PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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FRANZ-JOSEF SELIG<br />
FJS Auf jeden Fall. Es ist unsere Welt, die „Fidelio“ beschreibt,<br />
und der Ort der Handlung ist überall. Heute vermisst<br />
man Mut – Beispiele für den Mangel an Zivilcourage<br />
gibt es ja zuhauf. Solange es den Menschen wirtschaftlich gut<br />
geht, wird sich daran vermutlich auch nicht viel ändern. Leonore<br />
hat so gesehen Vorbildfunktion. Sie ist bereit, für ihre<br />
Überzeugungen jedes noch so große Risiko einzugehen, und<br />
wächst in der Stunde der Entscheidung über sich hinaus.<br />
MJ Glauben Sie, dass Oper beim Zuschauer etwas<br />
bewegen kann?<br />
FJS Davon bin ich überzeugt. Ein sinnvolles Konzept vorausgesetzt,<br />
vermag Oper Denkprozesse anzustoßen. Wenn<br />
eine Inszenierung jedoch zu sehr provoziert, kann der Schuss<br />
nach hinten losgehen. Das Publikum ist dann überfordert<br />
und entzieht sich. Doch in jeder Aufführung erreichen wir<br />
Menschen – und auch wenn es nur ein einziger wäre, würde<br />
sich jede Mühe lohnen.<br />
MJ Ändert sich Ihr Blickwinkel auf eine Rolle, wenn<br />
das eigene Leben eine neue Wendung nimmt?<br />
FJS Das Repertoire eines Bassisten umfasst ja viele Herrscherfiguren:<br />
einsame, zerrissene Persönlichkeiten im Spannungsfeld<br />
zwischen Machtanspruch, Willkür, Verantwortungsbewusstsein<br />
und Sehnsucht nach privatem Glück. Oft<br />
spielt man also Rollen, die wenig mit der eigenen Person<br />
zu tun haben. Nehmen Sie beispielsweise den Osmin. Als<br />
mich Freunde kürzlich in Barcelona in der Inszenierung der<br />
„Entführung aus dem Serail“ von Christof Loy sahen, waren<br />
sie erstaunt, wie böse ich sein kann. Natürlich kann man auf<br />
der Bühne Facetten ausleben, die man sonst nicht zulässt,<br />
oder solche erspüren, die man gar nicht hat. Das empfinde<br />
ich mitunter als besondere Lust. Selbstverständlich interpretiere<br />
ich heute mit annähernd 50 Jahren eine Rolle anders<br />
als mit 25. Ich habe Krisen durchlebt, Liebesschmerz und<br />
Verluste erfahren. Bei meinen Liederabenden konfrontiere<br />
ich das Publikum oft mit finsteren Programmen, in denen es<br />
um Tod geht. Wir entfliehen dem Tod viel zu sehr – früher<br />
haben die Menschen in dieser Hinsicht viel bewusster gelebt.<br />
So etwas kann man als 20-Jähriger noch nicht singen.<br />
MJ Gibt es Rollen, mit denen Sie sich identifizieren<br />
können?<br />
FJS In dem Moment, in dem ich in eine Rolle schlüpfe,<br />
identifiziere ich mich automatisch damit – natürlich nicht<br />
im Sinne einer persönlichen Identifikation. Oft werde ich<br />
nach der „schönsten“ Oper gefragt, und da kann die Antwort<br />
doch nur lauten: die, die ich gerade mache. Spannend<br />
ist der Entstehungsprozess. An Stücken mit verschiedenen<br />
Regisseuren und Dirigenten zu arbeiten, eröffnet immer<br />
wieder neue Sichtweisen. Ich bin kein Dogmatiker, der<br />
glaubt, so oder so müsse musiziert werden. Obwohl: Früher<br />
dachte ich tatsächlich, Bach darf nicht auf einem modernen<br />
Flügel gespielt werden!<br />
MJ Welche Figur bedeutet Ihnen besonders viel?<br />
FJS Eindeutig König Marke. Marke ist die vielleicht privateste<br />
Partie, die ein Bassist singen kann. Was für ein Monolog!<br />
Marke ist emotional anstrengend, und wenn man sich<br />
wirklich darauf einlässt, kostet diese relativ kurze Partie so<br />
viel Energie wie ein ganzer Gurnemanz-Akt.<br />
3<br />
P<br />
R<br />
E<br />
M<br />
I<br />
E<br />
R<br />
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F<br />
I<br />
D<br />
E<br />
L<br />
I<br />
O<br />
8<br />
MJ Man liest immer wieder, Gurnemanz – eine der<br />
längsten Partien der Opernliteratur – sei Ihre Paraderolle.<br />
Sehen Sie das auch so?<br />
FJS Mit dem Begriff „Paraderolle“ kann ich nicht viel<br />
anfangen. Gurnemanz und Marke sind mir die vertrautesten<br />
Rollen, sie kommen meiner Stimme am nächsten. Ich<br />
mag den erzählenden Ton und pflege ihn – ich versuche,<br />
sehr wortverständlich zu singen. Brutalere Charaktere wie<br />
Hagen liegen mir hingegen nicht so. Bei Gurnemanz erklärt<br />
sich die Anstrengung aus der Länge der Partie. Nach<br />
dem 1. Akt muss ich das Energielevel halten, damit ich im<br />
3. Akt wieder gewappnet bin.<br />
MJ Wie und wo laden Sie nach solchen Aufführungen<br />
Ihre Batterien auf?<br />
FJS Nach einer Opernproduktion will ich nach Hause<br />
kommen und bei meiner Familie nur noch Privatmensch<br />
sein, denn hier ist der Mittelpunkt meines Lebens, der mir<br />
auch während der langen Abwesenheiten den Halt gibt für<br />
meinen wunderbaren Beruf. Und ab und an spiele ich dann<br />
auch wieder Orgel oder gehe beispielsweise mit unserem<br />
Sohn zu einem Fußballspiel des 1. FC Köln.<br />
Margit Uber ist Autorin und<br />
lebt in München. Lieblingsthemen:<br />
die Oper und Südtirol.<br />
Franz-Josef Selig zählt weltweit zu<br />
den renommiertesten Interpreten<br />
ernster Basspartien, insbesondere<br />
Gurnemanz („Parsifal“), König Marke<br />
(„Tristan und Isolde“), Daland<br />
(„Der fliegende Holländer“), Osmin<br />
(„Die Entführung aus dem Serail“),<br />
Sarastro („Die Zauberflöte“) und<br />
Fiesco („Simon Boccanegra“). Er<br />
war zu Gast u. a. an der Wiener<br />
<strong>Staatsoper</strong>, dem Royal Opera House<br />
Covent Garden, der Mailänder<br />
Scala, Opéra Bastille, Metropolitan<br />
Opera New York, Lyric Opera of<br />
Chicago, dem Théâtre de la Monnaie<br />
sowie bei den Salzburger Festspielen.<br />
An der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />
wird er in dieser Spielzeit als Rocco<br />
in der Neuproduktion des „Fidelio“<br />
sowie als Sarastro und Osmin zu erleben<br />
sein.<br />
Fidelio<br />
Oper in zwei Akten<br />
von Ludwig van Beethoven<br />
Premiere am 21. Dezember 2010<br />
Weitere Termine im Spielplan<br />
ab S. 90