerungen an ein ungezügeltes<br />

Leben. Aus den Fotokisten dringen<br />

Stimmen, die gestapelten Zeitungsausschnitte<br />

flüstern Obszönitäten und die<br />

verstaubten Leinwände schluchzen. Yayoi<br />

kann das alles hören, nicht aber der<br />

Besucher, dem sie ein Buch mit Collagen<br />

und Texten reicht. Da fressen sich Libellen<br />

durch den pechschwarzen Weltraum,<br />

pulsieren Zellen im Angstplasma, tummeln<br />

sich tausend Punkte im Chaos. Mit<br />

ernstem Gesicht zitiert sie aus ihrem<br />

Buch: „Heilige Scheiße schlägt zurück!“<br />

Ich muss lachen – und dann lacht auch<br />

Yayoi Kusama, das Gesicht gespannt<br />

und schwer vom dicken Make­up. Sie ist<br />

81, weltberühmt und behauptet immer<br />

noch, dass nach ihrem Tod 20 oder 30<br />

Jahre vergehen müssten, bis man ihre<br />

Arbeiten akzeptieren würde. Unter Eingeweihten<br />

galt die Performancekünstlerin,<br />

Malerin, Literatin und Modedesignerin<br />

immer schon als lebende Legende.<br />

Die Zutaten für zeitlosen Ruhm waren<br />

in Yayoi Kusamas melodramatischer<br />

Giftküche immer reichlichst vorhanden:<br />

Kunst, Sex, Pop, Leiden, Politik, Wahnsinn,<br />

Feminismus, Medien, Tod und ein<br />

unbändiger Freiheitsdrang. Kunst­ und<br />

Literaturhistoriker haben alle Hände<br />

voll zu tun, ihr Lebenswerk aufzuarbeiten.<br />

Denn Yayoi ist kein van Gogh – sie<br />

ist van Gogh, Andy Warhol und Antonin<br />

Artaud in einer Person.<br />

Yayoi Kusama<br />

mit Fans in Tokio, 2003<br />

Aufgewachsen als jüngstes von vier<br />

Kindern einer wohlhabenden Familie in<br />

Matsumoto, leidet Yayoi schon früh unter<br />

Halluzinationen, Zwangshandlungen<br />

und hysterischen Anfällen. „Meine Mutter<br />

wusste einfach nicht, wie sie mit<br />

meiner Geisteskrankheit umgehen sollte.<br />

Sie hat mich geschlagen, eingesperrt,<br />

aus gehungert.“ Schwarze Punkte, die<br />

heute als Markenzeichen ihrer Kunst gefeiert<br />

werden und in Galerien sechsstel­<br />

3<br />

1<br />

lige Beträge erzielen, bringt sie in selbstbefreienden<br />

Skizzen schon mit zehn<br />

Jahren zu Papier: ein Stillleben zum Beispiel<br />

oder ein Gesicht – wo sich Bleistiftspitzen<br />

impulsiv ins Blatt bohrten. Am<br />

Ende ist Yayois Welt nur noch durch einen<br />

Vorhang aus grafischen Pusteln erkennbar.<br />

Als die Eltern sie nach alter<br />

Tradition mit einem wildfremden Mann<br />

verheiraten wollen, flüchtet sie 1948<br />

nach Kioto und studiert einige Semester<br />

an der Kunstakademie. „Ich wollte mich<br />

mit Nihonga beschäftigen, der alten japa<br />

nischen Malerei. Gleichzeitig musste<br />

ich meine Halluzinationen unter Kontrolle<br />

halten, versuchte alles Mögliche,<br />

setzte mich in den Regen, meditierte im<br />

Schlamm, und wenn ich wieder in meinem<br />

Zimmer war, schüttete ich mir Eiswasser<br />

über den Kopf.“<br />

Anfang der 50er­Jahre fasst sie Fuß in<br />

Tokio, zählt plötzlich zu Japans prominentesten<br />

Jungkünstlern. In dieser Zeit<br />

lernt sie Dr. Shiho Nishimaru kennen, einen<br />

angesehenen Psychiater. Er erkennt<br />

den Zusammenhang zwischen ihren Halluzinationen<br />

und ihren Kunstwerken, ermutigt<br />

sie weiterzuarbeiten. Von da an<br />

hatte Yayoi in der Psychiatrie das gefun­

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